112.66 Entwurf [Schriftsatz in Sachen Kraus ./. Wolff (Karl Kraus an das Landgericht I Berlin, G.Z. 10. P. 299/29)]

Schreiberhände:

  • Frieda Wacha, Bleistift
  • Frieda Wacha, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 18. Juli 1931
Seite von 3

auf Papier Dr. Samek

18. Juli 1931

Auf den Schriftsatz vom 26. Juni wird geantwortet: Dem Ver-langen des Angeklagten, daß der Privatkläger vorerst erkläre, „erhabe sich jene Behauptung Hardens nicht zu eigen gemacht“, erscheintnach den eigenen Worten des Angeklagten entsprochen, mit denen erausdrückt, es sei „nicht zu begreifen, wie der Privatkläger sichdarauf versteifen kann, daß er sich die Harden’sche Äußerung nichtzu eigen gemacht habe, und im nächsten Augenblick auszuführen ver-mag, daß ein Interesse der Öffentlichkeit daran bestehe, nachzu-prüfen, ob die Theaterkritik dem Wunsch und Willen verborgenerMachtfaktoren gehorche“. Darauf kann nur geantwortet werden, daßnicht zu begreifen ist, wie hierin ein Widerspruch erblickt werdenkann. Daß der Privatkläger sich die Äußerung Hardens nicht zu eigengemacht habe, ist in jenem Vortrag und wiederholt zum Ausdruck ge-bracht worden, und er hat sie sich ganz gewiß nicht zu eigen ge-macht, wenn sie als die Behauptung eines formellen Dienstvertragszwischen Herrn Kerr und dem Angeklagten interpretiert wird, derunter einer bestimmten Bedingung abgeschlossen worden sei. Es liegtnach der Meinung des Privatklägers von allem Anfang an eine Ver-schiebung des Sachverhalts vor, wenn Harden selbst die Behauptungdes Absurdums unterstellt wird, in jenem „Dienstvertrag“ sei dieKlausel aufgenommen worden, Herr Kerr müsse die Unternehmungen desHerrn Reinhardt günstig beurteilen. Der Privatkläger hat die Äuße-rung Hardens zitiert und als gravierend angesehen, daß ihr nichtentgegengetreten wurde, wiewohl sie an so sichtbarer Stelle wieder „Prager Presse“ zitiert war. Zu eigen gemacht hat er sich garnichts. Die Behauptung einer vertragsmäßigen Bindung, die doch dasSchulbeispiel eines leoninischen unsittlichen Vertrags ergeben hätte, sich zueigen zu machen, wäre grotesk gewesen. Was der Privatkläger ganzunabhängig von der Äußerung Hardens als seine Ansicht vertritt,ist, daß schon der bloße Übergang des Herrn Kerr aus dem Dienst-verhältnis bei der Firma Scherl in das Dienstverhältnis bei derFirma Mosse, die Herrn Reinhardt wesentlich günstiger gegenüber-steht, eine kritische Sinnesänderung in mehr oder minder beschleu-nigter Art in sich schließt. Diese Sinnesänderung ist, wie an einerflagranten Fülle von Dokumenten nachgewiesen werden kann (und wiebis zum leiblichen Erscheinen des ehedem ausgewiesenen Kritikers auf der Bühne des Herrn Reinhardt notorisch), tatsächlich erfolgt.Der Angeklagte mag mit Fug behaupten, daß die Version, jene Sinnes-änderung sei vertraglich festgelegt worden, eine Unwahrheit, gewißeine Übertreibung sei wäre . Zur Verbreitung einer solchen hat aber derPrivatkläger nicht beigetragen. Er hat sich, was immer Harden be-hauptet haben mag, nicht zu eigen gemacht, sondern nur die Nicht-beantwortung durch das Berliner Tageblatt beanstandet und er be-hauptet ganz unabhängig davon, daß eine kritische Sinnesänderungdes Herrn Kerr erfolgt ist. Was er hier für Korruption hält, istder bloße, formell natürlich an keine „Bedingung“ geknüpfte Ent-schluß des Herrn Kerr, Reinhardtkritiker eines Blattes zu werden,das dem Herrn Reinhardt mit Begeisterung entgegenkommt, nachdem erdurch Jahre bei Scherl vernichtende Urteils über ihn gefällt hatte.Diese Meinung kann selbstverständlich nicht zurückgezogen werden,sie ist nicht so sehr für den Angeklagten als für Herrn Kerr be-leidigend und erfordert eine sachliche Beweisführung. Soweit aber dieEhre des Angeklagten an der Behauptung beteiligt ist, es sei mit

Herrn Kerr ein auf Reinhardtbegünstigung abzielender Vertrag ge-schlossen worden, so wurde und wird, ganz seiner Intention entspre-chend, erklärt, daß der Privatkläger eine solche Behauptung „sichnicht habe zu eigen machen wollen und sie nicht aufstellen könne“.Eine Erklärung, daß Herr Kerr sein Urteil nicht geändert habe, ver-mag der Privatkläger nicht abzugeben. Es ist nicht zu begreifen,wie immer wieder der Versuch unternommen werden kann, in dieserlogisch und moralisch durchaus zu rechtfertigenden Vereinigungzweier Sachverhalte einen Widerspruch oder eine Unaufrichtigkeitzu erblicken. Es liegt hier eine tonfallsmäßige Verschiebung vor,indem die eine Behauptung, die nie aufgestellt wurde, fälschlichkonkretisiert wird und dadurch die andere, die aufrechterhaltenwerden muß, zu einem Gerede gestempelt wird. Durch diese Feststel-lung erscheint dem Interesse des Angeklagten hinreichend Rechnunggetragen. Das ungleich wesentlichere Interesse der Öffentlichkeitan einer Darstellung des Falles Kerr bleibt davon unberührt. Schonder Umstand, daß Herr Kerr gegen den tatsächlich erhobenen Vorwurfniemals gerichtliche Schritte unternommen hat, bringt den Sachver-halt zu eindeutigem Ausdruck. Es wäre völlig unmöglich, eine Er-klärung, die der Sache des Angeklagten gerecht wird, so zu halten,daß mit ihr die Ehre des Herrn Kerr, der keinen gerichtlichen Schutzfür sie in Anspruch genommen hat, wiederhergestellt würde. Dersichtbaren Tendenz, durch eine Erledigung des Prozesses Wolff aucheine tatsachenwidrige Bereinigung des Falles Kerr herbeizuführen,muß nachdrücklich entgegengetreten werden. Es handelt sich um keinenPrivatstreit, sondern um eine öffentliche Angelegenheit von größterkultureller Bedeutung, deren Hintergrund eben der Fall Kerr ist.Der Privatkläger verweist auf die im Schriftsatz vom … enthalte-ne Erklärung, die er, der Anregung des Gerichtes entsprechend, abge-geben hat und über deren Maß hinaus zu gehen einen Widerspruch gegenallen vorliegenden und beweisbaren Sachverhalt, der Herrn Kerr be-trifft, bedeuten würde.

KrausKerr, Wolf