91.7 Ausführung der Berufung

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. Oktober 1927
Seite von 4

G. Z. U I 403/27

An dasStrafbezirksgerichtWien.

Privatankläger Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII., Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,durch:

Beschuldigter: Oskar Hirth, verantwortlicherRedakteur des „Neuen Wiener Tagblattesin Wien III., Esteplatz Nr. 4.wegen § 24 Pr.G. 1 fach

Ausführung der Berufung.

Geg‚en das Urteil des StrafbezirksgerichtesI in Wien als Pressegericht vom 28. September 1927 G.Z. U I403/27, mit welchem der Angeklagte Oskar Hirth von der An-klage, er habe im September 1927 in Wien als verantwortlicherSchriftleiter des „Neuen Wiener Abendblattes“ sich grundlosgeweigert, die von mir verlangte Berichtigung von in derNr. 254 der genannten Zeitung vom 17. September 1927 unter derUeberschrift „Amnestie?“ mitgeteilten Tatsachen zu veröffent-lichen und hiedurch die Uebertretung nach §§ 23 und 24 (2) 3Pressgesetzes begangen § 259 Z. 3 St.P.O. freigesprochen wurde,habe ich die Berufung pcto. Schuld und wegen Nichtigkeit ange-meldet und zwecks Ausführung der Berufung um Zustellung einerUrteilsausfertigung gebeten. Diese Urteilsausfertigung wurdemeinem Vertreter Dr. Oskar Samek am 14. Oktober 1927 zugestellt.

Ich erstatte fristgerecht folgendeAusführung der Berufung.

Als Nichtigkeitsgründe werden die des § 281Z. 5, 9b eventuell a St.P.O. geltend gemacht.

Das Urteil erster Instanz führt aus, dass dieStelle des Artikels, welche berichtigt werden sollte, gelautethabe … „Vielleicht ein Zeugnis dessen, dass die Sozial-demokratische Partei, da sie in eine heillose Sackgasse gera-ten ist, nun schon alle möglichen Bundesgenossenschaften mobi-lisiert.“ Wie das Wort „ vielleicht“ eindeutig beweise, liegehier nicht eine behauptete Tatsache, sondern lediglich eine ausge-sprochene Vermutung vor.

Das Gesetz gewährt den Berichtigungsanspruchnicht bloß bei Behauptung einer Tatsache, sondern bei Mittei-lung einer Tatsache. In welcher Form diese Mitteilung erfolgt,ob sie mit mehr oder weniger grosser Sicherheit als wahr oderwahrscheinlich mitgeteilt werde, ist vollständig gleichgiltig.Infolgedessen ist auch die Mitteilung einer Tatsache in der

Form, dass sie sich nur angeblich, vielleicht, oder, wie derZeitung berichtet wurde, ereignet habe, genügend, um dem-jenigen, den sie betrifft, ein Berichtigungsrecht zu geben.Selbst wenn die Zeitung geschrieben hätte, dass sie dieseTatsache nur vermute, wäre das Berichtigungsrecht schon vor-handen. Es wäre ja anderenfalls für die Zeitung jene Möglich-keit gegeben, durch Einschiebung eines für den Leser kaumbemerkbaren Wörtchens „vermutlich, angeblich, bekanntlich,vielleicht“ Tatsachen zu verbreiten, ohne dass das Rechtgegeben wäre, die wahre Tatsache entgegenzustellen. AlsTatsache ist eben jede Ereignung anzusehen, die eines Be-weises fähig ist und den Gegensatz zur Tatsache im Sinne desPressgesetzes bildet lediglich das Werturteil, nicht aber eineTatsachen-Meinung.

Das Urteil erster Instanz führt in seinenGründen weiters aus, dass sich schon die These nicht völligmit der Stelle des berichtigten Artikels decke. Diese Angabeder Entscheidungsgründe steht im Widerspruche mit dem bei denAkten befindlichen Artikel selbst, aus dem die zu berichtigen-de Stelle wortwörtlich zitiert wurde, stellt daher den Nich-tigkeitsgrund nach § 261 Z. 5 St.P.O. dar.

Das Urteil erster Instanz ist ferner der An-sicht, dass die Antithese keinen vollkommenen Gegensatz zurThese darstellt, ohne dies weiter zu begründen. Es ist klar,dass, wenn auch zum leichteren Verständnis für den Leser einganzer Satzteil aus dem Artikel zitiert wurde, die Berichti-gung sich nur auf die Tatsache bezog, dass ich von dersozialdemokratischen Partei als Bundesgenosse mobilisiertwurde. Da in dem Artikel auch ausgesprochen war, dass meinPlakat der Erfolg dieser Mobilisierung gewesen ist, so istdie richtige Antithese, dass ich von der sozialdemokratischen

Partei nicht als Bundesgenosse mobilisiert wurde. Nunhat der Oberste Gerichtshof in wiederholten Entscheidungenausgesprochen, dass es dem Berichtigungswerber freisteht, jadass es sogar eher dem Wesen der Berichtigung entspricht,nicht nur die zu berichtigende Mitteilung einfach zu negieren,sondern Sachverhaltsdarstellung der zu berichtigenden Mit-teilung eine eigene Sachverhaltsdarstellung entgegenzustellen.Es ist also das gute Recht des Berichtigungswerbers, darzustel-len, dass er nicht mobilisiert wurde, sondern aus eigensterInitiative gehandelt hat. Dies ist wohl ein vollkommenerGegensatz zur Mobilisierung, denn Mobilisierung bedeutet wohlfüglich nichts anderes, als dass jemand auf den Einfluss einesanderen hin gehandelt habe. Wenn das Urteil erster Instanz meint, dass „Plan“, eigenste Initiative nicht festumschriebeneTatsachen sind, sondern ein inneres Vorhaben enthalten be-ziehungsweise einen ganz allgemeinen nicht strikte beweisbarenBegriff, so geht es über den gegenständlichen einzelnen Sprach-gebrauch hinaus und nimmt diese Begriffe in einem philosophi-schen Sinn. Gewiss ist der Begriff „Plan, Initiative und Ein-fluss“ ein weiter, als Gegensatz zu Mobilisierung wird ereher eingeengt und stellt dann nicht mehr ein inneres Vorhaben,sondern einen von aussen kommenden Einfluss dar. Uebrigens hatder Oberste Gerichtshof in der bekannten Entscheidung vom29. Mai 1925, Os 299/25, die Ansicht ausgesprochen, dass auchAnsichten, Absichten, Entschlüsse, Beweggründe, Gesinnungen, diejemandem zugeschrieben werden und die man als der Selbstbeob-achtung zugängliche „innere Tatsachen zu bezeichnen pflegt,der Berichtigung fähig sind.

Ich stelle daher denBerufungsantrag:das erstrichterliche Urteil aufzuheben und den Angeklagten ge-mäss dem Strafantrage zu verurteilen.

Karl Kraus.