125.166 Berufungsschrift der klagenden Partei (an das Landesgericht für Z.R.S. Wien)

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Seite von 6

Dr. S/Fa.

G.Z. 7 Cg 322/32

An dasLandesgericht für ZRS. Wien.

Klagende Partei und Berufungswerberin: Verlag „Die Fackel“ Herausgeber Karl Kraus prot.Firma inWien III., Hintere Zollamtsstrasse 3,

durch:

Beklagte Partei und Berufungsgegnerin: Die Stadt Frankfurtam Main als Konzessionärin der Frank-furter Städtischen Bühnen, zuhandendes Magistrates Frankfurt am Main

durch:Dr. Richard Pressburger,Rechtsanwalt inWien I., Kärtnerring Nr. 12.wegen Rmk. 2.000.–,

wegen Feststellung des Bestandes eines Auf-führungsvertrages und wegen dessen ErfüllungStreitwert zusammen S 5.000.–

2 fach1 Rubrik

Berufungsschrift der klagenden Partei.

Wir erheben gegen das Urteil des Landes-gerichtes für ZRS. Wien vom 28. Dezember 1933 G.Z. 7 Cg 322/32/32zugestellt am 26. Januar 1934, dieBerufung an das Oberlandesgericht Wien.

Wir fechten dieses Urteil im Punkte 2)(Abweisung des Begehrens, die beklagte Partei sei schuldig,das Stück „Die Unüberwindlichen“ in der nach Rechtskraftdes Urteiles nächsten Spielzeit, und zwar in der Zeit vom1. Oktober bis 31. Dezember, jedoch nicht in der Zeitzwischen 8. Dezember und 21. Dezember aufzuführen) und imPunkte 4) (Abweisung des Mehrbegehrens über 1000 Mark)an.

Als Berufungsgründe werden geltend gemacht:

1.) Unvollständige und unrichtige Beweiswürdigung:2.) unrichtige rechtliche Beurteilung.

Zu 1.) Das Urteil erster Instanz, dass seine Gründeso ausgezeichnet logisch und ausführlich darstellt, ist übereinige Tatsachen hinweggegangen, die wahrscheinlich zu eineranderen Auffassung geführt hätten, wenn das Gericht sieberücksichtigt hätte. Von besonderer Wichtigkeit ist die Höheder erzielten Einnahme der durch das Leipziger Ensemble vorgenommenen Ersatzvorstellung. Das Gericht erwähnt inseiner Tatbestandsdarstellung lediglich das Vorbringen derbeklagten Partei, dass die Tageseinnahme den Betrag vonReichsmark 141.65 erbracht habe und geht über die im vor-bereitenden Schriftsatz aufgestellte Behauptung der klagen-den Partei hinweg, dass nach der eigenen Tantiemenverrech-nung der beklagten Partei eine Einnahme von Rmk. 951.97 er-

zielt worden ist, eine Behauptung, die von der beklagtenPartei niemals widersprochen wurde und deren Richtigkeitvon ihr bei der Streitverhandlung vom 28.12.1933 zuge-standen worden ist, wo der Beklagtenvertreter zur Wider-legung der Tatsache, dass eine Vorlesung eine Einnahmevon etwa 1000 Mark erbracht hätte, vorbrachte, dass dieAufführung des Stückes im Frankfurter Schauspielhause bloss eine Einnahme von 900 Rmk. ergeben habe. Es istnun ein grosser Unterschied, ob die Tageseinnahmen141.– Rmk. oder 951 Rmk. ausgemacht haben. Eine Tages-einnahme von 141 Rmk. würde ein vollständiges Desinteres-sement des Publikums an dem Stücke von vornherein be-kunden, eine Tageseinnahme von 951 Rmk. zeigt das Gegen-teil. Dass den damaligen Einnahmen von 951 Rmk. Ausgabenin der Höhe von 1750 Rmk. entgegenstanden, ist für dieBeurteilung des Falles vollkommen bedeutungslos, weildie Heranziehung eines fremden Ensembles, die Zureise-kosten und die Verrechnung der sonstigen Ausgaben, wieHerstellung der Dekorationen etc. auf eine einzige Auf-führung angerechnet selbstverständlich ein krasses Miss-verhältnis bezeugen muss, da normalerweise Zureisekostenund hohe Gastspielkosten nicht in Betracht kommen unddie Kosten der Dekorationen sich auf eine Reihe von Aufführungen verteilt. Dazu muss noch in Erwägung gezogenwerden, was ja Gerichtsbekannt sein dürfte, dass Erst-aufführungen deshalb schon eine geringere Einnahme er-geben, weil ein grosser Teil der Karten an die Zeitungenversendet wird und auch das Publikum nicht immer sofortdie Erstaufführung besucht, sondern die Kritiken in denZeitungen abwartet. Dabei ist es von weniger Bedeutung

ob diese Kritiken eine günstige oder missgünstige Ein-stellung haben, sondern es ist von grösserer Bedeutung,dass diese Kritiken dem Publikum das Thema des Stückes be-kannt machen.

