130.33 Schriftsatz [Replik] in Sachen Karl Kraus gegen Otto Schabbel, Hermann Hartmeyer (RA E. Lion an das Landgericht Hamburg, Z. XI 566/29)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 2. Dezember 1929
Seite von 5

Abschrift

2. Dezember 1929.

-E. Termin 4. Dezember 9 1/2 Uhr.

An dasLandgericht Hamburg,Zivilkammer 11.

Z.XI.566/29.

Replik

in der Sache

Kraus (RA. Dr. Lion)

gegen

1. Schabbel 2. Hartmeyer (RA. Dr. Bintz)

1.) Es ist einerlei, ob der beanstandete Bei-trag von einem Mitglied der Schriftleitung stammt oder voneinem am andern, namentlich genannten Mitarbeiter. Gleichgül-tig ist auch, ob die Behauptungen des Verfassers den Beklag-ten als zuverlässig erscheinen konnten; für den Tatbestandder üblen Nachrede (§ 186 StGB.) spielt der gute Glaube ander Richtigkeit der unwahren Behauptung keine Rolle.

2.) Irrig ist die Ansicht, die Berichtigung ge-mäss § 11 PG. mache den zivilrechtlichen Schadensersatz-anspruch, wie er hier erhoben wird, hinfällig. Die Berichti-

gung ist nur der erste Behelf, der von der Zeitung sofortveröffentlicht werden muss (§ 11 Abs. 2 PG.). Dieser Behelfhat den Mangel, dass er noch keinen Beweis schafft, dennder Schriftleiter muss die Berichtigung bringen, ob sie nunzutrifft oder nicht. Erst durch eine von der Schriftleitungselbst stammende Erklärung wird der Beweis geliefert, dassdie beanstandete Behauptung tatsächlich falsch war.

Die Ansicht, dass der Anspruch auf Rücknahmeeiner Pressbeleidigung nicht über die Erinnerung des Durch-schnittslesers hinausreiche, ist auf jeden Fall originell.Juristisch ist sie natürlich nicht haltbar. Der hier frag-liche Artikel ist im übrigen am 8. Mai 1929 erschienen unddem Kläger erst einige Zeit später bekannt geworden; am 6. Juniist der Unterzeichnete an die Beklagten herangetreten und hatam 8. Juli die Klage eingereicht, deren Durchführung sichnur durch die Vergleichsversuche verzögert hat.

Die Gefahr, dass Leser der Hamburger Nachrichten beim Kläger ein Reklamebedürfnis unterstellen könnten, willder Kläger auf sich nehmen. Es könnte sich hier nur um Leserhandeln, die den Fall nicht zu übersehen vermögen und dievon der Persönlichkeit des Klägers nichts wissen. DieMeinung solcher Leser ist nicht wichtig.

3.) Nachdem die Vergleichsverhandlungen geschei-tert sind, wird die Korrespondenz darüber nicht mehr in-teressieren. Heute handelt es sich nicht mehr darum, was dieBeklagten im Vergleichsstadium angeboten haben, sondern nur

noch darum, ob der hier erhobene Klaganspruch berechtigtist. Wenn aber der Briefwechsel schon vorgelegt wird, musser auch vollständig vorgelegt werden. Am 6. Juni 1929 (die-sen Brief lässt die Gegenseite weg) hat der Unterzeichnete an die Hamburger Nachrichten folgenden Brief geschrieben:

In der Anlage übersende ich Ihnen eine von Herrn Karl Kraus, Wien, unterzeichnete Berichtigung und er-suche Sie in Vollmacht des Herrn Karl Kraus gemäss§ 11 PressG., die Berichtigung in der nach Empfangder Einsendung nächstfolgenden Nummer abzudrucken.Auftragsgemäss ersuche ich Sie ferner, mit dem Ab-druck der Berichtigung Ihre unzutreffende Mitteilungvom 8. Mai mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückzu-nehmen, widrigenfalls Herr Karl Kraus gegen Siewegen der beanstandeten Äusserung Zivilklage undStrafklage wegen übler Nachrede einleiten würde.Meine schriftliche Vollmacht steht Ihnen zur Ein-sicht zur Verfügung.

Hätten die Beklagten damals mit der Berichtigung zugleichauch von sich aus die falsche Behauptung zurückgenommen, sowäre alles in Ordnung gewesen. Erst als sie es unterlassenhaben, ist, wie angekündigt, gerichtlich vorgegangen worden,wodurch natürlich Kosten entstanden sind. Die den Beklag-ten aufgegebenen Kosten sind tarifmässig berechnet.

Die Ausdrucksweise,der Kläger glaubte, die Situation benutzenzu dürfen, um eine Busse vom RM 200.– undKosten von RM 223.25 „ herauszuho-lenist durchaus unangebracht. Der Kläger hat ausdrücklicherklären lassen, dass die geforderte Busse wohltätigenZwecken dienen würde, so wie der Kläger fortgesetzt erheb-liche Teile seiner aus Schriften und Vorträgen erzieltenEinkünfte wohltätigen Zwecken zuführt; seine Zeitschrift

Die Fackel bringt hierüber genaue Ausweise. Die beanspruchtenKosten waren die des Gerichts und der Anwälte, deren Erstattungder Kläger selbstverständlich gefordert hat.

4.) Vollkommen irrig sind die Ausführungen zu§ 21 PG. § 21 ist eine Hülfsvorschrift für den Fall, dassdie Täterschaftsvermutung des § 20 nicht anwendbar ist. Imvorliegenden Fall ist aber schon die Vermutung des § 20 ent-behrlich, denn die Beklagten haben sich durch Verbreiten einer herabwürdigenden Behauptung, deren Unrichtigkeit siezugeben, selbständig eines Vergehens gegen § 186 StGB.(üble Nachrede) schuldig gemacht und sind daher als Täterohne weiteres verantwortlich (vgl. Kitzinger PG. S. 125).Zum mindesten aber greift die Vermutung des § 20 Abs. 2 durch,weil besondere Umstände, durch welche die Annahme einerTäterschaft ausgeschlossen würde, nicht vorliegen.

Der Beklagte 2) insbesondere ist Mittäter oderGehilfe des Beklagten 1). Er hat, wie regelmässig, so auchhier den Beitrag schon vor dem Abdruck gelesen. Dies istumso eher ansunehmen, als der Kläger wegen fortgesetzter An-griffe gegen die Presse bisher von den Zeitungen totgeschwie-gen zu werden pflegte und sein Name erst neuestens anläss-lich seiner Vorlesungen und der Aufführung seiner Stückegenannt wird. Ehe nun die Hamburger Nachrichten über denKläger und sein Bühnenstück einen längeren Bericht druck-ten, hat sicherlich der Beklagte 1) dem Beklagten 2) als

dem Inhaber und Hauptschriftleiter des Blatts diesen Bericht vorgelegt. Es wird gebeten, hierüber den Beklagten 2) per-sönlich zu vernehmen; notfalls wird ihm der Eid zugeschoben.

Für den Kläger: Der Rechtsanwalt: Dr. Lion