132.9 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. 1 U 231/29, Richter: Christoph Höflmayr)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 5. Juli 1929
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

1 U 231/293

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwartdes Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek und des Verteidigers Dr. Desider Friedmann über die Anklage verhandelt, die der Privatankläger Karl Kraus gegenDr. Desiderius Papp, 33 Jahre alt, ledigwegen der Übertretung nach § 24 (6) Pressgesetz erhoben hatte, undüber den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafungzu Recht erkannt:

Dr. Desiderius Papp wird von der wider ihn erhobenen Anklage,er sei schuldig, die Zeitung: „Neues Wiener Journalvor Erfüllung der ihm mit Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 25. Juni 1929 G.Z. 1 U 223/29 aufgetragenen Verpflichtung zur Ver-öffentlichung der von Karl Kraus verlangten Berichtigung in dem vomGerichte mit dem eben erwähnten Urteile festgestellten Ausmasse weitererscheinen lassen zu haben und habe hiedurch die Übertretung nach § 24(6) Pressgesetz begangen, nach § 259/3 St.P.O. freigesprochen.

Gem. § 390 St.P.O. hat der Privatankläger Karl Kraus dieKosten des Strafverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe .

Aus dem Impressum und den Angaben des Verteidigers hat dasGericht als erwiesen angenommen, dass der Beschuldigte während der inBetracht kommenden Zeit der verantwortliche Schriftleiter der Zeitung:Neues Wiener Journal“ war, in welcher die vom P.A.Karl Kraus verlangte Berichtigung von in der Nummer 12 757 der genanntenZeitung mitgeteilten Tatsachen auf Grund der mit hg. Urteil vom 25.VI.1929, 1 U 223/29–3 vorgenommenen Feststellung veröffentlicht wurde.

Da nach Ansicht des P.A. diese Veröffentlichung nicht in derim Pressegesetze vorgeschriebenen Weise erfolgte, erblickte der P.A. in dem Weitererscheinenlassen des Neuen Wiener Journal vor Erfüllungder dem Beschuldigten mit dem obgenannten hg. Urteil auferlegten Ver-pflichtung die Übertretung nach § 24 (6) Pressgesetz.

Das Gericht hat aus der vorliegenden Nummer 12786 des Neuen

Wiener Journal’s vom 27. Juni 1929 festgestellt, dass die Berichti-gung in dem vom Gerichte festgestellten Wortlaut in jenem Teile derZeitung veröffentlicht wurde, der die Überschrift „Gerichtssaalträgt und dem als nächste Rubrik: „Handel, Industrie, Gewerbe“ folgt.

Das Gericht hat ferner aus Nummer 12 757 der genannten Zei-tung festgestellt, dass auch der berichtigte Aufsatz in dem Teile er-schienen ist, der die Überschrift „Gerichtssaal“ trägt und dem als nächst-Rubrik: „Handel, Industrie, Gewerbe“ folgt. Es ist somit der Anfor-derung des Pressgesetzes, dass die Berichtigung im selben Teile wie dieberichtigte Mitteilung veröffentlicht werden muss, Genüge geleistetworden. Das Gericht hat sich nicht der Ansicht des Herrn Privatan-klägers angeschlossen, dass durch die Abtrennung der Berichtigung von der vorher abgedruckten Mitteilung durch einen dicken Strich einanderer Teil der Zeitung geschaffen wurde. Das Gericht ist vielmehrder Ansicht, dass die Trennung durch einen Strich ganz berechtigterWeise geschah, da sonst die Berichtigung sich nicht genügend deutlichvon dem voranstehenden Berichte: „Verurteilt und von Strafe befreitabgehoben hätte.

Der P.A. hat ferner eine nicht gesetzmässige Veröffentlich-ung der Berichtigung darin zu erblicken vermeint, dass die Berichti-gung durch ein Inserat unterbrochen wurde, sodass nach Meinung desPrivatanklägers eine der in § 23 Pressgesetz verbotenen Einschaltungenvorliege.

Das Gericht kann sich dieser Meinung nicht anschliessen,da der Zusammenhang der Berichtigung durch diese Anordnung nichtunterbrochen wird und für jeden Leser klar ist, dass die Berichtigung in der zweiten Spalte unter dem Inserat: „Das Hundert-Schilling-Preis-rätsel …“ ihre Fortsetzung findet, umsomehr, als, wie aus den vor-liegenden Nummern des Neuen Wiener Journal’s festgestellt wurde, wie-derholt Inserate im Textteile dieser Zeitung erscheinen und in dervorhergehenden Spalte begonnenen Aufsätze nach solchen Inseraten fort-laufen, ohne dass der Sinn gestört würde.

Der Privatankläger hat ferner noch inkriminiert, dass imTexte der Berichtigung unrichtigerweise das Wort: „Freispruchgesperrt gedruckt wurde, ohne dass das Berichtigungsschreiben ein Ver-langen nach einem Sperrdruck erkennen liess. Das Gericht hat festge-stellt, dass in der Veröffentlichung der Berichtigung zweimal das

Wort: „Freispruch“ gesperrt gedruckt ist, dass aber auch in derberichtigten Mitteilung in Nummer 12 757 der genannten Zeitung das WortFreispruch“ gesperrt gedruckt ist. Da § 23 (1) Pressge-setz vorschreibt, dass die Berichtigung, und dementsprechend auch dieauf Grund einer gerichtlichen Feststellung zu veröffentlichende,Berichtigung in gleicher Schrift wie die zu berichtigende Mitteilungzu veröffentlichen ist, war der Beschuldigte gezwungen, das Wort:

Freispruch“ in Sperrdruck zu bringen, da er sich sonsteiner strafbaren Handlung schuldig gemacht hätte.

Ob das Berichtigungsschreiben ein Begehren nach Veröffentlich-ung in Sperrdruck enthält oder nicht, ist ganz gleichgültig, da ledig-lich die gesetzlichen Vorschriften, nicht aber der Wille des Berich-tigungswerbers für die Art und Weise der Veröffentlichung, „inder gleichen Schrift“ massgebend sind. Da somit die Veröffentlichungder Berichtigung in vollkommen Gesetz entsprechender Weise erfolgte, war der Beschul-digte seinen, ihm mit hg. Urteil 1 U 223/29–3 auferlegten Verpflich-tungen nachgekommen und begründete daher das Erscheinen lassen derNummer 12 786 des „Neuen Wiener Journals“ nicht den Tatbestand der Übertretung nach § 24 (6) Pressgesetz.Gem. § 259/3 St.P.O. war daher der Beschuldigte freizusprechen.

Gem. § 390 St.P.O. war dem Privatankläger der Kostenersatzaufzuerlegen.

Wien, am 5. Juli 1929. Michael

Die Kosten sind einbringlich.

24./7. fix8 Tage?

Karl Kraus Neues Wr. Journal 16. JULI 1929