132.4 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. 1 U 223/29, Richter: Christoph Höflmayr)

Materialitätstyp:

  • Typoskript
Datum: 25. Juni 1929
Seite von 4

1 U 233/293

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute inGegenwart des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek des Angeklagten Dr. Desiderius Papp und des Verteidigers Dr. Desider Friedmann über die Anklage verhandelt, die der Privatankläger Karl Kraus gegenDr. Desiderius Papp, 33 Jahre alt, ledig, verantwortlicher Schriftleiter,wegen der Übertretung nach § 24 (2) 3 Pressgesetz erhoben hatteund über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Besch.und Verpflichtung zur Veröffentlichung der Berichtigung in der Zeitung:Neues Wiener Journalzu Recht erkannt: I. Es wird festgestellt, von der Berichtigung, dieder Privatankläger mit Bezug auf den in der Nummer 12 757 der Zeitung„Neues Wiener Journal“ vom 29. Mai 1929 mit der Überschrift: „KarlKraus will die unentgeltliche Ankündigung seiner Vorträge erzwingenabgedruckten Artikel dem verantwortlichen Schriftleiter Dr. DesideriusPapp der erwähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen liess, istzu veröffentlichen:

Sie veröffentlichen: „(Karl Kraus will die unentgeltliche An-kündigung seiner Vorträge erzwingen.) Der Presserichter beim Strafbe-zirksgericht I, Vizepräsident Dr. Höflmayer, verhandelte gestern überzwei von Karl Kraus, dem Herausgeber der ‚Fackel‘, gegen die verant-wortlichen Schriftleiter der ‚Neuen Freien Presse‘ und des ‚Tag‘ ein-gebrachten Berichtigungsklagen. Im Konzerthaus fanden an einem Tageein Liederabend und ein Vortrag Karl Kraus statt. Da in den Konzert-hausankündigungen der genannten Blätter der Vortrag nicht angekündigtwar, verlangte Karl Kraus die Veröffentlichung einer Berichtigung, dadurch den Sammeltitel ‚Im Konzerthaus‘ der Anschein der Vollständig-keit des Programms erweckt würde, was nicht den Tatsachen entspreche.Die Berichtigung wurde verweigert und auch das Gericht fällte mit derBegründung einen Freispruch, dass es sich um eine bezahlte Einschaltungeiner Konzertdirektion handle.

Es ist unwahr, dass Karl Kraus, da in den Konzerthausankündigungender genannten Blätter der Vortrag nicht angekündigt war, die Veröffent-

lichung einer Berichtigung verlangte, weil durch den SammeltitelIm Konzerthaus“ der Anschein der Vollständigkeit erweckt würde.Wahr ist, dass der Sammeltitel der den Anschein der Vollständig-keit erweckte, „Wiener Konzerthaus.“ gelautet hat.

Wahr ist, dass Karl Kraus die Veröffentlichung einer derar-tigen Berichtigung lediglich von dem Schriftleiter der „NeuenFreien Presse“ verlangt hat. Wahr ist, dass er vom Schriftleiter des „Tag“ die Berichtigung einer in der Nummer vom 7. Mai 1929 veröffentlichten Notiz „Theaterskandal in Dresden. Bei der Pre-miere Karl KrausDie Unüberwindlichen‘.“ verlangt hat, in welcherberichtet wurde, es sei dem Publikum mitgeteilt worden, dass CamilloCastiglioni gegen die Verwendung einer Figur, durch die er ver-körpert werden sollte, Einspruch erhoben habe und daß diesem Einspruchestattgegeben worden sei, dass ferner, während die Sozialdemokratenapplaudierten, die Bürgerlichen ein Pfeifkonzert begannen und Stink-bomben warfen und schliesslich, dass die Vorstellung unter allge-meinem Lärm zu Ende geführt wurde. Wahr ist, dass der verantwort-liche Schriftleiter des „Tag“ zwar freigesprochen, aber vom Ge-richt verhalten wurde, den grössten Teil der Berichtigung zu ver-öffentlichen.

Es ist unwahr, dass das Gericht einen Freispruch des ver-antwortlichen Schriftleiters der „Neuen Freien Presse“ mit derBegründung fällte, dass es sich um eine bezahlte Einschaltungeiner Konzertdirektion handle. Wahr ist, dass das Gericht denFreispruch damit begründete, dass die verlangte Berichtigung denpressgesetzlichen Bestimmungen über das Berichtigungsrecht nichtentspreche, weil in der berichtigten Stelle nicht davon die Redesei, dass an diesem Tage „lediglich“ der Liederabend im Konzert-hause stattfand.

