112.21 Brief Rolf Nürnberg an RA Botho Laserstein

Materialitätstyp:

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  • Kopie

Sender

Rolf Nürnberg
Tauenzienstr. 13a
Berlin W. 50
Datum: 25. Oktober 29

Empfänger

An: Herrn Dr. Botho Lasarstein
Landsberger Allee 55
Berlin NO
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In der Nacht vom Mittwoch, den 29. zum Donners-tag, den 30. Mai d.J. erzählte mir der Redakteur des Berliner Tage-blatts, Herr Walter v. Molo, dass er den Auftrag gehabt habe, dieKritik über ein grosses Kabarett des Berliner Westens zu schrei-ben. Diese Kritik sei von der Chefredaktion zurückgewiesen wor-den, weil das Referat von den übergeordneten Stellen als im Urteilungünstig befunden worden sei. Diese Aeusserung geschah vorZeugen und auf nochmalige Rückfrage erklärte Herr v. Molo, dassdie Besprechung nur aus diesem Grunde nicht erschienen sei. Manhabe dann einen anderen Mitarbeiter des Tageblatts hingeschickt,dessen wohlwollende Kritik auch erschienen ist.

Am Abend des 30. September besuchte Herr Dr. HannsHorkheimer, regelmässiger Filmkritiker des Berliner Tageblatts,den Film „Das Land ohne Frauen“ im Capitol. Als Herr Dr. Hork-heimer das Kino verliess, wurde er von einem Pressechef gefragt,wie ihm der Film gefallen habe. Herr Dr. Horkheimer äusserte seineschärfste Missbilligung über den Film. Die Frage des Pressechefs,ob er auch in diesem Sinne seine Kritik abfassen werde, wurdevon Dr. Horkheimer bejaht. Am nächsten Tage erbat sich Chefredak-teur Theodor Wolff ganz unvermittelt und gegen jede sonstige Ge-pflogenheit das Referat des Dr. Horkheimer über den betreffendenFilm zur Einsichtnahme. Nach der Lektüre der scharfen Ablehnungveranlasste Herr Wolff, dass ein anderer Mitarbeiter, Herr Szatmari dessen Tätigkeit sonst mit Filmkritik nichts zu tun hat, in denFilm geschickt wurde und darüber schrieb. Auch hier kam so (ver-mutlich durch Einflussnahme des betr. Vergnügungs-Etablissements)eine bedeutend günstigere Kritik zustande.

Rolf Nürnberg