121.2 Privatanklage von Karl Kraus gegen Arbeiter-Zeitung (verantw. Red. Otto Leichter) wegen §§ 23, 24 Pr.G.

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 15. April 1929
Seite von 4

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,durch:Vollmacht ausgewiesen zu 1 U 20/29

Beschuldigter: Dr. Otto Leichter, verantwortlicherRedakteur der Arbeiter-Zeitung in Wien V.,Rechte Wienzeile Nr. 97.

wegen §§ 23 und 24 Pr.G. 1 fach1 Beilage

Privatanklage.

In der Nummer 70 des 42. Jahrganges derArbeiter-Zeitung vom 11. März 1929 erschien auf Seite 3 und 4 einArtikel „Literatur vor dem Handelsgericht“. In dem letzten Absatzdieses Artikels mit der Sonderüberschrift „Die Uebung bei derFackel“ waren folgende mich betreffende Tatsachen unrichtigmitgeteilt.

1.) Dass ich in dem Vortrag und Aufsatz „Rechenschaftsbe-richt“ zum Ausdruck gebracht habe, es gehe nicht darum, was gestrichen wurde.

2.) Dass ich die Kürzungen in dem Aufsatz des Herrn FranzLeschnitzer als Vergewaltigung und Lumperei bezeichnet habe.

3.) Dass ich über das Recht Beiträge zu kürzen und abzu-ändern ganz anders denke, wenn es sich nicht um Beiträge für dieArbeiter-Zeitung, sondern um Beiträge für die „Fackel“ handelt.

4.) Dass ich mich gar nicht selten gerühmt habe, den meinemBlatte eingesendeten Manuskripte „Lichter aufgesetzt zu haben“,was sicherlich viel einschneidendere Aenderungen gewesen sindals die, die die Arbeiter-Zeitung dem Leschnitzer-Manuskriptwiderfahren liess.

5.) Dass ich es mir als Verdienst anrechnete, die Manuskripte,die mir zugegangen sind, nach Herzenslust verändert und korrigiertzu haben.

Zum Verständnis des Artikels und der Berichtigungsei bemerkt, dass Herr Franz Leschnitzer der Arbeiter-Zeitung zum60. Geburtstage Stefan Georges einen Artikel eingesendet hat, auswelchem die Arbeiter-Zeitung einen mich betreffenden Satz, ohnedie Zustimmung des Autors einzuholen, eliminierte. Herr FranzLeschnitzer hat deshalb vor dem Bezirksgericht für Handelssachen die Arbeiter-Zeitung auf Veröffentlichung der eliminierten Stellegeklagt. Der Artikel der Arbeiter-Zeitung vom 11. März 1929 be-schäftigt sich mit diesem Prozess, den ich bereits in dem AufsatzRechenschaftsbericht“ gleichfalls erwähnt und besprochen habe.

Ich habe den Beschuldigten durch meinen Anwalt Dr.Oskar Samek mit Schreiben vom 14. März 1929 aufgefordert, diese

Stellen des Artikels zu berichtigen. Das Berichtigungsschreiben lautete:

An den verantwortlichen Redakteur der ‚Arbeiter ZeitungHerrn Dr. Otto Leichter, Wien V., Rechte Wienzeile Nr. 97.Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus fordere ich die Aufnahmeder Berichtigung der in Ihrer Nr. 70 vom 11. März 1929 in demArtikel ‚Literatur vor dem Handelsgericht‘ mitgeteilten meinenMandanten betreffenden Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.

Sie schreiben: ‚So hat es wenigstens Karl Kraus ge-sagt, der in dem ‚Rechenschaftsbericht‘, mit dem wir uns ausein-andergesetzt haben, jene ‚Kürzungen‘ in dem Aufsatz des HerrnLeschnitzer auch als ‚Vergewaltigung eines Mitarbeiters‘ be-zeichnet hat, ‚an dessen Manuskript die Tat hinterrücks begangenwurde‘; das wäre – höchst schauderbar – ‚eine Lumperei gegen denEinsender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird‘. Wohlgemerktund gegen jeden Versuch einer Verdrehung gesichert; es geht garnicht darum, was gestrichen wurde, ‚Vergewaltigung‘ und ‚Lumpereisoll es sein, dass in einem Manuskript des Herrn Leschnitzer überhaupt gestrichen worden ist.‘ Die in diesem Satz enthaltenenBehauptungen sind unwahr. Es ist unwahr, dass Karl Kraus zumAusdruck gebracht hat, es gehe nicht darum, was gestrichen wurde.Es ist unwahr, dass Karl Kraus gesagt hat, es sei Vergewaltigungund Lumperei, dass in einem Manuskript des Herrn Leschnitzer überhaupt gestrichen wurde. Wahr ist, dass Karl Kraus in demRechenschaftsbericht‘ (S. 40) von der Vergewaltigung eines Mit-arbeiters gesprochen hat, ‚an dessen Manuskript hinterrücks dieTat begangen wurde und zwar ausschliesslich aus dem Grund, weilmein Name im Spiel war‘. Es ist unwahr, dass Karl Kraus gesagthat, es wäre eine Lumperei gegen den Einsender, dem ein geistigesRecht verkürzt wird. Wahr ist, dass er (S. 42, 43) gesagt hat: ‚DerBekannte, dem ich meine Entdeckung mitteilte, schwor, dass essich erweisen werde, ich hätte mit meinem Verdacht der Arbeiter-Zeitung unrecht getan, weil eine solche Lumperei in solchenpublizistischen Kreisen denn doch nicht möglich sei, eine Lumpereigegen den Einsender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird, eineLumperei gegen mich, dem er die geistige Ehre zuerkennen wollte‘.Wahr ist, dass er lediglich und ausdrücklich eine hinterrücks er-folgte Streichung und zwar die einer auf ihn bezüglichen Stellebesprochen hat.

