130.38 Urteil des Amtsgericht Hamburg (15. P. No. 69/29, Richter: […] Buhl)

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Datum: 14. Dezember 1929
Seite von 4

Abschrift

Amtsgericht in Hamburg.15.P.No.69/29.

Urteil.

In der Privatklagesache des Schriftstellers Karl Kraus Wien III., Hintere Zollamtsstr. 3,

Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Lion, Hamburg.

Privatklägers,

gegen den Schriftleiter Otto Schabbel,Hamburg, Speersort 11 (Hamburger Nachrichten)Angeklagten,

hat das Amtsgericht in Hamburg, Abteilung 15 für Strafsachenin der Sitzung vom 14. Dezember 1929, an welcher teilge-nommen haben:

1. Richter Buhl, als Vorsitzenderfür Recht erkannt:

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Der Privatkläger trägt die Kosten des Ver-fahrens.

Gründe:

Gegen den Angeklagten ist das Hauptverfahreneröffnet worden, weil er hinreichend verdächtig ist:

zu Hamburg in Beziehung auf den Privatkläger eineTatsache behauptet und verbreitet zu haben, welchegeeignet ist, den Privatkläger verächtlich zumachen und in der öffentlichen Meinung herabzuwür-

digen und zwar öffentlich und durch Verbreitung von Schrif-ten, nämlich durch den in den „Hamburger NachrichtenAusgabe A (Grosse Ausgabe) vom 8. Mai 1889 erschiene-nen Artikel: Karl Kraus: „Die Unüberwindlichen“;

Vergehen strafbar nach § 185 186, 200 StGB.

Der Angeklagte hat nicht bestritten, dass er alsverantwortlicher Redakteur für den am 8. Mai 1929 erschiene-nen und von Dr. Albrecht unterzeichneten Artikel in Fragekomme. Der Angeklagte hat weiter zugegeben, dass der indiesem Artikel gegen den Privatkläger enthaltene Plagiats-vorwurf unrichtig ist und hat eine Ausgabe vom 7. Juni 1929überreicht, in der die Berichtigung erfolgt ist.

Was zunächst die pressrechtliche Verantwort-lichkeit des Angeklagten anlangt, so ist der Angeklagte aufGrund § 20 des Reichsgesetzes vom 7. Mai 1874 als Redakteur verantwortlich zu machen. Nach dem von dem Angeklagten selbst vorgetragenen Sachverhalt hat das Gericht auch keineVeranlassung nehmen können, einen der im § 20 Abs. 2 desPressgesetzes vorgesehenen besonderen Umstände annehmen zukönnen, die die Annahme seiner Täterschaft ausschliessenwürden. Das Gesetz stellt zunächst eine Vermutung auf, diesolange gegen den Redakteur spricht, bis von ihm selbstdiese Vermutung entkräftet worden ist. Der Angeklagte haternstlich nicht behaupten wollen, dass die Veröffentlichungdieses Artikels ohne sein Wissen erfolgt ist; er will ledig-lich nicht die Zeit gehabt haben, sich den Artikel durchzu-

lesen; er kenne den Unterzeichner seit Jahren und habe daherunbedenklich den Artikel so veröffentlichen lassen. Hierfürist keinerlei Beweis angetreten, sodass durch die Behauptungallein die rechtliche Vermutung nicht ausgeschlossen wird, diebis zu ihrer Widerlegung auch bei einem non liquet wirkt;das hat das Reichsgericht in der Entscheidung der vereinigtenStrafsenate – Band 22 Seite 65 – eindeutig zum Ausdruck ge-bracht.

Eine andere Frage ist jedoch die, ob der Angeklagte,der an sich somit nach § 186 St.GB. zu bestrafen wäre, denSchutz des § 193 StGB. für sich in Anspruch nehmen kann. Dierechtliche Möglichkeit ist durchaus gegeben, wie auch dasReichsgericht in der oben cit. Entscheidung ausdrücklichanerkannt hat. Der Artikel enthält eine Kritik des StückesDie Unüberwindlichen“, während der dem Angeklagten zurLast gelegte Teil dieses Artikels eine Kritik des Verfassers dieses Stückes, nämlich des Privatklägers, enthält. Das Ge-richt ist nun aber der Meinung, dass ein Unterschied zwischender Kritik der Leistungen und der Person des Leistenden nichtgemacht werden kann und schliesst sich hierbei durchaus derherrschenden Meinung an (vgl. Ebermayer § 193, 5 und diedort cit. Entscheidungen). Dass dieser Plagiatsvorwurfwider besseres Wissen aufgestellt ist, hat der Privatkläger selbst nicht behauptet und das Gericht hält auch nach Sach-lage die Voraussetzungen des § 187 StGB. für nicht gegeben.§ 193 StGB. lässt somit grundsätzlich tadelnde Urteile überwissenschaftliche und künstlerische Leistungen straflos, wenn

sich nicht eben aus der Form oder den Umständen das Vorhanden-sein einer Formalbeleidigung ergibt. Ist die Kritik unrich-tig, so hat der Kritisierte das Recht der pressrechtlichenBerichtigung, ein strafrechtlicher Schutz ist ihm nur danngewährt, wenn der Boden sachlicher Kritik verlassen und dieKritik zu Formalbeleidigungen übergeht; das aber ist hiernicht geschehen. Die Voraussetzungen des § 185 StGB. liegennicht vor; die Strafbarkeit aus § 186 StGB. wird aber durch§ 193 StGB. ausgeschaltet. Der Angeklagte war deshalb frei-zusprechen und dem Privatkläger die Kosten des Verfahrensgemäss § 471 StPO. aufzuerlegen.

gez. Buhl.

Für richtige Ausfertigung:

L.S. gez. Unterschrift, Justizinspektorals Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.