70.28 Brief RA Botho Laserstein an Kraus

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift
  • Botho Laserstein, schwarze Tinte

Sender

Dr. jur. Botho Laserstein | RECHTSANWALT
LANDSBERGER ALLEE 55
Berlin NO 18
Datum: 18. Februar 1929

Empfänger

An: Herrn Karl Kraus, | per Adr. Verlag „Die Fackel“
Hintere Zollamtsstraße 3
Wien
Seite von 7

Sehr verehrter Herr Kraus,

vielen Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 15.Februar, das sich mit meinen letzten Briefen an Sie bezw.Herrn Dr. Samek gekreuzt hat. Inzwischen werden Sie jahoffentlich alles Erwünschte erhalten haben.

Ich selbst muß mich aber zunächst wegen einer grobenVersündigung am Sprachgeist entschuldigen, die mir imDrang der Sonnabend-Sprechstunde in dem Brief an HerrnKollegen Samek unterlaufen ist. Das Stenogramm und dieÜbertragung wurde von meiner Bürovorsteherin / nicht vonmeiner Frau / gefertigt. Bei der Unterschrift entgingmir, daß Satz 2 des Briefes an Dr. Samek falsch über-tragen ist. Diktiert hatte ich: „Diese muß Herr Kraus unterschreiben, sie muß alsdann u.s.w.“ Meine überhaupt

sehr eigenwillige Bürodame hat geglaubt, Kürze-Würzespielen zu müssen.

In der Ruhe des Sonntags habe ich mir auch nochmalsIhre Erklärung durchgelesen. Ich bitte zu bedenken, obnicht der Schlußsatz dadurch Angriffen Raum bietet, daßer auf den pekuniären Gewinn der Kerr-Sache bezw. aufdessen Verlust hinweist.

Bei meiner Bitte um einen Bescheid in SachenKortner dachte ich daran, ob ich ihm etwas aufseinen Brief antworten soll. Im übrigen ist Fischer mit mir darin einig, daß die Erledigung der Angelegen-heit am besten vor dem Forum der „Fackel“ und nichtvor dem Strafgericht erfolgt. Denn der Ausdruck „jemandmache sich lächerlich“ scheint mir die Grenze derFormalbeleidigung nicht zu erreichen.

Daß Kortner selbst klagt, halte ich für ausge-schlossen. Die Klage könnte in Wien oder in Berlin er-hoben werden. Denn an beiden Orten ist ein Teilstückdes Tatbestandes / Absendung bezw. Ankunft / gesetzt. Fallsich aber hierüber einen Brief an Kortner schreiben soll,bitte ich um Ihre Vorschläge.

Eine verwendbare Bekundung über die Spesen derKortner-Biographie zu erhalten, also doch wohl etwasDruckbares, ist ausgeschlossen. Zeuge hierfür könntenur der Direktor des Verlags der Biographie sein. Dieser

hat die Tatsache einem meiner früheren Mandanten, Herrn Felix Ziege, erzählt. Dieser ist bestimmtkein brauchbarer Zeuge. Ich habe ihm jetzt die Mandant-schaft gekündigt, nachdem sich mir das ungewisse Gefühleiner Verwandtschaft mit Bekessy-Manieren durch tat-sächliche Bekundungen der Zeugen bestätigt hat.Letzteres teile ich Ihnen aber nur unter strengsterVertraulichkeit mit. Ich habe wegen dunkler Ahnungen?!schon seinerzeit abgeraten, Herrn Ziege als Gegnerim Müller-Prozeß zu nehmen.

Bezüglich des Vorabdrucks aus der „Fackel“ sindfolgende Vorschriften einzuhalten:

1. Angabe des für den Inhalt Verantwortlichen.

2. Angabe des Erscheinungsorts.

3. Angabe des Druckers.

Falls Berlin der Erscheinungsort sein soll, müßteein Deutscher die Verantwortung übernehmen.

