158.3 Brief RA Willy Katz an die Direktion der Oper am Platz der Republik

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, schwarze Tinte

Sender

Willy Katz
Friedrichstraße
Berlin
Datum: 9. April 1931

Empfänger

An: die | Direktion der Oper am Platz der Republik
Platz der Republik
Berlin W
Seite von 2

B)

Namens und in Vollmacht des Herrn Karl Kraus,Wien und zugleich für den verhinderten Herrn Dr. Laserstein, Berlin habe ich folgendes mitzuteilen:

Sie haben am Vormittag der zweiten Vorstellung derPerichole ohne Benachrichtigung des Autors des deutschen Textes wider-rechtlich eine Strichprobe angesetzt und durchgeführt und auch Strichevorgenommen. Sie haben diese Striche am Abend der Vorstellung recht-zeitig abgesagt, vermutlich weil Sie sich von der Rechtswidrigkeitdieses Vorgehens überzeugt hatten. Als ein Überbleibsel dieser Stri-che wurden immerhin in der zweiten und dritten Vorstellung noch ge-wisse Auslassungen wahrgenommen, die , wie wir gerne annehmen, nichtauf doloses Festhalten an der ursprünglichen Verfügung, sondern nurauf die begreifliche Verwirrung der Darsteller zurückzuführen sind.

Vorsorglich mache ich Sie nunmehr darauf aufmerksam,daß besonders eine dieser sowohl stilistisch, wie in ihrer dramati-schen Funktion zerstörten Stellen für die heutige und die folgendenAufführungen wieder hergestellt werden muß. Es handelt sich um denauf Seite 113 des Textbuches stehenden Satz der Perichole: „Er hatuns befreit, er spielt Fagott und zum Dank haben wir ihn engagiert.Durch diesen Satz wird die Gestalt des alten Gefangenen und seinePosition in der 3. Abteilung erst legitimiert und das Instrument, daser in der Hand hält und das sonst nicht als Fagott erkennbar ist, zurAnschauung gebracht. Durch diesen Satz wird die Mitwirkung des altenGefangenen im Ritornell auf Seite 126 überhaupt erst begründet. Diesinnlose und handlungswidrige Reduzierung des Satzes auf die Worte:„Er hat uns befreit“ – wird vom Autor als unerträglich empfunden, nichtminder als jeder etwaige Versuch, einen durchaus sinnvollen und sti-listisch geschlossenen Satz als „zweideutig“ oder„unverständlich“ zu in-terpretieren.

Ich fordere Sie daher auf, die Darstellerin der Titel-rolle anzuweisen, den Satz, wie er im Textbuch steht, zu sprechen, undihr bekannt zu geben, daß die vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen diese

Rechtspflicht nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichtes gemäß §§ 9 und 38 des Urheberschutz-Gesetzes strafbar ist. Ich weiseauch darauf hin, daß Herr Karl Kraus sich alle zivil- undstrafrechtlichen Schritte gegen die Direktion vorbehält, falls nachmeinem Hinweis dieser Strich aufrecht erhalten bleibt, oder fallsandere Striche ohne seine vorherige Zustimmung vorgenommen werden.

Überdies erinnere ich Sie daran, daß Zusätze und Im-provisationen als nicht vom Autor stammend auf dem Programm kennt-lich zu machen sind. Die absichtliche Weglassung der vereinbartenFormel, die die Mitwirkung des Autors betrifft, wird hiermit aus-drücklich gebilligt, und die fernere Weglassung verlangt, weil HerrKarl Kraus die Aufführung im nunmehrigen Zustand keineswegs als Ver-wirklichung seines Gedankens der Offenbach Renaissance anerkennenkönnte.

Sollte bei Ihnen die Absicht bestehen, zu diesem Schrei-ben Stellung zu nehmen, so bitte ich, alle Antworten an die Adressedes Herrn Dr. Laserstein zu richten.

Ergebenst

Dr. Willi Katz Rechtsanwalt

KrausKrolloper