112.9 Schriftsatz in Sachen Kraus ./. Wolff (RA Botho Laserstein an das Amtsgericht Berlin-Mitte, G.Z. 149 B 709/28)

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
  • Kopie
Datum: 5. Dezember 1928
Seite von 9

Anliegendes Schriftstück wirdHerrn Karl Kraus Wien zur gefälligen Kenntnisnahme übersandt

HochachtungsvollDr. Laserstein Rechtsanwalt5./12.1928

Berlin, den 3. Dezember 1928.

An dasAmtsgerichtBerlin-Mitte.Alt-Moabit.

In SachenKraus ./. Wolff,147. B. 709/28

ist die Sache nach den Ausfüh-rungen des Privatbeklagten imSchriftsatz vom 5. November 1928nunmehr entscheidungs- und dasHauptverfahren eröffnungsreif.

Der Privatbeklagte gibt die ihmzur Last gelegten Äußerungen zuund behauptet lediglich, in Wahrungberechtigter Interessen gehandeltzu haben. Wie ist aber in Wirklich-keit die Sachlage?

In der von mir überreichtenletzten Nummer der „Fackel“ hatteder Privatkläger folgende Tatsa-chen behauptet / Seite 11, 12 derPrivatklage /:

a. Der Schriftsteller FranzPfemfert habe in der„Prager Presse“ vom 27. November1927 mitgeteilt, daß der sterbendeHarden den Kritiker des „BerlinerTageblatt“, Alfred Kerr, beschul-digt habe, durch eine unsaubere

Verpflichtung an die Zeitung des Privatbeklag-ten gekommen zu sein.

b. Der Privatbeklagte und sein KritikerAlfred Kerr haben zu dieser Mitteilung geschwie-gen.

Beide Tatsachen, die Veröffentlichung derPrager Presse“ sowohl wie das Schweigen desPrivatbeklagten und seines Kerr sind erweislichwahr.

Diesen erweislich wahren Tatsachen setztder Privatbeklagte in Nr. 422 des „BerlinerTageblatt“ die unwahre Behauptung entgegen, daßdie Mitteilung in das Reich der einfachen Lügegehöre. In den auf diese Nachricht folgendenBriefen an Leser seiner Zeitung steigert derPrivatbeklagte den Vorwurf dadurch, daß er dieBehauptung lügenhaft nennt, von lügenhafter Ge-schichte spricht und dem Privatkläger ohne alleNotwendigkeit und ohne Zusammenhang Reklamesuchtund Reklamebedürfnis vorwirft.

Diese Behauptung des Privatbeklagten, zweiwahre Behauptungen des Privatklägers seien Lügeusw. ist sonach erweislich unwahr und stellteine üble Nachrede bezw. eine Verleumdung gegenden Privatkläger dar.

Nun ist allerdings zuzugeben, daß auch Be-leidigungen auf Grund des § 193 StGB straffreibleiben können. Nach der Rechtsprechung ist je-doch die Anwendung dieser Bestimmung bei üblerNachrede und Verleumdung außerordentlich erschwert

/ R.G. Räte Kommentar 1926 Seite 599. / Denkbarist sie aber auch bei diesen Delikten, wenn dieVerletzung der fremden Ehre das gebotene Mittelder eigenen Rechtsverteidigung ist. / ebenda, S.601 / War es nun geboten, gegenüber dem Privat-kläger von Lüge, lügenhaften Geschichten, lü-genhaften Behauptungen und Reklamesucht zusprechen? Um das zu entscheiden, kommt es nachder Rechtsprechung darauf an, ob der Privatbe-klagte nach seinem Bildungsgrad und seinenAusdrucksmöglichkeiten auch mit anderen Ausdrük-ken seinen Standpunkt verteidigen konnte. / L. c.S. 609, R.G. 44, S. 113, J.W. 43, S. 368–371 /

