144.51 Brief RA Gerhard und Richard Frankfurter an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. Richard Frankfurter
Nikolsburger Platz 2
BERLIN
Datum: 17. September 1931
Diktiersigle: F/L

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 7

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich glaube nicht, daß die Erörterungen darüber, obBriefe ankommen oder nicht, die Sache fördern. Auch überdie sprachliche Bedeutung des Ausdrucks „Erwähnung“ kön-nen wir die Korrespondenz abschliessen, weil Sie anscheinenddie Art unserer Diktion anders beurteilen als wir. Mit demWorte „erwähnen“ habe ich durchaus nicht zum Ausdruck brin-gen wollen, daß Sie mir nebenbei eine Tatsache mitteilen,sondern daß Sie eine Tatsache mitteilen. Im übrigen kommt esja in unserer Korrespondenz nicht auf Sprachuntersuchungen undFinessen an, sondern auf den Sachverhalt. Daß der Brief vom17. Juli 1928 abgeschickt worden ist, steht hier fest. Daßder Brief nirgends angekommen ist, habe ich aus Ihrem Brief zur Kenntnis genommen. Ich übersende Ihnen in der Anlage Ab-schrift eines weiteren Briefes meines Mandanten an Herrn vonRadecki vom 31. Oktober 1928, in welchem gleichfalls der Um-fang des Werkes erwähnt ist und zwar nach einer vorherigen te-lefonischen Besprechung. Falls dieser Brief etwa auch nichtangekommen sein sollte, so wird Ihnen ja Herr von Radecki be-stätigen, daß doch wenigstens das Telefongespräch stattgefun-den hat.

Sie ersehen weiter aus dem Brief vom 31. Oktober,daß er im Zusammenhang steht mit dem Ihnen bereits übersandtenBrief vom 17. Juli 1928 und ich bitte schließlich Ihre Nach-forschungen auch darauf zu erstrecken, ob denn Herr Kraus auch nicht die Dünndruckausgabe des Zauberbergs, die ihmmit dem Brief vom 17. Juli 1928 gleichzeitig zugegangen istund die in dem späteren Telefongespräch mit Herrn von Radecki zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden ist, erhaltenhat. Es ist doch nach den hier vorliegenden Korrespondenzenanzunehmen, daß Herr Kraus wegen der Mitteilung der Zauber-berg -Dünndruckausgabe sich mit Herrn von Radecki unterhaltenhat, daß dann dieser weiter telefoniert hat und daß am 31.Oktober ihm dann die telefonisch bereits gemachte Mitteilungschriftlich bestätigt worden ist. Es gibt ja gewiß theoretischdie Möglichkeit, daß mehrere Briefe an verschiedene Personenin derselben Angelegenheit verloren gehen und daß auch einübersandtes Buch nicht ankommt, aber auch ebenso möglich istdoch, daß Herr Kraus und Herr von Radecki vielleicht bei derLänge der Zeit in ihrer Erinnerung nicht mehr ganz fest sindund daß sie angesichts der jetzt erwähnten Tatsache und über-sandten Briefkopie bei nochmaliger Nachprüfung ihres Gedächt-nisses sich auf diese Dinge besinnen werden. Ihre Bemerkung,daß auf den Brief vom 17. Juli Herr Kraus die Unmöglichkeiteiner künstlerischen Beschränkung dargetan hätte und daß HerrKraus, wenn das Schreiben angekommen wäre, es sofort beantwortethätte, scheint mir nicht logisch zwingend zu sein. Einmalpflegt Herr Kraus, wie meine Mandantin mitteilt, überhaupt

nicht zu schreiben; infolgedessen hätte sie auf eine Antwortnicht zu warten brauchen und sodann ist ja die Sache dadurchweiter geführt worden, daß Herr von Radecki im Oktober dieSache telefonisch behandelt hat und daß darauf die Korrespon-denz fortgesetzt worden ist.

Ganz unverständlich ist mir nach wie vor, was Siemit der Vorlage des Manuskripts des Auswahlbandes meinen. Sieziehen den rechtlichen Schluß, daß Herr Kraus das Manuskriptdes Auswahlbandes dem S. Fischer-Verlag seinerzeit übergebenhat. Schlüsse haben aber manchmal das Schicksal, daß sie nichtrichtig sind. Dies liegt hier vor, denn Herr Kraus hat niemalsein Manuskript des Auswahlbandes meiner Mandantin übergebenund dies ist auch nicht möglich, denn es lag ja seinerzeit,also im Jahre 1928, ein solches Manuskript überhaupt nichtvor, wie Herr Kraus Ihnen ohne weiteres bestätigen kann. Daherhat ihn auch meine Mandantin in dem Brief vom 23. März 1931 er-sucht, ein Manuskript vorzulegen oder ein genaues Verzeichnisder einzelnen Beiträge und auch jetzt ist ein Manuskript nichtvorgelegt worden, sondern es ist das Verzeichnis der Beiträgeeingesandt worden, aus dem meine Mandantin berechnet hat, daßes sich um einen Band von 600 Seiten handeln würde.Ich kann mir Ihren Irrtum, daß dem S. Fischer-Verlag ein Ma-nuskript übergeben worden ist, eigentlich nur daraus erklären,daß Sie hier nicht eine Information von Herrn Kraus erhaltenhaben sondern den Brief von Herrn Rechtsanwalt Dr. Laserstein vom 28. März 1930 mißverstanden haben. Wenn Herr Kollege Laser-stein hier schrieb, „Das Manuskript ist Ihnen bereits zur Ver-

