68.49 Brief Samek an Sigismund von Radecki

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 5. Oktober 1927
Betreff: Kraus – Kerr.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Sigismund von Radecki, | bei Pantzer
Augsburgerstrasse 15
Berlin W.50
Seite von 2

Sehr geehrter Herr!

Wie Ihnen bekannt ist, führt Herr Kraus einenEhrenbeleidigungsprozess gegen Kerr. In diesem hat Herr Kerr einenSchriftsatz eingebracht, in dem er auf eine Bemerkung in derFackel“ vom Juni 1924 Seite 80, Kraus wisse, dass er mit Kerr nie,auch nicht 1897 in einer anderen persönlichen Verbindung gestandenist, als dass er ihn einmal, vor der scheusslichen Gerichtsver-handlung, durch die Kerr den greisen Musikschriftsteller Tappert um sein Brot brachte, einen Moment sah und dann angewidert nichtmehr kannte, reagierte. Kerr behauptet nun, dass „der Musikschrift-steller Wilhelm Tappert, dessen Bestechlichkeit damals durch dasGericht festgestellt wurde, gar nicht um sein Brot kam, da seineZeitung, das ‚Kleine Journal‘, es bei einer öffentlichen Abbittedes durch Geld bestochenen Musikkritikers bewenden liess.“ Nachder Erinnerung des Herrn Kraus hat Kerr im Jahre 1897 dem Musik-schriftsteller Tappert, einem weltfremden alten Mann, Bestechlich-keit vorgeworfen und es stellte sich schliesslich heraus, dass von

einer solchen keine Rede sein konnte, sondern die Ungehörigkeit,die Herr Tappert begangen hatte, darin lag, dass er die Leistunggen Schülerinnen, denen er Gesangsunterricht erteilt hatte, inKritiken besprach. Auf Veranlassung seines Blattes, des „KleinenJournals“, musste Tappert eine Ehrenbeleidigungsklage gegen Kerr einbringen. Wie diese geendet hat, ist Herrn Kraus nicht mehr inErinnerung. Jedenfalls ist es unwahrscheinlich, dass der BeleidigteTappert eine öffentliche Abbitte geleistet haben soll.

Ich ersuche Sie nun, sich der Mühe zu unterziehen, inden Berliner Zeitungen aus dem Jahre 1897 die ProzessberichteTappert - Kerr anzusehen, besonders im „Kleinen Journal“,zu erheben, ob in ihm eine öffentliche Abbitte des Herrn Tappert enthalten war, und mit eine kurze Sachverhaltsdarstellung zu geben.Die Verhandlung dürfte im Mai oder Juni 1897 stattgefundenhaben. Wenn Ihnen dies möglich ist, so wäre es gut, bei dem Ge-richte selbst einen Aktenauszug zu verfertigen. Ich benötige IhrenBericht unbedingt in den nächsten 10 Tagen. Die Zeitungen dürftenSie in der Nationalbibliothek finden.

Ich bitte Sie, zu entschuldigen, dass ich mich mit einerderartigen Angelegenheit an Sie wende und zeichne mit bestem Dankeund herzlichsten Grüssen

Ihr ergebener

Betr. KrausKerr exp. am 5. Okt. 1927.