Sie schreiben: ‚Wir wollen deshalb feststellen, dass KarlKraus, wenn es sich nicht um Beiträge für die Arbeiter-Zeitung,sondern um Beiträge für die ‚Fackel‘ handelt, über das Recht, siezu kürzen und abzuändern, ganz anders denkt‘. Diese Behauptungist unwahr. Wahr ist, dass er, wenn es sich um Beiträge für dieFackel handelt, keineswegs anders denkt.

Sie schreiben: ‚Wir können das Datum nicht zitieren, aberwir irren uns gewiss nicht, dass sich Kraus gar nicht selten ge-rühmt hat, den seinem Blatte eingesendeten Manuskripten ‚Lichteraufgesetzt zu haben‘, was sicherlich viel einschneidendere Aende-rungen gewesen sind als die, die wir dem Leschnitzer-Manuskriptwiderfahren liessen; wir lesen just in der letzten ‚Fackel‘ dieBemerkung: ‚Ganz wie der korrigierende Plan es vermöchte, den ichselbst so oft an fremde Manuskripte gewandt habe‘ und auch die,der schöpferische Anteil des Striches kann grösser sein als derdes Restes‘. Die hier ausgesprochene und mit dem Zitat verknüpfteBehauptung ist unwahr. Es ist unwahr, dass Karl Kraus sich garnicht selten gerühmt hat, den seinem Blatt eingesendeten Manuskrip-ten ‚Lichter aufgesetzt zu haben‘. Es ist unwahr, dass er dieseWorte gebraucht hat. Wahr ist, dass die in den anderen zitiertenSätzen einbekannte Aenderung an fremden Manuskripten niemalshinterrücks, sondern stets mit Wissen und Zustimmung der Autorenerfolgt ist und dass diese Aenderungen oder Streichungen nichtStellen betroffen haben, deren Tendenz der Fackel nicht genehmwar, vielmehr stilistische und künstlerische Aenderungen an Versenwaren, sogar, wie es dort ausdrücklich heisst, an berühmten Werken

der Lyrik, ‚mit dem Nachweis, wie der Organismus eines Verses, derin seiner Umgebung erstirbt, zu retten gewesen wäre‘.

Sie schreiben: ‚Aber welche Lächerlichkeit, da von einerVergewaltigung‘ des Autors zu reden, und wie sinnlos dieserAnwurf von einem, der es sich als ein wahrhaftiges Verdienst (undes kann eines gewesen sein!) anrechnet, die Manuskripte, die ihm zugegangen sind, nach Herzenslust verändert und korrigiert zuhaben!‘ Es ist unwahr, dass Karl Kraus es sich als Verdienstanrechnet, die Manuskripte, die ihm zugegangen sind, nach Herzens-lust verändert und korrigiert zu haben. Wahr ist, dass eineVeränderung und Korrektur nur dann erfolgt ist, wenn der Autordamit einverstanden und nicht, wenn es ihm gerade um die zustreichende Stelle zu tun war, in welchem Falle die Ablehnungdes Manuskriptes erfolgt wäre. Rekommandiert mit Rückschein.Dr. Oskar Samek m.p.

Die Berichtigung wurde nicht veröffentlicht.Beweis : Die Nr. 70 des 42. Jahrganges der Arbeiter-Zeitung.Das Berichtigungsschreiben vom 14. März 1929, dessenVorlage dem Beschuldigten aufgetragen werden möge.

Ich stelle durch meinen zur G.Z. 1 U 20/29ausgewiesenen Anwalt folgendeAnträge:

1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung;

2.) Ladung des Beschuldigten;

3.) Verlesung des Berichtigungsschreibens und der vorgelegtenZeitungsnummer;

4.) Bestrafung des Beschuldigten und Erkenntnis auf Veröffentli-chung der Berichtigung;

5.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Hand mitihm des Eigentümers: Sozialdemokratische Partei Deutschösterreichs,des Verlegers und Herausgebers: Verlag der Arbeiter-Zeitung Dr.Adler-Emmerling, sämtliche Wien V., Rechte Wienzeile Nr. 97, zumErsatz der Verfahrenskosten.

Karl Kraus.