130.40 Brief RA E. Lion an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • E. Lion, schwarze Tinte

Sender

Dr. E. Lion
Gänsemarkt 62
Hamburg 36
Datum: 9. Januar 1930
Betreff: Kraus ./. Hamburger Nachrichten
Diktiersigle: -N.

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt | Dr. Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 5

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich beziehe mich auf meine Zuschrift vom 24. Dezem-ber. In der Zivilsache verlief der gestrige Termin so, dass dasGericht in 3/4stündiger, gründlicher Verhandlung den Streitstoffnach allen Richtungen mit den Parteivertretern erörterte, wobeider Vorsitzende eine erstaunliche Kenntnis der zivilrechtlichenund strafrechtlichen Fragen zeigte.

Der Beklagte Schabbel hat einen Wechsel in seinerProzessstellung vorgenommen, indem er neuerdings behauptet, denArtikel in Druck gegeben zu haben, ohne dass er ihn vorher ge-lesen hätte. Ich habe darauf hingewiesen, dass er dies bishernicht einmal im Strafverfahren klar behauptet habe und dass ausAbsatz 4 seines Briefs an mich vom 26.7.1929 und Absatz 5seines Briefs an mich vom 2.9.1929 das Gegenteil herauszulesensei. Beide Briefe habe ich Ihnen ja in Abschrift übersandt.Der Gegenanwalt erklärte aber, Herr Schabbel habe den Bericht von Dr. Albrecht aus Faulheit nicht gelesen und er habe diesnur seinem Chef, Herrn Dr. Hartmeyer gegenüber nicht zugebenwollen und sich daher in seinen Briefen an mich zweideutig aus-gedrückt. Es fragt sich hier also, ob Herr Schabbel faul ist

oder seine Ausrede.

Das Gericht erklärte, im Zivilverfahren werde esHerrn Schabbel aller Voraussicht nach auch dann verurteilen,wenn er den Artikel ungelesen in Druck gegeben haben sollte;vorsichtshalber habe ich Herrn Schabbel auch den Eid überseine Kenntnis zugeschoben. Dagegen will das Gericht im Zivil-verfahren gegen den zweiten Beklagten Dr. Hartmeyer die Klageabweisen, weil es für dessen Mitverschulden keinen ausreichen-den Anhalt gegeben sieht. Ich hatte, wie es in Pressesachen sehrhäufig geschieht, Dr. Hartmeyer als Zeitungsinhaber mitverklagt,weil, wenn man nur den verantwortlichen Schriftleiter anfasst,die Gefahr besteht, dass der Zeitungsverleger diesen absetztund damit Schwierigkeiten hervorruft. Es liegt nun in unsermFall allem Anschein nach so, dass Dr. Hartmeyer von dem ganzenFall bis zur Klagerhebung überhaupt nichts gewusst hat. Wennnun Schabbel verurteilt und gegen Dr. Hartmeyer die Klage abge-wiesen wird, so ist die Kostenfolge die, dass die Gegenseitemit ihren halben Kosten aufrechnen kann, dass also unsereKosten von der Gegenseite nur zur Hälfte zu erstatten sind.Für Schabbel besteht die Möglichkeit, im Fall seiner Verurtei-lung Berufung ans Oberlandesgericht einzulegen.

Der Vorsitzende erklärte das freisprechende Straf-urteil für verkehrt. Hier liegt es nun folgendermassen. Nach§ 20 Abs. 2 PressG. ist der verantwortliche Redakteur einerZeitung als Täter zu bestrafen, wenn nicht durch besondere Um-

stände die Annahme seiner Täterschaft ausgeschlossen wird.Falls Schabbel im Berufungs-Strafverfahren geltend macht, erhabe den Artikel vor dem Druck nicht gelesen, so genügt dasallein nicht zu einer Entlastung. Falls dagegen das Zivilge-richt Herrn Schabbel den von mir zugeschobenen Eid über seineKenntnis auferlegt und Herr Schabbel schwört diesen Eid, sowird vermutlich das Strafgericht seine Nichtkenntnis als erwie-sen ansehen. Kann er dagegen im Zivilverfahren den Eid nichtleisten, so fällt er auch im Strafverfahren in zweiterInstanz hinein.

Das Zivilgericht empfahl den Parteien dringend,sich in der Weise zu vergleichen, dass der Verfasser des Ar-tikels Dr. Albrecht in der Zeitung seine unrichtige Behauptungin einer unserm Klagantrag entsprechenden Fassung zurücknimmt;das Zivil- und Strafverfahren sollen damit erledigt sein, dieGerichtskosten geteilt und jeder Anwalt von seiner Partei be-zahlt werden. Das Gericht bemerkte zur Begründung seines Vor-schlages, bei der Zeitung habe man die Unrichtigkeit derPlagiatsbehauptung nicht gekannt, den Interessen von HerrnKraus sei am besten durch eine Erklärung des Artikelschreibers selbst gedient; die Zeitung habe in den Vergleichsverhandlungenihre Bereitschaft zu einer Ehrenerklärung gezeigt, und wenndieser Vergleich an der Kostenfrage gescheitert sei, so sei zuberücksichtigen, dass man von unserer Seite durch das Verlangeneiner Busse der Gegenseite etwas viel zugemutet habe.

Das Gericht hat neuen Termin auf den 29. ds.Mts. an-gesetzt. Bis dahin sollen sich die Parteien erklären, ob sieden Vergleich annehmen wollen. Die Gegenseite, die im Terminnicht persönlich anwesend war, dürfte den Vergleich gutheissen.

Ich bitte um Ihre Entscheidung. Die Rechtslage, wiesie sich nach dem jetzigen Standpunkt des Herrn Schabbel dar-stellt und wie das Zivilgericht sie beurteilt, habe ich dar-gelegt. Rein vom Ehren-Standpunkt aus hätte ich gegen dieAnnahme keinerlei Bedenken, nachdem gestern der Vorsitzendedas freisprechende Strafurteil für unrichtig, das Verhaltendes Herrn Schabbel mindestens für fahrlässig erklärt und nach-dem er ausgesprochen hat, dass er eine Erklärung desDr. Albrecht als die beste Wiedergutmachung für Herrn Kraus ansehe. Ich würde, falls Herr Kraus zur Annahme des Vergleichsgeneigt sein sollte, diese unsern Entschluss beeinflussendenPunkte in einem Brief an den Gegenanwalt nochmals hervorheben.

Ziffernmässig würde es sich so stellen, dass uns diehalben Gerichtskosten mit rund RM 33.– von der Gegenseitezurückvergütet werden würden, während meine gesamten Gebührensich auf RM 210.– belaufen würden.

Ich erbitte Ihren Bescheid sobald wie möglich, da viel-leicht Rückfragen erforderlich sind und ich gegebenenfalls mitdem Gegenanwalt noch die Fassung des Vergleichs festlegenm öch üß te.

Mit kolleg. HochachtungDr. Lion

KrausHamburgerNachrichten 11. JAN. 1930