Nunmehr zu Kerrs neuestem Schandwerk. Ich glaubeübrigens jetzt, daß er für seine Handlungen moralischnicht verantwortlich gemacht werden kann. Denn derSchmutz seiner gestrigen Kritik, den ich beifüge, sprichtfür den Ausschluß der freien Willensbestimmung im Sinnedes § 51 StGB.

Zu der Anlage reiche ich die mir zugegangene Fahnemit bestem Dank zurück. Ich weiß, daß Sie sich mit Rechtin den Zeugungsakt nicht dreinreden lassen, möchte mir

aber doch eine freimütige Bemerkung erlauben. Ich habedas Empfinden, daß die einstweilige Verfügung mit ihrem!Zwang zum Kleinzitat die notwendige Erledigung des Kerr durch sich selbst außerordentlich hemmt. So geht auchin der mir übersandten Fahne viel von der Schandlich-keit des letzten kerrschen Opus verloren, weil niemanddarauf kommt, die zitierten Strophen hintereinander!zu lesen. Aber vielleicht täusche ich mich. Jedenfallswirkt in dieser Art des Kleinzitats der Hohn auf dieeinstweilige Verfügung nicht mit.

Nun zum Juristischen. Die mir mitgeteilte Ansichtdes Herrn Dr. Samek ist nach deutschem Recht zweifellosunhaltbar. Es ist unbedingt unzulässig, die dargestellteStrophe ebenfalls im Original zu bringen. Ja ich binsogar der Überzeugung, daß die ganze Fahne von einerstrengen Urheberrechtskammer als Umgehung für unzulässigerachtet wird. Hierzu teile ich Ihnen folgendes ausAllfelds Urheberrechtswerk und aus der Judicatur mit.

Nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes undnach weitverbreiteter Auffassung muß die Behandlung desTextes dessen Abdruck weit überschreiten. Das ganzeGedicht darf überhaupt nicht gebracht werden, weil dieFackel“ hier nicht als wissenschaftliches Werk aner-kannt wird, es darf nicht das wiederholt werden, wasvorher von anderer Seite geschrieben wurde; es muß sichum eine völlig selbstständige literarische Arbeit han-

deln, die nicht den Zweck und Gegenstand haben darf,das fremde Werk selbst zur Kenntnis anderer zu bringen,die fremden Stellen dürfen nicht den Hauptstoff desArtikels bilden, sondern nur die mit der Besprechungverfolgte Absicht einer umfassenden ästhetischen oderkritischen Wirkung Würdigung unterstützten. Der Nachdruck istauch dann nicht gestattet, wenn er die äußere Formeiner Besprechung wahrt. So übereinstimmend mit demReichsgericht in Strafsachen Band 37, S. 294 auchdie pariser Urheberrechtskammer am 15. Juli 1897.Schließlich möchte ich, um Ihnen selbst ein Urteilzu ermöglichen, die entscheidende Stelle aus Allfeld mitteilen. / S. 226, Anmerkung 11, 12, 13. /

11. „Für die Entscheidung der Frage, ob bei Aufnahmevon Bestandteilen eines fremden Werkes in das eigeneein solcher Zweck verfolgt wurde, daß nur erlaubte Ent-lehnung, nicht aber Nachdruck vorliegt / s.N. 10 /, kanninsbesondere das quantitative Verhältnisdes fremden Stoffes ja dem ei-genen von Belang fein. Doch kommt es auf den ein-zelnen Fall an. So kann z.B. in der Kritik eines Buchs,eines Dramas die Aufführung der besprochenen Stellen ge-genüber den kritischen Bemerkungen dem räumlichen Umfangenach überwiegen, wenn nur ersichtlich ist, daß es demVerfasser wesentlich um die Kritisierung des fremdenWerkes zu tun war, daß also seine eigenen Bemerkungennicht etwa beigefügt sind, um unter dem Schein einerselbständigen Arbeit das fremde Werk teilweise zu repro-duzieren. Nicht ohne Bedeutung ist unter Umständen dieArt und Weise der Stellungnahme gegenüber den fremdenAnsichten. Der Charakter der Selbständigkeit kann der neu-en Arbeit schon dann innewohnen, wenn sie im Verhältnissezu zahlreichen ober umfangreichen Stellen, die demfremden Werke entnommen sind, nur wenig eigene Gedanken-äußerungen enthält, in diesen aber der völlig andereStandpunkt des Verfassers gekennzeichnet ist, währenddann, wenn der versasser der neuen Arbeit den in weitläu-

