130.13 Privatanklage von Karl Kraus gegen Otto Schnabbel (RA E. Lion an das Amtsgericht Hamburg)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 10. Juli 1929
Seite von 3

Abschrift

Hamburg, den 10. Juli 1929.

An dasAmtsgericht Hamburg,Abteilung für Strafsachen.

Aktenzeichen:

Privatklage

des Schriftstellers Karl Kraus,Wien III., Hintere Zollamtsstr. 3,Privatklägers,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lion,

gegen

den Schriftleiter Otto Schabbel,Hamburg, Speersort 11 (Hamburger Nachrichten)Privatbeklagten.

Der Privatbeklagte wird beschuldigt, zu Hamburg am 8. Mai 1929 in Beziehung auf den Privatkläger eine Tatsache behauptet und verbreitet zu haben,die den Privatkläger verächtlich zu machen undin der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen ge-eignet ist, und zwar öffentlich und durch Ver-breitung von Schriften.

Vergehen gegen §§ 185, 186, 200 StGB.

In der Abendausgabe der Hamburger Nachrichten vom8. Mai 1929 erschien in der Abteilung für Kunst und Wissenschaft,für die der Privatbeklagte als verantwortlicher Schriftleiter benannt ist, eine Besprechung über die Dresdner Aufführungeines vom Privatkläger verfassten Stücks „Die Unüberwindlichen“.In dieser Besprechung findet sich folgender Satz:

Es handelt sich dabei um ein Werk des viel umstritte-nen Wiener Literaten Karl Kraus, Herausgeber derFackel‘, der erst jüngst vor einem PlagiatsvorwurfOtto Ernst Hesses nicht gerade rühmlich bestand.

Die mit diesen Worten aufgestellte Behauptung, dass gegen denPrivatkläger mit Grund der Vorwurf eines Plagiats erhobenwäre, ist unwahr. Der Kläger ist als Begründer undHerausgeber der seit 30 Jahren erscheinenden ZeitschriftDie Fackel“ und als Verfasser vieler Schriften weitbekannt.Dass der Privatkläger darauf angewiesen wäre, seine Gedankenvon anderen Autoren zu entlehnen, und dass er einer derartigenHandlung überhaupt fähig wäre, ist bei Kenntnis seiner Per-sönlichkeit eine völlig undiskutierbare Unterstellung. In Wahr-heit hat auch niemals Otto Erst Hesse dem Kläger den Vorwurfeines Plagiats gemacht, sondern umgekehrt hat nur der Privat-kläger in der „Fackel“ einmal dem Hesse nachgewiesen, dassdieser sich durch eine Dichtung von Paul Zech hat beeinflus-sen lassen.

Das Unterfangen, einem namhaften Schriftsteller ineiner verbreiteten Zeitung eine unehrenhafte Handlung nachzu-sagen, ist verwerflich und ist im vorliegenden Fall umso un-

verantwortlicher, als hier die beanstandete Äusserung in demgegebenen Zusammenhang ganz überflüssig war. Denn es solltedas Bühnenstück des Privatklägers besprochen werden, undoffenbar nur, dem bei der Presse nicht beliebten Privat-kläger mit aller Gewalt etwas anzuhängen, ist der angeblichePlagiatsvorwurf hineingebracht worden, der mit dem Themanichts zu tun hat.

Es wird daher beantragt, den Privatbeklagten zubestrafen und dem verfügenden Teil des Urteils in denHamburger Nachrichten bekannt zu geben.

Anbei:

1. Vollmacht2. Strafantrag.

Für den Privatkläger:Der Rechtsanwalt:Dr. Lion