136.27 Schriftsatz in Sachen Die Fackel ./. Die Volksbühne (RA Otto Joseph an das Kammergericht Berlin, G.Z. 27. U.1609.31)

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 20. April 1931
Seite von 9

Abschrift.

Berlin, den 20. April 1931

D.

An dasKammergericht,Berlin.

In SachenVolksbühne gegen Fackel 27. U. 1609.31

wird namens der Beklagten und Berufungs-klägerin noch folgendes ausgeführt:

IDas angefochtene Urteil geht davon aus,dass der zwischen den Parteien geschlosseneAufführungsvertrag die Frage, ob das Stück in den Abendspielplan zu übernehmen ist,nicht ausdrücklich regelt, sondern dass hierdie ergänzende Vertragsauslegung einzugreifenhabe.

Nach diesseitigem Erachten gehen dieAusführungen des angefochtenen Urteils, diedarauf hinzielen, dass grundsätzlich davonauszugehen sei, dass das Stück infolgeseines Erfolges zu wiederholen ist, fehl.

Der Aufführungsvertrag sieht in § 3 ausdrück-lich vor, dass die Aufführung „zunächstin einer Matinee stattzufinden hat“. Dasbedeutet grundsätzlich, dass vorläufig nurdie Verpflichtung zur Aufführung einerMatinee besteht. Der Sinn des Vertrages gehtdahin, dass die Volksbühne berechtigt seinsoll, das Experiment einer einmaligen Matineedas unstreitig immer mit hohen Kosten ver-

bunden ist, für sich und damit auch für denAutor durch eine Übernahme in den Abendspiel-plan gewinnbringend zu gestalten. Der Vertragzielt also dahin, dass der Autor nicht, wenndie Volksbühne ein erfolgreiches Matinee ge-startet hat, berechtigt sein soll, die weitereAuswertung des Stückes einer anderen Bühnezu überlassen. Daraus erklärt sich auch dieBestimmung des § 6 des Vertrages, der derVolksbühne eine Auswertung der Matinee bis zum1. Januar 1931 gestattet.

Dass die Volksbühne sich auf keinen Fallfür eine Serie von Vorstellungen binden wollte,ergibt sich aus den Bekundungen des ZeugenFischer, dass Direktor Neft wünschte, dass dasStück zunächst in Form einer Matinee gespieltwurde, da man ja erst nach Erfolg sagen könne,was weiter geschehe und ob man das Stück amAbend spiele…. Nunmehr war im § 3 der Zusatzzunächst in Form einer Matinee“ eingefügt.

Aus dieser Bekundung ergibt sich mit vollerDeutlichkeit die Absicht der Parteien (DirektorFischer war für die Verhandlungen seitens desKlägers bevollmächtigt), die Frage der Über-nahme in den Abendspielplan offen zu lassen und!nicht schon eine Bindung für den Fall des Er-folgs einzugehen. Denn nach der wörtlichenBekundung des Zeugen Fischer waren beideVertragschliessenden der Ansicht, dass dieMatinee einen Erfolg bringen würde und dass

nach dem Erfolg die Parteien sich darüberschlüssig machen wollten, was weiter mitdem Stück geschehen solle.

Daraus ergibt sich nach diesseitigerAnsicht, dass selbst für den Fall eines Er-!folges eine Verpflichtung der Beklagtennicht bestand, das Stück in den Abendspiel-plan zu übernehmen, sondern dass lediglichhierüber nach der Matinee weitere Be-sprechungen stattfinden sollten.

IISelbst wenn man, wie das angefochteneUrteil, davon ausgehen sollte, dass das Stück im Falle eines Erfolges weiter zu spielensei, muss geprüft werden, ob ein Erfolgim Sinne der allgemeinen Anschauung vonTheatererfolgen vorgelegen hat. Das ange-fochtene Urteil geht davon aus, dass einErfolg unbedingt schon dann zu verzeichnensei, wenn ein Stück starken Applaus undgute Kritiken gefunden hat. Dies ist auchim Sinne des Autors sicherlich ein Erfolg,nicht aber ein Erfolg nach den hier zugrundezu legenden allgemeinen für den Theater-betrieb geltenden Anschauungen. Der hiervorliegende Fall ist nicht vereinzelt,sondern es kommt häufig im Theaterleben vor,und dies dürfte gerichtsbekannt sein, dasseine Aufführung einen starken künstlerischen

Wert hat, dass aber im theaterüblichen Sinnedeshalb nicht von einem Erfolg gesprochen werdenkann, weil das Publikum sich für die gebotenenWerke nicht interessiert und infolgedessen Handin Hand mit einem künstlerischen Gelingen einstarker finanzieller Misserfolg geht.

