101.10 Berufung gegen das Straferkenntnis vom 18. August 1928 durch Karl Kaiser

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 23. August 1928
Stempel: Polizeidirektion Wien
Seite von 4

Z. 685 und 685/1 Pst. 53

An diePolizeidirektion Press-BureauWien.

Karl Kaiser,Wien XIII., Ameisgasse Nr. 50/12 a,durch:

1 fach1 Vollmacht

erhebt Berufung gegen das Straferkenntnis vom 18./VIII.1928.P.B. am 23./8.28Steidt

Mit Straferkenntnis der PolizeidirektionWien, Press-Bureau vom 11./VIII 1928 Z. 674 Pst. 51 wurdeich wegen angeblich unbefugter Verbreitung eines Druckwerkes nach§ 9/1 Pr.G. gemäss § 13 Pr.G. zu einer Geldstrafe von S 5.–im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe in derDauer von 12 Stunden verurteilt. Gleichzeitig wurden die be-schlagnahmten Druckwerke für verfallen erklärt. Gegen diesesStraferkenntnis erhebe ich durch meinen mit beiliegender Voll-macht ausgewiesenen Anwalt fristgerecht nachfolgendeBerufung.

Das Straferkenntnis wird wegen mangelhaftenVerfahrens und Gesetzwidrigkeit angefochten.

Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens er-blicke ich darin, dass die Begründung nicht dem Gesetz entspricht,aus ihr nicht zu ersehen ist, worin die strafbare Handlung er-blickt wird. Die Begründung hätte genau zu enthalten, warum inder Verbreitung des beschlagnahmten Druckwerkes eine Uebertretungdes § 9/1 Pr.G. liegt, ob die Behörde der Ansicht ist, dass nichtjedermann zur Kolportage berechtigt erscheint und eine besondereBefugnis verlangt wird, was aus dem Worte unbefugt zu schliessenwäre, oder ob sie das verbreitete Druckwerk als nicht zur Kol-portage geeignet ansieht.

Ich kann mich also nur mit einer Vermutungauseinandersetzen, dass die Polizeidirektion die zweite Ansichtim Auge hat, wobei ich jedoch nicht die Möglichkeit ausschliessenkann, dass etwa andere Gründe, die mir nicht bekannt sind, dasFehlerkenntnis verursachten. Die Ansicht, dass die gegenständ-liche Broschüre – es handelt sich um die Sonderausgabe Nr. 1 der‚Fackel‘ – nicht dem Begriff der Zeitung im Sinne des Press-Gesetzes entspricht, ist vollständig unrichtig. Nach § 2 diesesGesetzes versteht man unter Zeitung ein Druckwerk mit einemnicht vorweg begrenzten Inhalt, das unter demselben Namen

und in fortlaufenden Nummern, wenn auch in unregelmässigen Zeit-abständen, erscheint und dessen Einzelnummern, wenn auch jede einin sich abgeschlossenes Ganzes bildet, durch ihren Inhalt ineinem Zusammenhang stehen. Die ‚Fackel‘ ist eine seit 30 Jahrenbestehende Zeitschrift und es steht ihr natürlich frei,Sonderausgaben zu veranstalten, etwa wie die Tageszeitungen ausbesonderen Anlässen Extraausgaben herausgeben und die Arbeiter-Zeitung in den Tagen des 15. Juli 1927 die sogenannten „Mittei-lungen“ herausgab. Die Sonderausgabe trug die Nr. 1 und es istseitdem auch eine zweite Nummer der Sonderausgabe erschienen.Der Zusammenhang der Sonderausgabe mit dem in der Hauptausgabeder ‚Fackel‘ geführten Kampf des Herausgebers Karl Kraus gegendie Polizeidirektion ist sofort ersichtlich. Die Arbeiter-Zeitungvom 8. August 1928 hat ihrer Rechtsansicht zu diesem Fall in fol-genden Worten Ausdruck gegeben:

… die Sonderausgabe einer Zeitschrift ist die Zuschrift(Zeitung) selbst, kann also, auf der Strasse so vertrieben werden,wie eine Zeitschrift vertrieben wird. Da überdies die ‚Fackelkein regelmässiges, an ein Datum geknüpftes Erscheinen hat, sogeht die Sonderausgabe eben in ihr Erscheinen ein; dass dieFackel‘ sonst mit einem roten Umschlag erscheint, diese Sonder-ausgabe der ‚Fackel‘ mit einem weissen Umschlag erschien, istnatürlich nebensächlich und geht die Sicherheitsbehörde, dieauf den roten Umschlag kein Anrecht hat, nichts an. Da es sichalso um den Vertrieb einer Zeitung handelt, ist der § 9 desPressgesetzes nicht verletzt: die Beschlagnahme ist ebenso unzu-lässig, wie es eine Bestrafung der Kolporteure und Verfallser-klärung wäre.

Die Verurteilung erfolgte sohin vollständigzu Unrecht und ich beantrage daher, das Straferkenntnis derPolizeidirektion sowohl wegen mangelhafter Begründung, als auchwegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben, mich freizusprechen und dieVerfallserklärung zu widerrufen.

Karl Kaiser.

Betr. KrausSonderausgabeKaiser überreicht am 23. August 28.