112.22 Brief Rolf Nürnberg an RA Botho Laserstein

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Rolf Nürnberg
Tauentzienstr. 13a
Berlin W. 50
Datum: den 31. Oktober 1929

Empfänger

An: Herrn Dr. Botho Laserstein
Landsberger Allee 55
Berlin NO. 18
Seite von 6

Abschrift.

Sehr geehrter Herr Doktor,

als gestern der Brief verlesen wurden,hörte ich, dass zwei Kleinigkeiten unrichtig sind, die wir in derEile der damaligen Abfassung wohl übersehen hatten: der Redakteur des Berliner Tageblattes heisst natürlich nicht Walter v. Molo,das ist der Vater, sondern Kurt v. Molo.

Dann ist Herr Szatmari nicht reingeschickt worden, sondernder war aus privatem Interesse – seine Gattin ist Filmschauspiele-rin – am selben Tage in dem Film.

(Ich möchte zu der weiter unten abgegebenen Erklärung gleichvorwegnehmen, man kann nie wissen, wozu man’s braucht, dass dieFrau des Herrn Szatmari sich während der Vorführung über denFilm sehr lustig gemacht hat.)

Ich habe, um diese beiden Dinge richtig zu stellen, denBrief sonst wortwörtlich genau so mit den zwei Korrekturen, nocheinmal, ebenfalls mit dem Datum von damals geschrieben. Sie kön-nen den anderen natürlich auch behalten, ich wollte nur vermeidendass etwa in die Fackel Unrichtigkeiten kommen.

Nun einige tatsächliche Ausführungen zu den Ereignissenselbst, die Sie ja sicher benötigen:

Der Fall v. Molo ist meiner Meinung nach der viel wichtigereweil er eindeutiger ist und leichter bewiesen werden kann. Es istdaher wohl auch notwendig, dass sowohl Sie juristisch wie Herr Kraus journalistisch auf den Fall das Hauptaugenmerk richten. Einen Satzunter den vielen, die Herr v. Molo in der berühmten Nacht vom 29. zum30. Mai gesprochen hat, lautet: „Die Kritik wurde zurückgewiesen,weil sie zu schlecht war.“ Ich bin jederzeit bereit, diesen Text zubeschwören, da ich ihn mir sofort noch im Restaurant ins Notizbuch ge-schrieben habe. Natürlich sagte Herr v. Molo viel mehr. Auch das kannich alles beschwören. Die beiden Zeugen des Vorganges, nach denen Siemich gestern fragten waren Herr Dr. Kurt Pinthus, W. 30, Heilbronner-str. 2, und Fräulein Eugenia Nikolajewa, Wilmersdorf, Emserstr. 14. Vorallen Herrn Dr. Pinthus machte ich, sofort nachdem Herr v. Molo ge-gangen war, auf das Vorkommnis aufmerksam. Er war auch ausser sich u.hat es sich ziemlich genau gemerkt; ich rief ihn heute an und er er-innert sich noch immer genau an den Vorfall.

Hier wird, wie ich annehme, als Ausrede vom Tageblatt gebrauchtwerden, dass die Kritik aus stilistischen Gründen oder wegen Unreifedes Herrn v. Molo zurückgewiesen wurde. Dieser Ausrede, wenn sie wirk-lich gebraucht wird, kann man sofort damit begegnen, dass Herr v. Molo über viel wichtigere und entscheidendere Dinge geschrieben hat, alsüber das Kabarett der Komiker und dass man diese wichtigeren Sachennicht zurückgewiesen hat. Anstelle des Herrn v. Molo hat ein HerrSuhrkamp geschrieben, der natürlich genau so subaltern und stilistischeher schlechter ist. Also dieser Fall scheint ganz klar und unerhörtbedeutungsvoll, denn es ist doch wohl ganz ausgeschlossen, dass Herr

v. Molo sich diese Sachen ausgerechnet nachts um 1 Uhr Herr Dr. Pinthus und mir gegenüber aus den Fingern saugt. Wie gesagt, ich kann in dieserSache vollkommen ausführlich und eingehend aussagen.

