130.19 Brief RA E. Lion an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

Dr. E. Lion
Gänsemarkt 62
Hamburg 36
Datum: 4. Sept. 1929
Betreff: Kraus ./. Hamburger Nachrichten
Diktiersigle: L.

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt | Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Das Amtsgericht hat auf die Privatklage inzwischen das Hauptverfahren eröffnet, hat aber auf die Nachricht,dass Vergleichsverhandlungen schweben, das gerichtliche Verfahrenbis zur Stellung weiterer Anträge durch uns ruhen lassen.

Jetzt geht von Herrn Schabbel der anlie-gend in Abschrift mitgeteilte Brief ein, zu dem ich folgendes be-merken möchte:

Richtig ist es, dass im Strafverfahren auf eine Busse nur erkannt werden kann, „wenn die Beleidigungnachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oderdas Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt“ (§ 188 des Straf-gesetzbuchs). Diese Voraussetzung möchte ich ohne weiteres für ge-geben halten. Ich habe aber im Strafverfahren einen Antrag aufBusse bisher nicht gestellt, weil nach § 188 Abs. 2 eine Busse dieGeltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs ausschliesstund hierdurch unser zivilrechtlicher Anspruch gefährdet werdenkönnte. Natürlich steht nichts im Wege, vergleichsweise eine Bussezu beanspruchen.

Richtig ist ferner der Hinweis des Gegners,dass die vergleichsweise geforderte Erklärung weitergeht als un-ser Antrag im Zivilverfahren. Im Zivilverfahren durfte der An-

trag kein Wort mehr enthalten, als für die Rücknahme der Beleidi-gung erforderlich ist.

Unrichtig ist der Hinweis, dass ein Beweis füreinen Schaden nicht angetreten sei und dass aus diesem Grunde dieGegenseite nicht die Kosten zu übernehmen brauche. Der Schadenliegt nach der Auffassung der Rechtsprechung schon in der Ver-öffentlichung der beanstandeten Sätze selbst und der Klagantragauf Rücknahme der Behauptung zielt auf Ausgleich eben diesesSchadens ab.

Ich habe dem Gegner, für den Fall des Vergleichs,und der Übernahme aller Kosten durch ihn, folgende Rechnung aufge-stellt:

Busse RM 200.–Ihr Kostenanspruch. RM 80.–

Privatklageverfahren.Gerichtskosten. RM 15.–Anwaltskosten. RM 40.–

Zivilverfahren.Gerichtskosten bei Klagrücknahme. RM 12.50Prozessgebühr RM 75.–Vergleichsgebühr. RM 75.–Zustellungskosten. RM 1.90Umsatzsteuer. RM 1.40Porti, Belegstücke RM 2.45RM 503.25.

Für den Fall, dass wir nicht zum Vergleich kommen,hat der Gegner mit folgenden Kosten zu rechnen:

Im Privatklageverfahren Geldstrafe.Gerichtskosten RM 30.–Anwaltskosten RM 60.–

Im Zivilverfahren werden die Beklagten möglichen-falls den Klaganspruch anerkennen und haben dann ausser ihren

eigenen Anwaltskosten zu tragen

Gerichtskosten RM 50.–meine Anwaltskosten RM 112.50.

Ausserdem wird das Gericht vermutlich eine Gebühr für Sie mitRM 75.– zubilligen. – Falls die Gegner nicht anerkennen, sondernverurteilt werden, erhöhen sich die Kosten für sie um gesamtRM 237.50 einschliesslich ihrer eigenen Anwaltskosten.

Ich hoffe Ihnen hiermit ein ausreichend klaresBild gegeben zu haben, sodass Herr Kraus zu dem Gegenvorschlag desHerrn Schabbel Stellung nehmen kann.

Mit kolleg. HochachtungDr. Lion

KrausHamburgerNachrichten II6. SEP. 1929