Bei der Aufführung der „Unüberwindlichenist dies der Fall gewesen. Dass die Erstauf-führung des Stückes verhältnismässig stark be-sucht war, ist selbstverständlich ohne jedeBedeutung für die weitere finanzielle Erfolgs-möglichkeit des Stücks. Der Autor, der seitJahrzehnten die Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien herausgibt, hat eine, für eine derart exclusiveZeitschrift verhältnismässig grosse Gemeinde inBerlin, die sich selbstverständlich für die Auf-führung eines Stückes dieses Autors starkinteressierte und sich deshalb die Matinee ansah.Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführungen, dassdieses Publikum für eine Serie von Theaterauf-führungen überhaupt nicht ins Gewicht fällt,sondern vermutlich zum grössten Teil bereitsdurch die einmalige Matinee erfasst worden ist.

Weiterhin werden selbstverständlich, wieweiterhin gerichtsbekannt sein dürfte, zu einerderartigen Matinee zahllose Einladungen an diePresse, und die den Autor und dem Theater nahe-stehende Personen versandt. Dass eine solche ein-malige Matinee verhältnismässig recht gut besuchtwerden kann, ohne dass sich ein Masstab dafür finden

lässt, ob das reguläre Theaterpublikum auchnur das geringste Interesse für Stück undAufführung hat – lediglich auf das reguläreTheaterpublikum kann es ankommen, wenn einStück allabendlich gespielt werden soll –haben offenbar beide Parteien nach dem künst-lerischen Gelingen der Matinee eingesehen,und beide Parteien wussten augenscheinlichnoch nicht, welche Resonanz dieses künst-lerische Gelingen bei dem regulären Theater-publikum und speziell bei dem Volksbühnen-publikum haben würde.

Aus diesem Grunde und gerade um dem Autoreine weitere Chance zur Übernahme in den Abend-spielplan zu geben, ist eine zweite Matineeangesetzt worden. Es dürfte keinem Zweifelunterliegen, dass, wenn wirklich Interesseeines breiteren Publikums, und sei es auchnur der breiteren Schichten des Volksbühnen-publikums, vorhanden gewesen wäre, für diesezweite Matinee ein starker Vorverkauf begonnenhätte. Die Ansicht des angefochtenen Urteilsist irrig, dass ein schwacher Besuch einerNachmittagsvorstellung noch nichts für etwaigeAbendvorstellungen besagen will.

Diese Schlussfolgerung könnte richtigsein, wenn es sich um eine Nachmittagsvor-stellung eines regelmässig abends gespieltenStücks handeln würde. Aber gerade wenn ange-zeigt wird, dass wegen starker künstlerischer

Resonanz eine Matinee einmal wiederholt wird,müssen alle Interessenkreise gerade den Versuchmachen, für diese, nach Ansicht des Publikumsnur einmalige Wiederholung, Karten zu bekommen.Gerade die Anzeige einer nochmaligen Matineehätte also einen viel stärkeren Vorverkauf habenmüssen, als die Anzeige, dass das Stück eineregelmässige Wiederholung von Aufführungenerfahren würde. Der Vorverkauf für diese ein-malige Matinee ist aber wider alles Erwartenschlecht gewesen.

Es wird Beweis angetreten durch Gutachteneines gerichtlichen Sachverständigen aus denKreisen der Theaterdirektoren, dass der Vorverkauffür die zweite Matinee, solange er gelaufen ist,ein derartig schlechter war, dass unbedingt miteinem geradezu katastrophalen finanziellenErgebnis für die zweite Matinee zu rechnen war.

Unter diesen Umständen war auch die Be-klagte berechtigt, den Vorverkauf vorzeitigabzubrechen, da sie, die seit JahrzehntenTheatergeschäfte kennt, genau wusste, dass miteinem einigermassen künstlerischen Ergebnisfür die zweite Matinee nach den ersten Tagendes Vorverkaufs überhaupt nicht mehr zu rechnenwar.

Durch die Ankündigung der zweiten Matinee,durch die Eröffnung des Vorverkaufs für eineWiederholung wollte die Beklagte feststellen,ob auch ein finanzieller Erfolg des Stückes zu

erwarten sei. Sie musste zu ihrem grösstenBedauern feststellen, dass das Gegenteil der Fallwar und konnte nun sagen, was weiter mit dem Stückgeschehen solle, nämlich, dass es nicht in denAbendspielplan übernommen werden könne.