Der zweite wichtige Punkt in welchem dasUrteil erster Instanz an einem eindringlichen Beweiser-gebnis vorübergegangen ist, ist gerade der Punkt derKritiken. Aus diesen hat das Gericht auf eine vollständigeAblehnung des Stückes durch das Publikum geschlossen. Eshat aber unberücksichtigt gelassen, dass diese Kritikennicht auf einwandfreie Weise zustande gekommen sind. Sehrinstruktiv ist in dieser Hinsicht die Kritik und die Aus-sage des Zeugen Dr. Otto Bringezu. Dieser Zeuge hat anHerrn Dr. Kronacher ein Schreiben vom 10. November 1932 ge-richtet, in welchem er gegen die Aufführung des Stückes Stellung nimmt. Schon die Einleitung dieses Briefes istvon besonderer Merkwürdigkeit und zeigt, dass hier eineabgekartete Stellungnahme gegen das Stück vorliegt. HerrDr. Bringezu will Herrn Dr. Kronacher trotz mancher Be-mühungen telefonisch nicht erreicht haben und bittet daherbrieflich um die Auskunft, ob es wahr sei, dassder Spielplan des Schauspielhauses wieder mit einemStück belastet werden solle, das seinerzeit – im Februar –fast zu einem Theaterskandal geführt hätte. “ Dass dieserBrief an Herrn Dr. Kronacher auf diese fiebelmässige Artzustande gekommen wäre, war der klagenden Partei vonvornherein unglaubwürdig und sie verlangte daher bei derEinvernahme des Zeugen Bringezu die Fragestellung an ihn,wie dieser Brief entstanden war und da zeigte sich, dassdieser Brief von Anfang bis Ende eine Konstruktion war.

Keine Rede davon, dass Herrn Bringezu von vielen SeitenGerüchte herangetragen wurden, dass er trotz mancher Be-mühungen Herrn Dr. Kronacher telefonisch nicht habe erreichenkönnen, keine Rede davon, dass es ihm unmöglich gewesenwäre, diese Angelegenheit mit Herrn Dr. Kronacher zu bereden,sondern wahr ist, dass Herr Dr. Kronacher Herrn Bringezu dessen feindselige Einstellung gegen das Stück erkannte,anfangs November 1932 telefonisch angerufen hat, und ihmmitteilte, dass er genötigt sein werde, das Stück wiederauf den Spielplan zu setzen. Warum Herr Dr. Kronacher gerade HerrnBringezu angerufen hat, sagt dieser zwar nicht. Da aberdie Klage im Oktober 1932 eingebracht worden ist, so istes klar, dass Herr Dr. Kronacher sich Herrn Bringezu alsBundesgenossen gegen das Stück und zur Abwehr einer Auf-führungsverpflichtung gewinnen wollte, und Herr Bringezu gesteht auch offen zu, dass Herr Kronacher sich in dieser Ansicht Erwartung nicht getäuscht habe, dass er sofort gegen dasStück Stellung genommen habe und dass Herr Kronacher ihngebeten habe , diese seine Anschauungen über diese Ange-legenheit brieflich mitzuteilen. Aber obwohl der Sachver-halt so war, scheut sich Herr Dr. Bringezu doch nicht, denverlangten Brief mit einer heuchlerischen und verlogenenEinleitung zu versehen, als ob er aus freien Stücken geschrieben worden wäre und als ob er zuerst versucht hätte,diese seine Ansicht Herrn Kronacher telefonisch mitzuteilen,während es in Wirklichkeit doch so war, dass Herr Kronacher das Stück nicht aufführen wollte und die Mitteilung derAnsicht an sich veranlasste. Dieselben Umtriebe wurdenoffenbar auch schon aus Anlass der Ersatzaufführung durch

das Leipziger Komödienhaus gemacht und es genügt wohl, aufdie Kritik des Frankfurter Generalanzeigers hinzuweisen, diemit den Worten eingeleitet ist: „Solange ein Institut durchGerichtsurteil gezwungen werden kann, ein unter andererLeitung angenommenes Stück zur Aufführung zu bringen …und auf die Kritik der Frankfurter Nachrichten, unter-zeichnet mit O.B., die Chiffre für Herrn Otto Bringezu,der schon bei der Ersatzaufführung erklärte, sie sei einAusweg gewesen, Herr Dr. Kronacher, der Nachlass-Erbe desdamaligen Intendanten, habe die Aufführung hinausgezögert,bis ihm mit gesetzlichen Massnahmen gedroht wurde. Sowohldie Behauptung, dass die Aufführung durch ein Gerichtsur-teil erzwungen worden war als dass Herr Kronacher ein voneinem andern angenommenes Stück gezwungenermassen aufführenmusste, sind wie die Beweisstücke im Prozess ergeben, voll-ständig unrichtig erlogen . Herr Kronacher war es selbst, welcherbegeistert die Aufführungserlaubnis erbat, seine Aufführungs-verpflichtung lag damals lediglich in dem Vertrag und nichtin einem Gerichtsurteil. Wenn man nicht annehmen will, dassdie Journalisten sich diese Tatsachen erdacht erfunden haben, somuss man zu dem Schluss kommen, dass Herr Kronacher selbstdie unrichtigen Informationen erteilt hat. Seine Verbindungmit der Presse zur Obstruierung der Vertragserfüllung gehtalso daraus klar hervor.

Alle diese Umstände wurden vom Richtererster Instanz nicht beachtet.