92.6 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U I 405/27, Richter: Landesgerichtsrat Robert Kramer; Verteidiger: Fritz Kammern)

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Datum: 28. September 1927
Seite von 2

Geschäftszahl U I 405/273

Im Namen der Republik

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressger. hat heute in Gegenwartdes PA Vertreters Dr. Oskar Samek,in Abwesenheitdes Angeklagten Karl Schiffleitner und in Anwesenheit des Verteidigers Dr. Fritz Kammern über die Anklage verhandelt, die der Privat-ankläger Karl Kraus gegenKarl Schiffleitner, 30. Jahre alt, verh.verantwortl. Schriftleiter der „Reichspostwegen der Übertretung nach § 24 (2) 3 Pressgesetz erhoben hatte,und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung Beschuldigten u. Verpflichtung zur Veröffentlichung der Berichtigung in der genanntenZeitung zu Recht erkannt:

Karl Schiffleitner wird von der Anklage, er habe im Sep-tember 1927 in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der „Reichs-post“ sich grundlos geweigert, die von Karl Kraus verlangte Berichtigungvon in der Nummer 255 der genannten Leitung vom 18. September 1927unter der Überschrift „Die Angriffe auf Präsidenten Schober“ mit-geteilten Tatsachen zu veröffentlichen und hiedurch die Übertretungnach §§ 23 u. 24 (2) 3 Pressgesetz begangen gem. § 259/3 StPO.freigesprochen. –

Gemäß § 390 St.P.O. hat der Privatankläger Karl Kraus die Kostendes Strafverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe.

Durch die Angabe des Verteidigers und das Impressum

ist erwiesen, dass Beschuldigter in der in Betracht kommenden Zeitverantwortlicher Schriftleiter der „Reichspost“ war, dass er das Be-richtigungsschreiben vom 19. September 1927 am 20. September1927 erhalten hat und seit Erhalt des Berichtigungsschreibensmehr als zwei Nummern der „Reichspost“ erschienen sind, ohne dass die verlangteBerichtigung veröffentlicht worden wäre.

Was den ersten Absatz der Berichtigung anlangt, so ent-hält die These den Begriff „Begönnerung“, der richterweise ü-berhaupt nur subjektiv zu interpretieren ist. – Diese These ent-hält ferner in den Worten … „was ihm die ‚Wipag‘, das städt.Plakatierungsinstitut, verweigert habe“ eine Stelle, auf diedie Antithese gar nicht reflektiert. Ausserdem enthält die The-se die Behauptung, dass Karl Kraus … „plakatieren wollte“, was sich dochnur auf eine Absicht bzw. ein Vorhaben bezieht und daher nichteine berichtigungsfähige Tatsache darstellt. –

Bezgl. des zweiten Teiles der Berichtigung, ist das Ge-richt der Ansicht, das die Antithese dieses Teiles inhaltlichweit über den Rahmen des Notwendigen hinausgeht, in dem sie inlängerer Ausführung einen angeblichen Vorfall schildert, auf demdie These bezw. die Stelle des Artikels sich gar nicht bezieht. –

Diese Antithese enthält aber obendrein noch eine klar zuTage tretende Verspottung des Preisrichterkollegiums für denBauernfeldpreis, beinhaltet daher eine strafbare Handlung (§491 StG.) was den verantwortlichen Schriftleiter gem. § 23 beinhaltet daher eine strafbare Handlung (§491 StG.) was den verantwortlichen Schriftleiter gem. § 23(2) 4 Pressgesetz zur Verweigerung der Aufnahme der Berichtigungberechtigt. –

Aus allen diesen Erwägungen war der Beschuldigte berech-tigt, die von Karl Kraus verlangte Berichtigung zu verweigern. –

Der Freispruch erscheint hiemit begründet. –

Der Ausspruch über die Kosten des Strafverfahrens stütztsich auf § 390 St.P.O.

Wien, am 28. September 1927.

Kramer Kahlert

Kraus / Reichspost14. Okt 1927