31.9 Brief Samek an RA Adalbert Trompeteur

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 21. August 1925
Betreff: Kraus – Liebstöckl

Empfänger

An: Herrn Dr. Adalbert Trompeteur | Rechtsanwalt
Wipplingerstrasse 32
Wien I.
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich gelange erst heute dazu, auf Ihr Schreiben vom 30. Juli zu antworten.

Ich nehme zur Kenntnis, dass Herr Dr. Liebstoeckl den inseinem Brief an Herrn Karl Kraus erhobenen Vorwurf der „Leichtfertig-keit“ nicht öffentlich getan haben will, sondern sich damit begnügthat, ihn meinem Mandanten insgeheim und gleichsam unter dem Siegelder Diskretion zu machen. Aber dass mein Mandant mit seinem Frauchen,die Wahrheitserforschung zu erleichtern, um die es doch gewiss HerrnDr. Liebstoeckl zu tun sein müsste, eine solche „an Stelle“ der for-malen Berichtigung setzen wollte, davon kann keine Rede sein, unddass diese „ihm offenbar unerwünscht ist“, dürften Sie wohl im Ernstnicht glauben. Wenn ich meinte, dass Ihrem Klientendie Möglichkeit,durch eine Vernehmung von Zeugen die Leichtfertigkeit und Unwahrheitder Behauptung des Herrn Karl Kraus zu beweisen, auch sympathischersein wird als die rein formale Berichtigung“, so konnte ich unmöglichden Eindruck erwecken, dass er sich dieser zu entziehen wünsche, daer doch im Gegenteil Herrn Dr. Liebstoeckl sogar eine Gelegenheitnahelegen wollte, den Wahrheitsgehalt seiner Berichtigung zu bekräf-tigen. Eine solche Gelegenheit hatte Ihr Klient zweifellos schon ge-habt, wenn er selbst als Kläger die ihn angeblich herabsetzende Be-merkung zum Gegenstand einer Beleidigungsklage gemacht hätte. Da ersich damit begnügt hat, sie leichtfertig zu nennen, so war ihm immer-

hin noch die Möglichkeit gegeben, als Angeklagter in einem Beleidi-gungsprozess zu beweisen, dass er den ihm imputierten Ausspruch „nie-mals und niemandem gegenüber getan habe“, und damit auch zu beweisen,dass Herr Karl Kraus leichtfertig vorgegangen sei. Mit diesem Vor-schlag hat also mein Mandant „offenbar“ nicht dargetan, dass ihm eineblosse Bestreitung nach § 23 unerwünscht sei, der er natürlich in je-dem Falle und auch ausserhalb der Klage wegen Beleidigung Raum gegebenhätte. Denn Sie dürften doch auch im Ernst nicht glauben, dass „dasLicht eines öffentlichen Gerichtsverfahrens“ über eine Behauptung, gegen die sich Herr Dr. Liebstoeckl wehrt und deren Entkräftung durch dieeidliche Aussage von Zeugen ermöglicht wird, geeignet wäre, die „Unbe-dingtheit“ einerZuschrift nach § 23abzuschwächen“. Ganz im Gegenteilwürde doch das Licht eines Beleidigungsprozesses (das ja mein Mandant nicht scheut) eben durch die Zulassung des Wahrheitsbeweises danachangetan sein, die Wahrheit hervortreten zu lassen, während eine Be-richtigung, mit der bekanntlich auch einer Wahrheit die Unwahrheit ent-gegengestellt werden kann, ein weit schwächeres Licht auszustrahlenscheint; – wenn man nicht etwa von vornherein der Meinung wäre, dassder Erklärung eines Redakteurs der „Stunde“, eine Behauptung des HerrnKarl Kraus sei „unrichtig“, eine derartige Kraft überzeugender Wahr-haftigkeit eigne, dass ihr überhaupt nichts mehr mit dem gleichen An-spruch auf Glaubwürdigkeit entgegengestellt werden kann. Sie sind alsoim Irrtum mit Ihrer Vermutung, dass mein Mandant den Beleidigungspro-zess wolle „statt“ dem § 23Genüge zu tun“, wie dass ihm die „striktegesetzliche Forderung“ den Herrn Dr. Liebstoeckl erschreckend oder auchnur unbequem sei. Jedenfalls aber muss ich Sie darauf aufmerksam mach-en, dass das Ansinnen meines Mandanten, Herr Dr. Liebstoeckl möge sichzu seinem Vorwurf bekennen und die Beweisaufnahme ermöglichen, eineweit gelindere „Merkwürdigkeit“ darstellt als die Weigerung Ihres

