130.39 Brief RA E. Lion an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. E. Lion
Gänsemarkt 62
Hamburg 36
Datum: 24. Dezember 1929
Betreff: Kraus ./. Hamburger Nachrichten
Diktiersigle: -N.

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt | Dr. Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege!

In der Privatklagesache übersende ich Ihnen in derAnlage Abschrift des freisprechenden Urteils. Dies Urteil eines sehr jugendlichen Richters scheint mir unhaltbar. § 193StGB. lautet:

Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerischeoder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äusserungen,welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechtenoder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemachtwerden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetztengegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oderUrteile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fällesind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einerBeleidigung aus der Form der Äusserung oder aus denUmständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.

Der Plagiatsvorwurf gegen Herrn Kraus steht in keinem innerenZusammenhang mit der Kritik seines Bühnenstücks, sondern istnur bei Gelegenheit dieser Kritik angebracht worden. Nach demStandpunkt des Amtsgerichts würde man einem Schriftstellerwahrheitswidrig auch Totschlag oder sonstige Schwerverbrechenungestraft vorwerfen können, sofern es im Rahmen einer Bespre-chung seiner Werke erfolgt. Ich werde dies alles in der Begrün-düng zu der von mir bereits eingelegten Berufung ausführen undIhnen zur Kenntnis bringen.

In der Zivilsache ist der anliegende weitere

Schriftsatz von der Gegenseite eingegangen, auf den ich lt.gleichfalls beigefügter Durchschrift erwidert habe.

Da der Abschluss der beiden Prozesse sich hinaus-zieht, so wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie die Überweisungeines Honorarbetrags von RM 150.– (einhundertfünfzig RM)freundlichst veranlassen wollten.

Mit kolleg. HochachtungDr. Lion

Ich setze natürlich voraus, dass Herr Kraus mit der Duchfüh-rung der Berufung im Beieidungsverfahren einverstanden ist?D.O.