sigem Auszug mitgeteilten Ausführungen des anderen ge-genüber nur mit wenigen Worten seine Übereinstimmungkundgibt, die Annahme, daß er in der Hauptsache sichdie eigene Arbeit durch Entlehnung der fremden ersparenwollte, viel näher liegt, zumal dann, wenn die neueArbeit den gleichen literarischen Zweck verfolgt wiedie benutzte. Natürlich ist auch hier überall der ein-zelne Fall ins Auge zu fassen. / Man hat geglaubt, dasquantitative Verhältnis der zulässigen Entlehnung zudem benutzten Werke einerseits, zu der neuen Arbeitanderseits gesetzlich festlegen zu können und wollte,daß nur ein Fünfzehntel zugelassen werde. Mit Rechtist die Gesetzgebung auf solche Vorschläge, welchedie Berücksichtigung des einzelnen Falles zu sehraußer acht lassen, nicht eingegangen. Siehe auch § 41 N. 4. /

12. Steht der Zweck, die fremden Aussprüche nurvereinzelt innerhalb einer selbständigen Arbeit zubenutzen außer Zweifel, so kommt es nicht darauf an,welchen literarischen Wert die eigeneArbeit im Verhältnisse zu dem Entlehnten hat; ersterekann ihrer Bedeutung nach hinter den Zitaten zurück-treten, die Entlehnung ist doch zulässig.

13. Immer muß die Anführung in der selbständigenliterarischen Arbeit in innerer Verbin-dung mit den eigenen Gedanken erfolgen. Eine bloß äußerliche, zusammenhangsloseEin- oder Anfügung der entnommenen Stellen ist nichtstatthaft / a.M. Müller S. 78 /.

Zulässig wäre übrigens der Abdruck des Gedichts,wenn Samek oder ich es zum Gegenstand einer forensi-schen Rede machen und Sie diese Rede, die ja ganzkurz sein kann, unverändert zum Abdruck bringen.

Zum Schluß bitte ich um Entschuldigung, wenn ichSie noch mit einer persönlichen Angelegenheit behellige.

Ich möchte den großen Satiriker Börne wiederzu Ehren bringen. Zu diesem Zweck habe ich unter demTitel „Ludwig Börne – die Überwindung des Judentumsjene großartigen Satiren zusammengestellt, die auch

das heutige Geschäfts- und Literaturjudentum erledigen.Das umfangreiche Buch ist, bis auf den Schluß meinerEinleitung, fertig. Jüdische und andere Verleger, denenich es angeboten habe, haben es abgelehnt, weil Börne „tot“ sei und im Gegensatz zu Heine seine Wirkung aufdie heutige Zeit verfehle. Es wäre mir daher wertvollzu wissen, ob Sie diese Publikation, die teilweiseganz neues und erschütterndes Börne-Material enthält,für nützlich halten. Wäre es ferner möglich, Lanyi oder Jahoda für die Veröffentlichung zu interessieren,deren Reinertrag ich für eine Publikation lichtenberg-scher Satiren verwenden möchte.

Ich will Ihnen aber nicht Ihre kostbare Zeitstehlen und falls Sie die Angelegenheit für unwesent-lich halten, bitte ich sie einfach als erledigt anzu-sehen.

Mit herzlichen Grüßen und in großer VerehrungIhnen ergebenDr. Laserstein