II. Dr. Desiderius Papp wird verpflichtet, diesen Teil derBerichtigung in der nächsten oder zweitnächsten Nummer, die nachVerkündigung des Urteiles erscheinen wird in demselben Teil dergenannten Zeitungen und der gleichen Schrift, wie die zu berichtigen-de Mitteilung zu veröffentlichen, widrigenfalls die genannte Zei-tung nicht mehr erscheinen dürfte.

III. Dr. Desiderius Papp wird von der Anklage wegen Übertretungnach § 23 und § 24 (2) 3 Pr.G., angeblich begangen dadurch, dasser als verantwortlicher Schriftleiter der genannten Zeitung sich

grundlos weigerte, die vorerwähnte Berichtigung zu veröffentlichen,gem. § 259/3 St.P.O. freigesprochen.

IV. Der P.A. Karl Kraus hat gem. § 390 St.P.O. die Kosten desStrafverfahrens zu tragen.

Entscheidungsgründe :

Durch das Impressum, bezw. die Angaben des Beschuldigten ist er-wiesen, dass Beschuldigter in der in Betracht kommenden Zeit der ver-antwortliche Schriftleiter der Zeitung „Neues Wiener Journal“ war,dass er das in Betracht kommende Berichtigungsschreiben erhalten hatund dass seit Erhalt desselben mehr als zwei Nummern der genannten Zei-tung erschienen sind, die verlangte Berichtigung aber nicht veröffent-licht wurde.

Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des Beschuldigten,die verlangte Berichtigung zu veröffentlichen grundlos war.

Die Stelle … unwahr ist, dass Karl Kraus die unentgeltlicheAnkündigung seiner Vorträge erzwingen will; wahr ist, dass Karl Krausdie Aufnahme einer Berichtigung erzwingen will, beinhaltet keine Tat-sachenberichtigung. In dem Satze des berichtigten Artikels, dass KarlKraus die unentgeltliche Ankündigung seiner Vorträge erzwingen will,ist die persönliche Ansicht der Zeitung wiedergegeben. Diesbezgl. konnteder verantwortliche Schriftleiter die Veröffentlichung der Berichtigung ablehnen. (Entsch. d. Obersten Gerichtshofes 5 Os 131/29 v. 22.II.29)

Die übrigen Einwendungen der Verteidigung waren nicht gerechtfer-tigt.

Es war zulässig, dass der Berichtigungswerber den ganzen, seiner-zeit im „Tag“ veröffentlichten Aufsatz in die Berichtigung aufnahm, daer nur dadurch die Unrichtigkeit der Behauptung, beide Pressklagenseien wegen der unterlassenen Ankündigung des Vortrages des P.A. erhoben worden,deutlich dartun konnte, dass er mitteilte, welchen Inhalt der Aufsatz im „Tag“ hatte.

Es war auch zulässig, dass berichtigt wurde, daß der Sammeltitel indem berichtigten Artikel nicht: „Im Konzerthaus“, sondern:Wiener Konzerthaus“ gelautet hatte, weil dies gegenteiligeTatsachen sind.

Wenn der Beschuldigte ferner vermeinte, zwischen: „fällte …Freispruch“ und „… zwar freigesprochen, aber vom Gericht verhalten

wurde, den grössten Teil der Berichtigung zu veröffentlichenbestehe kein berichtigungsfähiger Gegensatz, muss dieser Ansichtgegenüber gehalten werden, dass durch die Bestimmungen des § 24Pr.G. ein Freispruch ohne Verpflichtung zur Veröffentlichung derBerichtigung, aber auch ein Freispruch gilt mit Verpflichtung zur Ver-öffentlichung möglich ist.

Da die verlangte Berichtigung die oben erwähnte Stelle ent-hielt, die keine Berichtigung mitgeteilter Tatsachen ist, war derBeschuldigte berechtigt, die Veröffentlichung der ganzen Berich-tigung abzulehnen. (§ 23 Pr.G.)

Gem. § 24 (3) Pressgesetz hatte das Gericht festzustellen,was von der verlangten Berichtigung zu veröffentlichen ist, die-ser Feststellung gemäss auf Veröffentlichung zu erkennen und denBeschuldigten freizusprechen.

Eine Folge des Freispruches war gem. § 390 St.P.O. der dem P.A. aufzuerlegende Kostenersatz.

Die übrigen Aussprüche des Urteils gründen sich auf diebezogenen Gesetzesstellen.

Wien, am 25. Juni 1929.

Kahlert

KrausNeues Wr.Journal VI.6. JUNI 1929