130.12 Klage von Karl Kraus gegen 1.) den Schriftleiter Otto Schnabbel, 2.) den Zeitungsverleger Hermann Hartmeyer, Streitgegenstand: 2000

Materialitätstyp:

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Datum: 8. Juli 1929
Seite von 4

Abschrift

HAMBURG, den 8. Juli 1929.

An dasLandgericht Hamburg Zivilkammer 11

Klagedes Schriftstellers Karl Kraus,Wien III., Hintere Zollamtsstr. 3 Klägers

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lion

gegen

1.) den Schriftleiter Otto Schabbel,

2.) den Zeitungsverleger Dr. HermannHartmeyer

beide Hamburg, Speersort 11.Beklagte

Streitgegenstand: 2.000.–

Die Beklagten werden zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreites vor das Land-gericht Hamburg Zivilkammer 11 zu dem vorstehend verzeichneten Termingeladen mit der Aufforderung, einen bei diesem Gerichte zugelassenen Rechtsanwalt zu bestellen undetwaige gegen die Behauptungen der Klage vorzubringenden Einwendungen und Beweismittel un-verzüglich durch den zu bestellenden Anwalt in einem Schriftsatz dem Kläger und dem Gerichtmitzuteilen.

Wir werden beantragen:

1) Das Urteil gegebenenfalls gegen Sicherheitsleistung (§§ 710, 713 Abs. 2 Z.P.O.)für vorläufig erstreckbar zu erklären;

2.) zu erkennen:

die Beklagten werden als Gesamtschuldner kosten-pflichtig verurteilt, in den Hamburger Nachrich-ten unter der Rubrik Kunst und Wissenschaft fol-gende Notiz ohne Zusatz zu veröffentlichen:

„In unserer Abend-Ausgabe vom 8. Mai 1929findet sich unter der Überschrift ‚Karl Kraus:Die Unüberwindlichen‘ die Angabe, dass Karl Kraus vor einem Plagiatsvorwurf Otto Ernst Hesse nichtgerade rühmlich bestanden habe. Diese Angabenehmen wir hiermit zurück, da sie nicht zutrifft“.

Der Kläger ist der Begründer und Herausgeber derim 31. Jahrgang erscheinenden Zeitschrift „Die Fackel“; erhat ferner eine grössere Anzahl Prosawerke und Dichtungenin Buchform veröffentlicht. Sein Name als Schriftsteller hatinternationale Geltung.

Im Frühjahr 1929 wurde in Dresden ein Drama desKlägersDie Unüberwindlichen“ aufgeführt. Die HamburgerNachrichten brachten hierzu in ihrer Abend-Ausgabe vom 8. Mai1929 eine Besprechung, die folgenden Satz enthält:

Es handelt sich dabei um ein Werk des viel umstrittenenWiener Literaten Karl Kraus, Herausgeber derFackel‘ der erst jüngst vor einem Plagiatsvor-wurf Otto Ernst Hesses nicht gerade rühmlich be-stand.

In diesem Satz wird ausgesprochen, dass O.E. Hesse den Klägereines Plagiats bezichtigt habe und dass der Kläger bei dem

Versuch, diesen Vorwurf abzuwähren, hineingefallen sei. Andieser Behauptung ist kein wahres Wort. Weder hat der Kläger jemals ein Plagiat verübt, noch hat O.E. Hesse ihm den Vorwurfeines Plagiats gemacht. Der Kläger ist mit O.E. Hesse nur in-soweit einmal in Berührung gekommen, als der Kläger dem Hesse nachgewiesen hat, dass Hesse sich durch eine Dichtung vonPaul Zech hat beeinflussen lassen. Die Zeitungsnotiz stelltdiesen Sachverhalt auf den Kopf und behauptet ein Plagiatdes Klägers und einen dahingehenden Vorwurf des O.E. Hesse.

Die unzutreffende Behauptung des Blattes stellt,indem sie den Kläger eines literarischen Diebstahls verdäch-tigt, einen schweren Angriff auf dessen Berufsehre dar. Esliegt der Tatbestand der §§ 185, 186 STGB. vor, und der Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz gemäss §§ 823, 824, 826 BGB.Für diesen Anspruch haftet ihm der Beklagte 1.) als der ver-antwortliche Schriftleiter. Neben dem Beklagten 1.) haftetdem Kläger der Beklagte 2.), welcher Hauptschriftleiter undVerleger ist, gemäss § 830 BGB. als Mittäter oder Gehülfe;hülfsweise haftet er für die Handlung des Beklagten 1.) nach§ 831 BGB.

Die Zurücknahme der beleidigenden Äusserung istals Wiederherstellung nach § 249 BGB. in der Rechtsprechunganerkannt. (vgl. RG. Räte § 823 Anm. 13a). Die genaue Fassungdes Widerrufs ist schon in der Urteilsformel erforderlich,um eine klare Zurücknahme der beanstandeten Äusserung durchdie Beklagten durchzusetzen.

Der Vollständigkeit halber wird erwähnt, dass auf

eine Aufforderung des Klägers gemäss § 11 PressG. die Ham-burger Nachrichten eine Berichtigung gebracht haben. Durchdiese wird aber der Schadensersatzanspruch des Klägers nichtberührt. Die Berichtigung des Beteiligten muss bekanntlichnach dem PressG. abgedruckt werden, ohne dass der Schrift-leiter ihre Richtigkeit nachzuprüfen hat, und hat daher fürdie Öffentlichkeit nur den Wert einer einseitigen Gegenäus-serung. Erst durch die Zurücknahme der unwahren Behauptungdurch die Zeitung selbst wird die objektive Unrichtigkeitder Behauptung vor der Öffentlichkeit erkennbar gemacht.

Für den Kläger:Der Rechtsanwalt:Dr. Lion