31.5 Brief Samek an Hans Liebstöckl

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 17. Juni 1925
Betreff: Kraus – Liebstöckl

Empfänger

An: Herrn | Dr. Hans Liebstöckl
Canisiusgasse Nr. 8
Wien IX.
Seite von 2

Sie schicken Herrn Karl Kraus eine dem Press-Gesetz ent-prechende Berichtigung, der Sie gleichzeitig die „kollegiale Bittebeifügen, freundlichst festzusteilen, dass Sie die in der Berichtigung bestrittene Aeusserung „niemals nirgends und vor keinerlei Ohrengetan haben“. In dem gleichen Schreiben nehmen Sie Gelegenheit, „demUnmut Raum zu geben, den Ihre (des Herrn Karl Kraus) leichtfertigeund mich herabsetzende Behauptung in mir und bei meinen Freundengeweckt hat“. So bedauerlich es nun Herr Karl Kraus findet, dass eineseiner Behauptungen in Ihnen und bei Ihren Freunden Unmut geweckthat, als so wahrscheinlich geht aus dieser Stelle Ihres Schreibenshervor, dass Sie auch über die Reaktion auf Ihren Unmut Ihre Freundeverständigt und dass also diese von Ihrem Schreiben Kenntnis bekom-men haben. In diesem Fall würde Ihr Schreiben, das ohnedies die Per-son, der es in die Schreibmaschine diktiert ist, zum Mitwisser hat, dieBedingungen einer gerichtlich zu überprüfenden Ehrenbeleidigung (be-gangen durch den Vorwurf der Leichtfertigkeit) durchaus erfüllen,während es anderenfalls bloss eine polizeilich zu ahndende Ehren-kränkung darstellen würde, die eine Erforschung der Wahrheit, wie siedas gerichtliche Verfahren durch den Zeugniszwang ermöglicht, nichtgewährleistet. Ich zweifle nicht, dass Ihnen die Möglichkeit, durch eineVernehmung von Zeugen die Leichtfertigkeit und Unwahrheit der Be-hauptung des Herrn Karl Kraus zu beweisen, auch sympathischer sein

wird als die rein formale Berichtigung im Wege des Pressgesetzes,die mein Mandant seinerseits der von Ihnen kollegial erbetenenFeststellung, dass Sie die Aeusserung niemals und nirgends und vorkeinerlei Ohren getan haben vorziehen würde. Wiewohl ich mir injedem Falle vorbehalten möchte, an Ihrem Schreiben das vom Straf-gesetz erforderte Merkmal der Oeffentlichkeit darzutun, stelle ichan Sie das Ersuchen, den Weg zur richterlichen Entscheidung übereine Beweismaterie, deren Erörterung Ihnen doch am Herzen liegt,zu erleichtern und binnen acht Tagen nach Empfang dieses Briefes sich zum öffentlichen Charakter Ihres Schreibens zu bekennen, wennSie nicht innerhalb derselben Frist lieber die Erklärung abgebenwollten, dass Sie den gegen Herrn Karl Kraus erhobenen Vorwurf,eine leichtfertige Behauptung geschrieben zu haben, zurückzuziehen.

Hochachtungsvoll

KrausLiebstöckl 28.VII.25.