Nun dürfte es gerichtsnotorisch sein, daßder Privatbeklagte zwar, wie alle von der Sen-sation lebenden Journalisten, von Bedenken nichtsehr gequält wird, aber ein hervorragender Sti-?list von seltenen Ausdrucksmöglichkeiten ist.Hatte dem Privatbeklagten also nur daran gele-gen, seinen Standpunkt zu wahren, so müßte er,wenn er bei der Wahrheit bleiben wollte, sagen,daß zwar alles, was der Privatkläger gesagt hat,wahr ist, daß aber die ihm zu Grunde liegendeQuelle die Unwahrheit gesagt habe. Wollte derPrivatbeklagte – er hätte damit schon leisedie Grenzen der berechtigten Interessen über-schritten – die Unwahrheit sagen, so hätte erzur Not auch noch behaupten können, die Mittei-lungen des Privatklägers seien unwahr. Indemer aber immer wieder von Lügen, lügenhaften Ge-

schichten u.a. spricht und plötzlich auch nochden Vorwurf der Reklamesucht hineinbringt, zeig-te er, daß es ihm neben der Wahrung berechtigterInteressen auch darauf ankam, den Privatkläger zu kränken, ihm vor seinen Lesern eins auszu-wischen und ihn in der öffentlichen Meinung herab-zusetzen. / R.G. Räte, S. 608 unten, S. 609,Anm. 16 – / Damit aber kann nicht allein von Wah-rung berechtigter Interessen nicht mehr dieRede sein, sondern die gewählten Ausdrücke be-weisen auch, daß die in evtl. Wahrung berechtigterInteressen ausgesprochene Beleidigung nichtstraffrei bleiben kann, weil die gewähltenAusdrücke klar die Absicht der Beleidigung er-geben. / Vgl. die oben angeführte Literatur /Mit Recht sagt R.G. in J.W. 43, S. 368, 371 undR.G. Recht 1908, S. 386, daß das Wort Lüge stattdes ja ausreichenden Ausdrucks Unwahrheit immerdie Absicht der Beleidigung ergibt, die alsExzeß auch nach § 193 StGB strafbar bleibt. Nichtnur die Art der gewählten Ausdrücke, also dieForm der Notiz und insbesondere die verächtlicheForm der Briefe führen diese Entscheidung her-bei, sondern auch die Umstände / R.G. Räte Kom-mentar S. 610 /: Die Art, wie der Beklagte derbeschimpfenden Notiz des Kerr, die von Verleum-dung, Schmähblattl, unsauberen Händen u.a.spricht, beitritt, wie er im Anschluß an ihre / wie obengezeigten / unwahren Behauptungen den raffinier-ten Ausdruck „einfache Lüge“ gegen den Kläger

schleudert, wie er diesen dann in den Briefenan die Leser zum üblen Reklamehelden stempelt,das alles spricht für die Absicht der Beleidi-gung.

Dafür spricht auch, daß der Privatbeklagte bewußt wahrheitswidrig behauptet, dem währenddes Krieges von den österreichischen Behördenfortgesetzt verfolgten Privatkläger Beweis: Zeugnis des Bürgermeisters Seitz in Wien sei es im Kriege außerordentlich gut gegangen, ersei garnicht der Heros, als der er sich aufspie-le, und vor allem die immer wiederholte Betonung,der Privatkläger suche hauptsächlich Reklame.

Der Privatbeklagte will jetzt den Vorwurf desReklamebedürfnisses dadurch beweise, daß derPrivatkläger seine Zeitschrift an den Litfaßsäu-len plakatiere. Ganz abgesehen davon, daß diebezahlte Verwendung eines legitimen Mittels derAnkündigung kein Beweis für Reklamesucht ist,wird auch das „Berliner Tageblatt“ fortwährendan den Litfaßsäulen plakatiert.

Beweis: Auskunfta. der Firma „Berek“ Berliner Anschlag u. Reklame-wesen G.m.b.H., Berlin SW 19.,Roßstraße 6. b. des Magistrats der StadtBerlin.