fügung gestellt worden und steht Ihnen weiterhin zur Verfü-gung“, so heißt das nach unserer Auffassung, die Ihnen viel-leicht fremd ist, nicht etwa, daß das Manuskript übergebenist, sondern daß der Autor sich bereit erklärt hat, es zuübergeben. „Zur Verfügung stellen“ kann sich natürlich mitÜbergabe decken, es muß dies aber nicht der Fall sein.Im weiteren Verlauf des Briefes schreibt Herr Kollege Laser-stein, daß meine Mandantin zur Übernahme des Manuskripts ver-pflichtet sei. Dies unterstützt meine Annahme, daß er dieWorte „Zur Verfügung stellen“ nicht im Sinne von bereitsübergeben aufgefaßt hat, sondern daß er nur zum Ausdruck brin-gen wollte, daß, wenn das Manuskript übergeben werden würde,es dann übernommen und vervielfältigt werden müsste.

Es würde mich interessieren, ob meine Annahme, daßdieser Brief Sie zu der irrigen Auffassung geführt hat, rich-tig ist. Aber wie immer, jedenfalls kann Ihr rechtlicherSchluß nicht bestehen gegenüber der zweifelsfreien Tatsache,daß ein Manuskript nicht übergeben worden ist.

Der Brief von Rechtsanwalt Dr. Laserstein ist abernoch aus einem anderen Grunde interessant. Er enthält denSatz:

Ihr Haus hat sogar mit meinem Mandanten über dieDruckanordnung korrespondiert.

Nun finde ich in der ganzen Korrespondenz nichts, was eineKorrespondenz über die Druckanordnung sein könnte, als ebender Brief vom 17. Juli 1928, denn der weitere Brief über die

Druckanordnung vom 31. Oktober 1928, dessen Kopie ich Ihnenheut übersende, ist ja nicht an Herrn Kraus, sondern an HerrnSigmund von Radecki gerichtet. Falls also nicht doch nochHerr Kraus unter seinen Papieren den Brief vom 17. Juli 1928auffinden sollte, wäre ich Ihnen wiederum verbunden für eineMitteilung, welche andere Korrespondenz über die Druckanord-nung denn meine Mandantin mit Herrn Kraus geführt hat. Diesscheint mir umso wesentlicher, als Sie schreiben, daß Sieauch bei Herrn Rechtsanwalt Laserstein recherchiert habenund auch er sich an dieses Schreiben nicht erinnern konnte.Er wird dann doch aber angeben müssen, welche Korrespondenzüber die Druckanordnung er in seinem Brief vom 28. März 1930denn gemeint hat.

An sich könnten diese Punkte ja als von geringererBedeutung erscheinen. Da Sie aber in Ihrem Brief es alsmöglich ansehen, daß es sich bei dem Schreiben vom 17. Julinur um einen Briefentwurf gehandelt hätte und daß Sie diesvon allem Anfang an vermutet haben, so liegt hierin doch derVorwurf an meine Mandantin, daß sie einen Brief, den sie nurals Entwurf seinerzeit gefertigt hat, jetzt als einen abge-sandten Brief ausgibt, also eine unrichtige Angabe macht.Angesichts dessen bin ich es meiner Mandantin schuldig, dieseausführliche Darlegung zu machen und um Richtigstellung zubitten, obwohl an sich bei einem Hause vom Rufe des S. Fi-scher-Verlages wohl von Anfang an eine Vermutung, wie Sie

sie nun aussprechen, nicht hätte Platz greifen dürfen.

In der Sache selbst ist ja nun alles geklärt, bisauf den Punkt des Umfanges des Buches. Hier bleibt der Stand-punkt meiner Mandantin unverändert oder ist der gleiche, gegen denSie im Jahre 1928 Herrn Kraus und Herrn von Radecki gegenüberin der Korrespondenz bereits eingenommen haben. Bei einem Ge-samtwerke, wie es von Altenberg vorliegt, kann ein Auswahlbandnicht 600 Seiten umfassen. Dies ist die Überzeugung der Herren des Verlages, den zu vertreten ich die Ehre habe. Meine Mandan-ten erheben die volle Anerkennung von der literarischen Bedeu-tung von Karl Kraus auch für sich den Anspruch, ein künstleri-sches Urteil zu besitzen und verlagstechnisch ist ihr Urteilzweifellos von größerer Bedeutung als die Meinung von HerrnKraus. Der Verlag hat moralisch wie rechtlich die Verpflich-tung, für seinen Autor und dessen Rechtsnachfolger einzustehen.Er ist der Überzeugung, daß ein Auswahlsband von 600 Seitenden Interessen des Gesamtwerkes entgegenstehen würde und überdie Richtigkeit dieser Ansicht gibt es keine Debatte. Hier kannallein der Verlag entscheiden.

Es kann auch beim besten Willen hier niemand einsehen,daß es nicht möglich sein sollte, eine Konzentration der Aus-wahl derart herbeizuführen, daß der Band nur 25 Bogen enthält.Es wird Herrn Kraus gewiß gelingen, dies Resultat herbeizuführen.

HochachtungsvollFrankfurter Rechtsanwalt

19. SEP. 1931