132.2 Privatanklage von Karl Kraus gegen Neues Wiener Journal (verantw. Red. Desiderius Papp) wegen §§ 23, 24 Pr.G.

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. Juni 1929
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,durch:Vollmacht zu 1 U 186/29 bereits ausgewiesen

Beschuldigter: Dr. Desiderius Papp, verantwortlicherSchriftleiter des „Neuen Wiener JournalsWien I., Biberstrasse Nr. 5.

wegen §§ 23/24 Pr.G.

1 fach 2 Beilagen

Privatanklage.

Ich habe gegen den verantwortlichen Schrift-leiter der „Neuen Freien Presse“ Dr. Julian Sternberg zur G.Z.1 U 187/29 des Strafbezirksgerichtes I in Wien und gegen denverantwortlichen Schriftleiter des „TagJosef Koller zur G.Z.1 U 186/29 Berichtigungsklagen eingebracht gehabt. Der Sach-verhalt des ersteren Prozesses war eine Ankündigung der „NeuenFreien Presse“, dass am 29. April 1929 im Wiener Konzerthaus im Kleinen Saal ein Liederabend stattgefunden hat, wobei ver-schwiegen worden war, dass am selben Tag im Grossen Saal eineVorlesung, die ich abhielt, stattfand. Der Gegenstand des zweitenProzesses war ein Bericht über einen Theaterskandal in Dresden bei der Premiere meines Dramas „Die Unüberwindlichen“. DieHauptverhandlungen in beiden Angelegenheiten fanden am 28. Mai1929 statt. Der verantwortliche Redakteur der „Neuen FreienPresse“ wurde von der Anklage mit der Begründung freigesprochen,dass die verlangte Berichtigung den pressgesetzlichen Bestimmun-gen über das Berichtigungsrecht nicht entspricht, „weil in derberichtigten Stelle nicht davon die Rede ist, dass an diesemTage lediglich der Liederabend Jessie King und nicht auch andereVeranstaltungen im Konzerthause stattfanden,“ der verantwortlicheRedakteur des „Tag“ mit der Begründung, dass zwei Punkte des Be-richtigungsschreibens dem Pressgesetz nicht entsprechen, weil zueiner Antithese die bezügliche Behauptung in dem berichtigtenAufsatz fehle, in dem berichtigten Aufsatz behauptet wurde, dassdem Publikum etwas mitgeteilt wurde und nur diese Mitteilung nichtaber der Inhalt der Mitteilung berichtigt werden könnte und dassin der berichtigten Mitteilung für einen Satz der Berichtigungkeine Rechtfertigung enthalten sei.

Am 29. Mai 1929 in der Nr. 12757 veröffentlichtdas „Neue Wiener Journal“ einen Prozessbericht, in dem fälschlichbehauptet wurde, dass ich die unentgeltliche Ankündigung meinerVorträge erzwingen wolle, dass der Prozess sowohl gegen den Schrift-leiter der „Neuen Freien Presse“ als auch des „Tag“ wegen der Nicht-

ankündigung meines Vortrages geführt wurde und dass das Gericht in beiden Fällen einen Freispruch fällte, weil es sich um einebezahlte Einschaltung einer Konzertdirektion handle.

Ferner war behauptet worden, dass der Sammeltitel, ausdem ich die Vollständigkeit des Berichtes geschlossen und dieBerechtigung zur Berichtigung abgeleitet habe, „Im Konzerthausgelautet hat.

Ich habe diesen Prozessbericht des „Neuen Wiener Jour-nals“ durch meinen Anwalt mit Berichtigungsschreiben vom 12.Juni 1929 berichtigen lassen. Die Berichtigung wurde dem Be-schuldigten am 18. Juni 1929 zugestellt. Die Berichtigung wurdein den Nummern vom 19. und 20. Juni nicht veröffentlicht.

Beweis : Das Berichtigungsschreiben vom 12. Juni 1929(Rückschein wird zur Verhandlung mitgebrachtwerden). die Nr. des „Neuen Wiener Journals“ vom 29.5.1929.

Ich stelle durch meinen zur G.Z. 1 U 20/29 aus-gewiesenen Anwalt folgendeAnträge,1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung;2.) Ladung des Beschuldigten;3.) Verlesung des Berichtigungsschreibens und der vorgelegtenZeitungsnummer;4.) Bestrafung des Beschuldigten und Erkenntnis auf Veröffent-lichung der Berichtigung;5.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Handmit ihm des Herausgebers und Eigentümers des „Neuen WienerJournalsLippowitz & Co., vertreten durch Dr. Karl Reichl Wien I.,Biberstrasse Nr. 5 zum Ersatz der Verfahrenskosten.

Karl Kraus.

Ich bitte, die Verhandlung nichtfür den 2. Juli 1929 auzuberaumen.

KrausNeues Wr. Journal