Dies dürfte ebenso gerichtskundig sein, wiedie Tatsache, daß das „Berliner Tageblatt“ nebstPlakaten herumgetragen wird. Der Privatbeklagte scheint aber die Errungenschaften der freienKolportage nur für sich haben zu wollen. Unwahr

ist es, daß in den Plakaten des Privatklägers Schimpfworte enthalten gewesen seien. Das Plakatder letzten Nummer trug lediglich den Titeldes Heftes: „Der größte Schuft im ganzen Land …Das aber ist kein Schimpfwort, sondern dieCharakterisierung eines Denunzianten durch einZitat. Wenn sich außerdem Alfred Kerr, gebore-ner Kempner-Kempinski durch die Wendung belei-digt fühlt, so mag er es doch wagen, genau wieder Privatkläger den Schutz der Gerichte anzu-rufen. Jedenfalls kann durch das übliche Plaka-tieren von Zeitschriften niemals der Vorwurfder Reklamesucht bewiesen werden.

Demgemäß hat der Privatbeklagte seine Befug-nisse weit überschritten und wird daher gemäߧ 193 StGB für seine Äußerungen einstehen müs-sen. Daß er sich hinter diese Bestimmung ver-schanzt, beweist nur, wie groß seine Furcht da-vor ist, seine Behauptungen beweisen und denWahrheitsbeweis des Privatklägers über sich er-gehen lassen zu müssen. Aber vergeblich rechneter damit, daß das „Berliner Tageblatt“ allesschreiben und jeden Menschen besudeln darf, ohnedafür zur Rechenschaft gezogen zu werden undohne je die Wahrheit seiner Behauptungen erwei-sen zu müssen.

Der Widerklage des Privatbeklagten wird mitRuhe entgegen gesehen. Obwohl in diesem Prozeßder Privatkläger den Beweis erbringen wird, daßKerr durch eine unsaubere Verpflichtung ans

Tageblatt gelangt ist, so hat er das bisherdoch nie behauptet. Die Stelle in seinem Vor-trag lautet vielmehr übereinstimmend mit derKlagesschrift und mit dem letzten Heft derFackel“ nach dem Manuscript wörtlich folgen-dermaßen:

Ich weiß, daß es ein frecher Schwindel/ des Kerr / ist, wenn vor den Lesern desBerliner Tageblatts so getan wird, als obich mir diese Worte eines Sterbenden, dasvon ihm behauptete Faktum, unmittelbar zueigen gemacht hätte. Denn ich habe bloßdarin die Schande erblickt, daß die in derPrager Presse‘ enthaltene Beschuldigungunwidersprochen geblieben ist. Dieser Um-stand macht sie allerdings hinreichendglaubhaft, selbst wenn es nicht die Worteeines Sterbenden wären, die als Lüge hinzu-stellen schon psychologisch schwer fiele.Was aber den Herrn Theodor Wolff anbelangt,so werde ich ihm geeigneten Ortes Gelegen-heit bieten, zu beweisen, daß sie unwahr sind.Sollte ihm dies gelingen, so würde ihm immernoch der Beweis mißlingen, daß ich gelogenhabe, als ich behauptete, der Sterbende habejene Worte gesprochen.

Sollte Herr Fehling etwas anderes bekunden,so wird ihm durch das Manuscript und etwa 100Zeugen die Unwahrheit seiner Aussage nachgewie-sen werden. Betont aber muß werden, daß diesestrittige Äußerung der Notiz im „Berliner Tage-blatt“ und den Briefen des Privatbeklagten ge-folgt ist. Diese Äußerung kann also das Verhal-ten des Privatbeklagten nicht rechtfertigen. Unddeshalb ist es an der Zeit, daß endlich einmalein deutsches Gericht auch dem allmächtigenTheodor Wolff zeigt, daß die Ehre seiner Mit-menschen genau so wertvoll ist wie die seine.Und um den Ehrenschutz für welchen Mann ich

hier bitte, das beweisen die hiermit überreich-ten Gutachten der größten deutschen Dichter der!Neuzeit, wie Wedekind, Dehmel, Zweig und Lilien-cron.

Abschrift für Gegner anbei.

gez. Dr. Botho Laserstein,Rechtsanwalt.