66.11 Urteil des Strafbezirksgerichts I in Wien (G.Z. U I 56/27/8, Christoph Höflmayr)

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Datum: 10. März 1927
Seite von 5

Geschäftszahl U I 56/2710

Im Namen der Republik Österreich!

Das Strafbezirksgericht I Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwartdes Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek in Abwesenheitdes Angeklagten Eduard Straas über die Anklage verhandelt, die der Privat-ankläger Karl Kraus gegenEduard Straas 49 Jahre, verh., verantw. Schriftleiterder Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaftwegen der Übertretung nach § 30 Pressgesetz erhoben hatte,und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten,Verpflichtung desselben zur Veröffentlichung des Urteiles in der ZeitschriftArbeit und Wirtschaft“ und Erkenntnis auf Verfall des Heftes der genanntenZeitschriftzu Recht erkannt:

Eduard Straas ist schuldig, er habe als verantwortlicherSchriftleiter der in Wien erscheinenden Zeitschrift „Arbeitund Wirtschaft“ bei der Aufnahme des Aufsatzes mit derUeberschrift „Ein Witz Kasmaders?“ in Heft 1 der genanntenZeitschrift vom 1. Jänner 1927, dessen Inhalt das Vergehengegen die Sicherheit der Ehre nach § 491 und § 488 STG. be-gründet, jene Aufmerksamkeit vernachlässigt, bei deren pflicht-gemässer Anwendung die Aufnahme des strafbaren Inhaltes unter-blieben wäre.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30 Pressgesetz begangen und wird hiefür gemäss dieser Gesetzesstelle zueiner Geldstrafe im Betrage vonfünfzig (50) Schilling im Falle der Nichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest undgemäss § 389 STPO. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrensverurteilt.

Eduard Straas wird ferner gemäss § 43 (1) Pressgesetz verpflichtet, dieses Urteil in der ersten oder zweitnächstennach Rechtskraft dieses Urteiles erscheinenden Nummerder Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ in der im § 23Pressgesetz vorgeschriebenen Weise zu veröffentlichen,widrigenfalls die genannte Zeitschrift nicht mehr erscheinendürfte.

Weiters wird gemäss § 41 Pressgesetz auf Verfall des Heftes1 der Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ erkannt.

Gemäss § 5 (2) Pressgesetz haftet Anton Hueber alsEigentümer und Herausgeber der Zeitschrift „Arbeit undWirtschaft“ für die Geldstrafe und die Kosten des Strafverfah-rens zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.

Entscheidungsgründe:Erwiesen ist durch die Angaben des Beschuldigten und dasImpressum, dass Eduard Straas der verantwortlicheSchriftleiter des Heftes 1 der Zeitschrift „Arbeit und

Wirtschaft“ vom 1. Jänner 1927 war, in der unter demTitel „Ein Witz Kasmaders?“ eine Notiz erschienenist, die in mehrfacher Hinsicht Beleidigungen des Pri-vatanklägers enthält.

Die Notiz zitiert zunächst Worte des Privatanklägers aus derFackel“, die eine Kritik des Verhaltens Dr. Renner’sauf dem Linzer Parteitage darstellen, und schliesst daran dieBemerkung: „Also, das muss im Kriminal-‚Tribunal‘ desAlexander Weiss gestanden sein.

Weiters enthält die Notiz folgende Stellen: „… Währenddie ‚Tischfreunde von Großschiebern‘ wohl nur mehr soeine Verdächtigung ins Allgemeine hin bedeuten worden.… Natürlich hiesse es den Angegriffenenauf das Niveau des Angreifers hinabwürdigen, wollte man …gegen den im echten Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf ver-teidigen …“ und „… wenn aber dann gar der prächtigeWitz über den Bauch eines Menschen, der offenbar nicht so edelgewachsen ist wie der Autor des Witzes …

Der Inhalt der erwähnten Notiz begründet objektiv das Vergehender Ehrenbeleidigung nach § 488 STG. bezw. § 491 STG.

Durch die Stellen: „Also das muss im Kriminal-Tribunal desAlexander Weiss gestanden sein“ und „… gegen denim echten Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf“ wird Privatankläger dem öffentlichen Spot-te ausgesetzt, weil er, der, wie gerichtsbekannt ist, gegenjede Pressekorruption seit Jahren kämpft, durch die Behauptung,dass er so schreibe, wie Weiss, der wegen durch seine Presse-tätigkeit begangene Erpressung verurteilt wurde, bezw. wieBekessy, dessen strafgerichtliche Verfolgung wegen Pressekorrup-tion eingeleitet wurde, durch diese Stellen in der Öffent-lichkeit lächerlich gemacht wird.

Die Stelle, in der es heisst „natürlich es hiesse den Angegriffenenauf das Niveau des Angreifers herabwürdigen, wollte man …ist objektiv Ehrenbeleidigung nach § 488 STG. Die Stelle: „… über den Bauch eines Menschen, der, offenbarnicht so edel gewachsen ist, wie der Autor des Witzes“ begründetVerspottung des Privatanklägers nach § 491 STG.

Die Stelle, in der von den „Tischfreunden von Großschieberndie Rede ist, begründet, da behauptet wird, dass Privatankläger eine „Verdächtigung“ begangen habe, den Tatbestand des Vergehensnach § 488 STG., da ein derartiger Vorwurf den Privatankläger in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herab-zusetzen geeignet ist.

Mit Rücksicht auf die Verantwortung des Beschuldigten, dass erden inkriminierten Artikel nicht verfasst und vor der Drucklegungnicht gelesen habe, konnte er lediglich wegen Uebertretung derVernachlässigung der pflichtgemässen Obsorge nach § Presse-Gesetz belangt werde. Da der Beschuldigte einen Wahrheitsbeweis,insoweit er zulässig gewesen wäre, nicht einmal angeboten hat,war er im vollen Umfang der erhobenen Anklage für schuldig zubefinden.

Bei der Strafbemessung kam die Mehrzahl der Beleidigungen alserschwerend in Betracht, mildernd war die Unbescholtenheit.Mit Rücksicht auf diese Umstände erscheint die innerhalb desgesetzlichen Strafrahmens ausgemessene Strafe dem Verschuldendes Angeklagten entsprechend.

Ueber Antrag des Privatanklägers war gem. § 43 Pressgesetz der Beschuldigte zur Veröffentlichung des Urteiles in derZeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ zu verpflichten und gemäss§ 41 Pressgesetz der Verfall des Heftes, in dem die inkriminierteNotiz erschienen ist, auszusprechen.

Der Ausspruch über die ungeteilte Mithaftung des Eigentümers undHerausgebers der vorgenannten Zeitschrift Anton Huebermit dem Verurteilten für die Geldstrafe und die Kosten des Straf-verfahrens stützt sich auf die Bestimmung des § 5 (2) Pressgesetz:

dem Antrage des Privatanklägers auch den am Kopfe derZeitschrift als Herausgeber angeführten Franz Domes zur Mithaftung zu verpflichten, wurde keine Folge gegeben, daFranz Domes im Impressum der Zeitung als Herausgebernicht angeführt ist, für die Mithaftung nach § 5 (2) Pressgesetz aber nur die im Impressum genannten Personen in Betrachtkommen.

Die übrigen Aussprüche gründen sich auf die im Urteilstenor bezoge-nen Gesetzesstellen.

Wien, am 10. März 1927.Dr. Christoph Höflmayr

Für die Richtigkeit der Ausfertigungder Kanzleileiter:

Kahlert