Die Beklagte hätte bereits nach der erstenMatinee erklären können, dass sie weitere Auf-führungen im Abendspielplan nicht vormehren wolle,da hierüber noch kein Vertrag zustande gekommenwar, sie hat dies aber nicht getan, hat vielmehrdem Autor eine weitere Chance der zweiten Matineegeben wollen und hat aus dem Vorverkauf ersehenmüssen, dass von einem Erfolg im Theatersinn keineRede sein kann, weil von einem Erfolg schon ganzallgemein nicht gesprochen werden kann, wenn einkrasser finanzieller Misserfolg vorliegt. DieBeklagte ist also auch aus dem Gesichtspunktzur Übernahme in den Abendspielplan nicht ver-pflichtet, da ein Erfolg nicht vorgelegen hat.

IIIDie Zuerkennung der Vertragstrafe an denKläger wegen der von der Beklagten vorgenommenenStreichungen ist nicht berechtigt.

Der Zeuge Kentner hat an Hand des Regiebucheswie er in seiner Vernehmung vom 26.11.1930 be-kundet hat, aufzuklären versucht, welche Strei-chungen mit und welche ohne Besprechung mit demAutor vorgenommen worden sind. Er konnte, wieer bekundet, dies im einzelnen nicht mehr fest-

stellen. Schon aus dieser Bekundung ergibtsich, dass in freundschaftlicher Zusammen-arbeit mit dem Autor eine grosse Anzahlvon Streichungen vorgenommen worden sind.

Es dürfte gerichtsbekannt sein, dassStücke nie so, wie die druckfertig vorliegen,gespielt werden können, sondern dass fastimmer schon aus zeit- und umbautechnischenGründen Streichungen und Umstellungen vorge-nommen werden müssen. Die Streichungen beidem vorliegenden Stück sind zu 90% im Einver-ständnis mit dem Autor und gemeinsam mitmit diesem bei den Proben vorgenommen worden.Das Stück ist also bis zur Generalprobeund einschliesslich dieser in vollem Umfangenach den Intentionen des Autors inszeniertworden.

Es wird Bezug genommen auf das Zeugniseines gerichtlichen Sachverständigen aus denKreisen der Theaterregisseure dafür, dasszwischen der Generalprobe und der am nächstenTage stattfindenden Erstaufführung wirklichbedeutende Streichungen für Inhalt und Aufbauauch nur eines Aktes schon aus technischenGründen (Gedächtnis der Schauspieler,der Souffleuse, des Inspezienten, Umbauder Dekorationen) nicht mehr vorgenommen werdenkönnen.

Der Zeuge Martin hat bekundet, dass eineStreichung noch während der Aufführung erfolgt

ist, er hat weiter erklärt: „Ich habe das Ein-verständnis des Herrn Kraus nach der freundschaft-lichen Art unseres Zunammenarbeitens auch zu dernoch während der Aufführung erfolgten Streichungenim Dialog Barkassy/Wacker vorausgesetzt.“

Die ohne Einverständnis, bezw. ohne vorherigeBenachrichtigung des Autors vorgenommenen Strei-chungen sind im Verhältnis zu denen, die inGemeinschaft mit dem Autor vorgenommen wordensind, völlig geringfügig. Insbesondere sind sie dasunter Berücksichtigung des gesamten Inhalts desStücks. Es wird im Termin das Regiebuch über-reicht werden, und dieses Regiebuch wird zeigen,dass 90% aller Streichungen in Einverständnismit Herrn Kraus erfolgt sind. Der Zeuge Martin hat bekundet, dass die im letzten Moment ohne Be-nachrichtigung des Herrn Kraus vorgenommenenStreichungen aus rein technischen Gründen teil-weise wegen des unsicheren Auftretens des HerrnLorre, erfolgt sind.

Wenn die Klägerin auf Grund des § 9 des Auf-führungsvertrages wegen dieser unerheblichenStreichungen die Konventionalstrafe verlangt, soverstösst dies wider Treu und Glauben, und zwarbesonders unter dem Gesichtspunkt, dass demAutor bis zur Generalprobe einschliesslichein freundschaftliches Zusammenarbeiten stattge-funden hat.

gez. Joseph Rechtsanwalt.