Etwas schwieriger liegt, wie ich Ihnen schon sagte, der FallHorkheimer. Die Darstellung in meinem Brief, stammt, wie ich Ihnenebenfalls schon sagte, von Herrn Moritz Seeler, Augsburgerstr. 25.Der Pressechef, der mit Herrn Horkheimer gesprochen hat, ist HerrGeza v. Cziffra. (Die Adresse werde ich versuchen, noch zu besorgen.)Dass Herr Horkheimer mit der Kritik beauftragt wurde, unterliegt kei-nem Zweifel, das wird er ebenfalls aussagen. Interessant ist nunmehrfolgendes: Als gestern die Verlesung des Briefes in den Berliner Lo-kalen bekannt wurde, sagte Herr Dr. Blass, ein anderer Filmkritikerdes Berliner Tageblatts: Mir ist erzählt worden, Herr Horkheimer seiam Morgen des betreffenden Tages erkrankt.(!!) Herr Erich Hamburger,Redakteur des Berliner Tageblatt wiederum hat erklärt, die Kritik seinur etwas zu spät gekommen. Schon diese verschiedenen Aussagen sind jahochinteressant. Unklar bleibt folgendes: wenn die Kritik etwas zu spätgekommen ist, dann konnte man doch Herrn Szatmari erst ziemlich spätbeauftragen. Auch seine Kritik muss zu spät gekommen sein. Also ichglaube, auch mit dem Fall Horkheimer wird die Chefredaktion des Tage-blattes es schwer haben, wenn auch die Sache nicht ganz so einfach liegtwie im Falle v. Molo, der ein Musterbeispiel ist. Diese Ausreden, dassdie einen sagen, Herr Horkheimer war krank, die anderen, er habe dieKritik zu spät geschickt, habe ich vor allen Dingen auch mitgeteilt zudem Zwecke, dass man sie vielleicht vorwegnehmen kann, ehe es von denanderen in einem eventuellen Prozess oder öffentlich behauptet wird.

Nun noch etwas sehr Interessantes und mit diesen Dingen eng Zu-sammenhängendes:

Als dieser Film „Das Land ohne Frauen“, über den Herr Horkheimer der scharfe, nicht, aber Herr Satmari, der sanfte, schrieb, war Rund-funkkritiker des Berliner Tageblattes Herr Hans Philipp Weitz. Dieserdamals noch beim Tageblatt angestellt Rundfunkkritiker, war gleichzei-tig als Propagandist bei der Tobis, einer der Herstellerinnen des Filmestätig. Herrn Weitz hat auch z.B. bei Herrn Dr. Pinthus, der über denFilm im Acht Uhr Abendblatt schrieb, angerufen und um eine gute Rezen-sion gebeten; eine Bitte, die natürlich erfolglos blieb. Zeuge Dr. Pin-thus. Aber es wäre interessant, einmal Herrn Weitz unter seinem Eidezu fragen, was er, der schon bei anderen Blätter intervenierte, beimTageblatt versucht und erreicht hat. Herr Weitz überwarf sich kurzeZeit darauf mit dem Tageblatt und verliess es. Das Tageblatt behauptet,wegen der Nebenbeschäftigungen des Herrn Weitz; Herrn Weitz, der natür-lich auch eine etwas zweifelhafte Persönlichkeit ist (dieser Brief istnatürlich nicht zum öffentlichen Vortrag bestimmt) sagte aber, das Ta-geblatt hätte von seiner nebenamtlichen Tätigkeit seit Jahren gewusstund diese sogar geduldet(!!), (siehe beiliegenden Tatbericht, speziellPunkt 17) nun aber auf dringende Forderungen von ihm nach Gehaltserhö-hung auf einmal seine nebenamtliche Tätigkeit als Vorwand benutzt, umihn loszuwerden. Tatsache ist, dass sein Nachfolger, Herr Lothar Band,Belle Alliancestr. 22, Berlin SW. 61, nur um etwas die Hälfte odernoch etwas geringeres Gehalt bekommt, das Herr Weitz bezogen hat.

Wenn diese Vorwürfe, die Herr Weitz gegen den leitenden Mann des Ber-liner Tageblatts, Herrn Dr. Carbe, der ein guter Freund von TheodorWolff ist, erhebt, zutreffen, dass nämlich Dr. Carbe die auf jedenFall zu verurteilende Tätigkeit des Herrn Weitz geduldet hat, so

lange Herr Weitz ihm gefällig war, (vor allem Punkt 13 c und d) unddass er erst unter Berufung auf die Incompatibilität seiner verschie-denen Stellungen mit ihm brach, als er Gehaltserhöhung wollte, wäredies doch grotesker als alles andere.

Herr Weitz wird als Zeuge in dem Prozess das sicherlich gernunter seinem Eide aussagen, möglicherweise noch manches andere, daer wohl auf das Tageblatt nicht gerade gut zu sprechen ist. Ich abernatürlich kann beeiden, dass Herr Weitz diese Darstellung mir und an-deren schriftlich und mündlich gegeben hat und bin auch dazubereit.

Aus Versehen liegt diesem Brief ein Tatsachenbericht des HerrnWeitz bei, den ich mir aber sofort zurückzuschicken bitte. SolltenSie eine Abschrift dieses Berichts später in Ihren Akten haben, würdeich das merkwürdig finden, aber nicht bedauern.

Indem ich hoffe, mit diesen Ausführungen Ihnen und Herrn Kraus gedient zu haben

bin ich mit vorzüglicher HochachtungIhrgez. Rolf Nürnberg.

PS. weitere Ermittlungen schreibe ich Ihnen demnächst.

Kraus KerrWolff