Klienten, es zu tun, und auch als eine „Unbedingtheit“, die einestrikte gesetzliche Forderung“ mit einer kollegialen Bitte begleitet –eines Redakteurs der „Stunde“ an Herrn Karl Kraus – und erst von de-ren Nichterfüllung den rechtlichen Anspruch abhängig macht. Fernerirren Sie auch mit der Auffassung, dass mein Mandant aus einer dochziemlich naheliegenden Konklusion „die Wahrscheinlichkeit einerEhrenkränkung konstruieren“ wollte; denn diese ist ja schon durch denBrief als solchen, den Ihr Klientselbst in die Schreibmaschine ge-schrieben“ hat und den er weder seinen unmutigen Freunden noch demvon ihm verehrten Chef gezeigt haben will, hinreichend vorhanden.Dass aber mein Mandant der Meinung sein konnte, Herr Dr. Liebstoeckl habe dem Brief vor der Absendung die Publizität gegeben, die zum Tat-bestand einer Ehrenbeleidigung erforderlich ist, erscheint doch gewissnicht unbegreiflich, denn selbst wenn ihm die Fähigkeit Ihres Klienten,sich der Schreibmaschine eigenhändig zu bedienen, bekannt gewesenwäre, so hätte er darum noch immer nicht annehmen müssen, dass HerrDr. Liebstoeckl in einem Fall, wo er brieflich einen ehrenrührigen Vor-wurf erheben sollte, geflissentlich der grösseren Bequemlichkeit derihm zur Verfügung stehenden Bureaukraft ausgewichen wäre. Von derenZeugenschaft habe ich nun keineswegs behauptet, dass durch sie dasMoment der Oeffentlichkeit hergestellt sei, sondern bloß gemeint, dassdann nur noch die Mitwisserschaft einer zweiten Person erforderlichwäre. Nichts lag aber näher als die Annahme, dass eine solche sichim grossen Kreise derjenigen finden werde, bei denen die von IhremKlienten berichtigte Behauptung Unmut geweckt hat, und dass HerrDr. Liebstoeckl sich schon vor der Publikation seiner Berichtigung die

Genugtuung verschafft hätte, seinen Freunden zu zeigen, wie er HerrnKarl Kraus seine Meinung gesagt und ihn der Leichtfertigkeit geziehenhabe. Und nichts lag ferner als die Vermutung, dass er sich in solchem Falle, wo doch die Freunde und insbesondere der Chef auf die Er-ledigung der Angelegenheit warten, diese Chance versperrt und sich da-mit begnügt hätte, dem Adressaten den Vorwurf zuzuflüstern. AlleWahrscheinlichkeit sprach dafür, dass hier der Charakter der Oeffent-lichkeit gegeben sei, und Ihre unzweifelhaft richtige Meinung, dassIhr Klient sich zu diesem „offenbar nicht erst zu bekennen hätte,wenn er klar gegeben wäre“, schliesst doch gewiss nicht die Möglich-keit aus, sich eben dann zu ihm zu bekennen, wenn er nicht klar gege-ben ist, wenn aber ein moralischer Anspruch auf sein Bekenntnis seinegrosse Wahrscheinlichkeit zur Voraussetzung hat. Wäre ein solcher An-spruch absurd, so hätte ja noch nie ein von einer einzigen Person ge-zeichneter Brief den Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gebildet undwäre noch nie ein Mann für sein beleidigendes Wort eingestanden.Ich nehme also zur Kenntnis, dass Herr Dr. Hans Liebstoeckl die Gelegenheit, den Vorwurf der „leichtfertigen und ihn herabsetzen-den Behauptung“ – erhoben auf dem Briefpapier der „Stunde“ – und mitihm die Tatsächlichkeit der ihm selbst zugeschriebenen Aeusserungeiner richterlichen Ueberprüfung zu überantworten, vermeiden möchteund dass die Ablehnung dieser an Striktheit und Unbedingtheit nochsein Verlangen nach einer pressgesetzlichen Berichtigung übertrifft.Er will jenen Vorwurf im Gegensatze zu der Aeusserung, dass dieStunde“ ein reines Banditenblatt geworden sei, zwar ausgesprochenhaben, aber gleichfalls vor keinerlei Ohren. Die Ablehnung eines Be-weises jedoch, der eine weit bessere Rehabilitierung verhiesse alsdie formale Berichtigung, brauchte er darum nicht mit der „Forderungzu krönen, „dass Herr Kraus die Berichtigung abdruckt“. Eine solche

Forderung vermag den Zwang des § 23, welchem ja die Berichtigung vollauf entspricht, so wenig zu verschärfen, wie eine kollegialeBitte ihn zu erleichtern vermöchte; sie ist schon in der Berichti-gung selbst enthalten und würde in jedem Falle, ob nun die im Be-gleitschreiben enthaltene Beleidigung gerichtlich oder als Ehren-kränkung polizeilich geahndet würde, nicht nur pflichtgemäss, son-dern auch gerne erfüllt werden.

Mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung

Kraus Liebstöckl