99.7 Privatanklage und Strafantrag von Karl Kraus gegen Völkischer Beobachter (verantw. Red. Wilhelm Weiss) wegen Beleidigung (Amtsgericht München)

Materialitätstyp:

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Datum: 10. April 1928
Seite von 4

München, den 10. April 1928.

ZumAmtsgericht München Strafgericht

Privatklage und Strafantrag der Rechtsanwälte Dr. Hirschberg, Dr.Philipp Loewenfeld & Dr. Regensteiner,München, Kaufingerstr. 30/II namens Karl Kraus, Schriftsteller in Wien gegenWilhelm Weiß, verantwortlicher Schrift-leiter der periodischen DruckschriftVölkischer Beobachter“ in München,Schellingstr. 39/I,wegen Beleidigung.

In Nr. 53 des 41. Jahrgangs„Bayernausgabe“ des „VölkischenBeobachters“ vom Samstag, den3.III.1928, ist unter der SchlagzeileNeue Verhöhnung der deutschenFrontsoldaten auf der Bühneein fettgedruckter Artikel mit derÜberschrift „Eine skandalöse Erst-aufführung in München“ veröffentlicht

Ein Exemplar dieses Artikels füge ich an. Die Ausführungensind beleidigend nach § 183 StGB. Der Privatkläger wirdverächtlich als „Wiener Judenliterat“, als „der Fackel-kraus aus Wien“ bezeichnet. Es ist von frechster Verhöhnungaller gefallenen Frontkämpfer, von schmutzigen Zoten,von gemeinster und brutalster Weise, von schamloserBewitzelung, von gemeiner Besudelung die Rede. Der Artikel schliesst mit der bei diesem Blatte üblichen Drohung.Darüber hinaus enthält jedoch der Artikel die Behauptungund Verbreitung von Tatsachen, welche geeignet sind,den Privatkläger verächtlich zu machen oder in der öffent-lichen Meinung herabzuwürdigen. Es wird behauptet, daß dasvon ihm verfasste, in den Münchener Kammerspielen aufge-führte „Traumstück“ eine Verhöhnung der deutschen Front-soldaten darstelle, das Stück sei die frechste Verhöhnungaller gefallenen Frontkämpfer die jemals auf offener Bühnevor sich gegangen ist. Das ganze Traumstück sei eineeinzige fortgesetzte Verhöhnung des frontsoldatischenGeistes, eine schamlose Bewitzelung des Opfertodes dergefallenen Frontkämpfer, eine gemeine Besudelung allesdessen, was für den deutschen Soldaten zum Inbegriff seinerEhre geworden ist. Darüber hinaus werden zwecks Herabsetzungdes Privatklägers frei erfundene Behauptungen aufgestellt.Es wird behauptet, daß eine tuberkulöse Krankenschwestererzähle, wie sie von den Offizieren im Felde angestecktworden sei. Eine tuberkulöse Krankenschwester kommt imganzen Stück nicht vor. Es ist ferner behauptet, daß eineHure mit Etappenschweinen und einbeinigen Soldaten imStück tanze. Auch diese Behauptung ist frei erfunden. Einesolche Szene kommt im Stück nicht vor.

Daß das Stück genau die entgegengesetzte Tendenzals die in dem Artikel behauptete der Verhöhnung dergefallenen Frontsoldaten oder der schamlosen Bewitzelungdes Opfertodes derselben hat, ergibt sich aus seinemInhalt.

In Nr. 62 des Völkischen Beobachters vomMittwoch, den 14. März 1928 S. 4 ist unter der Überschrift:Das Traumstück und die Frontsoldaten“ der im Originalanliegende weitere Artikel enthalten. In diesem wird imAnschluss an eine berechtigte Erklärung der „Jungen Bühne“,welche gegen die unwahre Behauptung der Verhöhnung dertoten Frontsoldaten protestierte, die Behauptung derVerhöhnung der Frontsoldaten wiederholt. In dem üblichenTon heisst es dann weiter:

Ob sich der deutsche Frontsoldat durch dengeschwollenen Pazifismus und durch den zotigen Zynismuseines Wiener Judenliteraten herausgefordert fühlen darfoder nicht, ist ausschließlich seine Sache.

Es ist sodann von typisch jüdischer Phraseologie,von beschnittener Fackelsprache, von Geschwafel reinerMenschlichkeit usw. die Rede.

Namens des Privatklägers stelle ich gegenden Privatbeklagten als verantwortlichen Schriftleiterder betreffenden Nummern des „Völkischen BeobachtersStrafantrag und erhebePrivatklage,wobei ich den gesamten Inhalt der beiden inkriminiertenim Original anliegenden Zeitungsartikel zum Gegenstandvon Strafantrag und Privatklage mache.

Ich beantrage den Sühneversuch für entbehrlich

zu erklären, da der Privatkläger in Wien wohnt und jedeVergleichsverhandlung mit der beklagten Partei ablehnt(G.V.Bl. 1926 S. 501).

Ich beantrage das Hauptverfahren wegen zweiersachlich zusammentreffender Vergehen der Beleidigung teilsnach § 185, teils 186 resp. 187 StGB. begangen, zu eröffnen.

Vollmacht wird umgehend nachgebracht.

gez. Dr. Hirschberg Rechtsanwalt.Für die Abschrift.Hirschberg Rechtsanwalt.

Kraus Völkischer Beobachter