130.20 Brief Otto Schabbel an RA E. Lion

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Otto Schabbel
Speersort
Hamburg
Datum: 2. Sept. 1929
Betreff: Karl Kraus

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt Dr. E. Lion
Gänsemarkt
Hamburg
Seite von 2

Abschrift!

Sehr geehrter Herr Doktor!

Der mit Ihrem Schreiben vom 28. August übermittelteVergleichsvorschlag des Herrn Kraus kann so leider nicht angenommenwerden. Im einzelnen erlaube ich mir dazu folgendes zu bemerken:

Die Zahlung einer Busse ist vom Gesetz an die Voraus-setzung geknüpft, dass die Beleidigung nachteilige Folgen für die Ver-mögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mitsich gebracht hat. Ich kann nicht annehmen, dass dies für Herrn Kraus der Fall gewesen sein sollte. Deshalb kann auch im Vergleichswege vonder Zahlung einer Busse keine Rede sein.

Auch die von Herrn Kraus vorgeschlagene Erklärung kannin dieser Form von den Hamburger Nachrichten nicht gebracht werden, dasie tatsächliche Behauptungen enthält, die von uns nicht nachgeprüftwerden können. Im übrigen geht der übermittelte Wortlaut über den An-trag der Zivilklageschrift weit hinaus.

Da aber, was nunmehr auch die Ansicht des Herrn Kraus zu sein scheint, auch von einer Zurücknahme einer von einem an-deren aufgestellten Behauptung durch mich oder durch Herrn Dr.Hartmeyer keine Rede sein kann, erlaube ich mir die Abschrift einesBriefes des Herrn Dr. Albrecht an Herrn Kraus vom 26.Juli ds.Js. bei-zufügen und mit Bezugnahme darauf vorzuschlagen, dass die Hamburger

Nachrichten eine Erklärung des Herrn Dr. Albrecht bringen, die dieser imEinvernehmen mit Herrn Kraus selbst abzugeben hätte. Ich wäre bereit,das Bedauern der Schriftleitung über den Bericht des Dr. Albrecht gleich-zeitig zum Ausdruck zu bringen.

Da ich den Bericht guten Glaubens im Vertrauen auf dieuns durch langjährige Mitarbeit in unserem eigenen Redaktionsstab ge-nügend gewährleistet erschienene Sachkenntnis des Herrn Dr. Albrecht in Druck gegeben habe, sehe ich mich leider nicht in der Lage, weitereZugeständnisse zu machen.

Da der Klagantrag in der Zivilsache durch nichts ge-rechtfertigt ist, insbesondere irgendein Beweis für einen etwa entstan-denen Schaden überhaupt nicht angetreten ist, ist der Verlag der HamburgerNachrichten auch nicht gesonnen, im Vergleichswege entgegen allem Brauchsämtliche Gerichts- und Anwaltskosten zu übernehmen.

Wie Herr Dr. Albrecht uns zu dem erwähnten Briefe nochmitteilt, ist er bisher trotz Erinnerung ohne Antwort von Herrn Kraus geblieben. Herr Kraus scheint demnach auf jeden Fall zwei Prozesse gegenuns führen zu wollen. Wir fürchten deren Ausgang nicht. Lediglich umein langjähriges Gerichtsverfahren zu vermeiden und die dafür benötigteZeit nutzbringend verwenden zu können, ist der Verlag der HamburgerNachrichten unter voller Wahrung seines Rechtsstandpunktes bereit, HerrnKraus zu den bereits entstandenen Spesen einen Betrag von RM 100.– bei-zusteuern, falls er mit dem oben mitgeteilten Erklärungsvorschlag ein-verstanden ist und sich verpflichtet, beide Klagen zurückzunehmen.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Doktor, meinen Stand-punkt Herrn Kraus übermitteln zu wollen, und sehe einer baldigen Rück-äusserung entgegen.

Hochachtungsvollgez. Otto Schabbel.