167.8 Juristische Abhandlung über die Ablehnung einer Nichtigkeitsbeschwerde 1914/1915

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Datum: 28. Dezember 1931
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21 Zu 16Cg 552/31/3

696. Kritische Artikel sind den selbständigen wissenschaftlichenWerken der Literatur zuzuzählen.

Das Zitatrecht (§ 25, Abs. 2 UrhG.) deckt auch die Wiedergabeeines zum Bestandteile eines Werkes der Literatur gewordenenWerkes der Photographie, selbst wenn letzteres ein Porträt ist.Der vertragsmässige Rechtsnachfolger der dargestellten Person istin Bezug auf die Zustimmung zu einer unter das Urheberrecht fal-lenden Verfügung über ein Photographieporträt dem Erben des Dar-gestellten nicht gleichzuachten (§ 52, Z.3 UrhG.).Zum Begriffe der Veröffentlichung.

I.Entscheidung vom 12. April 1915, Kr I 44/15.

Der Kassationshof verwarf die von Alfred S. als Privatanklägererhobene Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesge-richtes in Wien vom 4. Dezember 1914, womit Karl K. von der An-klage wegen des Vergehens des teils vollbrachten, teils versuch-ten Eingriffs in das Urheberrecht nach § 8 StG. und § 51 UrhG. gemäss § 259, Z. 3 StPO. freigesprochen worden ist.

Gründe:Die auf die Nichtigkeitsgründe des § 281, Z. 5, 9a und 10 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist unbegründet.

Eine Unvollständigkeit und Undeutlichkeit im Sinne des § 281,Z. 5 StPO. soll nach Anschauung des Nichtigkeitswerbers daringelegen sein, dass das angefochtene Urteil die Sache so darstelle,als wäre gerade die Kritik der im „Taschenbuch für Bücherfreundeenthaltenen Bilder der wesentliche Inhalt des Aufsatzes „DieStaackmänner“ und als würden in dem ganzen Aufsatz bloss dieseBilder besprochen. Die vollständige, deutliche und richtige In-

haltsangabe des Artikels „Die Staackmänner“ hätte ergeben, dass,wenn hier überhaupt von einem selbständigen „wissenschaftlichenWerk die Rede sein könne, doch die Reproduktion des Bildes „OttoErnst als Strandläufer von Sylt“ hiemit gar nichts zu tun habe.

Mit diesem Nichtigkeitsgrunde bekämpft der Nichtigkeitswerbereigentlich nur die Anschauung des Gerichtshofes, dass der Artikel ein selbständiges wissenschaftliches Kritikwerk ist. Ob ein Werkein „wissenschaftliches“ Werk im Sinne des § 25 UrhG. darstelle,ist Sache der rechtlichen Beurteilung und deshalb kann der Nich-tigkeitsgrund des § 281, Z. 5 StPO. in dieser Richtung nicht geltendgemacht werden.

Den Ausspruch, dass es sich bei dem Artikel „Die Staackmännerum ein „wissenschaftliches“ Werk handelt, bekämpft der Beschwer-deführer auch mit dem formell zutreffenden Nichtigkeitsgrund des§ 281, Z. 9a StPO., jedoch mit Unrecht. Wenn auch der Artikel imGrunde auf Bosheiten gegen die darin besprochenen Schriftstellerhinausläuft, ist er doch eine kritische Besprechung der meistenin dem „Taschenbuch für Bücherfreunde“ befindlichen Abbildungenvon Schriftstellern und wendet sich gegen die Veröffentlichungdieser Bilder und die meist gesuchte Situation, die sie darstellen,sowie gegen die in den Augen des Angeklagten darin gelegeneGeschmacklosigkeit. Als kritischen Artikel muss man also den ArtikelDie Staackmänner“ im weiteren Sinne auch als einen wissenschaft-lichen Artikel bezeichnen.

Werken der Photographie, die sonst einen selbständigen urheber-rechtlichen Schutz geniessen, kommt, wenn sie Bestandteile vonWerken der Literatur sind, gemäss § 42 UrhG. der Schutz der Litera-turwerke zu. Dass die Bilder der Schriftsteller in dem „Taschen-

buch der Bücherfreunde“ Bestandteile eines literarischen Werkessind, kann wohl ernstlich nicht bestritten werden. Diese Bilderund auch das Bildnis „Otto Ernst als Strandläufer von Syltgeniessen daher den urheberrechtlichen Schutz von Werken derLiteratur. Da nun dem Verfasser eines selbständigen wissenschaft-lichen Werkes gemäss § 25, Abs. 2 UrhG. das „Zitatrecht“ zusteht,begründet die Wiedergabe des Bildes Otto Ernsts keinen Eingriffin das Urheberrecht des Privatanklägers.

Mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 10 StPO. bringt derBeschwerdeführer vor, dass, wenn man auch die Strafbarkeit nach§ 51 UrhG. ausschliessen wollte, sowohl durch die Reproduktiondes Bildes Otto Ernsts in dem in der Zeitschrift „Die Fackelerschienenen Artikel, als auch durch den Versuch, dieses Bild beieinem öffentlichen Vortrag durch das Skioptikon zu reproduzieren,die Uebertretung des § 52, Z. 3 UrhG. gegeben sei, weil wederder dargestellte Otto Ernst noch sein vertragsmässiger Rechts-nachfolger (der Privatankläger) die Zustimmung zu Veröffent-lichung gegeben haben.

Der Privatankläger kann den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 10StPO. im Falle des Freispruches des Angeklagten nicht geltendmachen, sondern das, was er unter diesem Nichtigkeitsgrund vor-bringt, stellt sich als Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundesdes § 281, Z. 9a StPO. dar. Aber auch unter diesem Gesichtspunktist die Beschwerde nicht begründet. Nach § 52, Z. 3 UrhG. ist eineurheberrechtliche Verfügung über ein Photographieporträt an dieZustimmung des Dargestellten oder seiner Erben gebunden. Von die-sen Personen wurde im vorliegenden Falle eine Anklage nicht er-hoben. Was das Gesetz bezüglich der Erben im § 52, Z. 3 UrhG. sagt

gilt nicht auch von dem vertragsmässigen Rechtsnachfolger derdargestellten Person; denn dem besonderen Schutz des Photographie-porträts – dem Rechte an dem eigenen Bilde – liegen ethischeGründe und nicht Gründe vermögensrechtlicher Natur zu Grunde.

Was die Reproduktion des Bildes durch das Skioptikon betrifft,ist dem Gerichtshof nur darin zuzustimmen, dass es sich weder umeinen Vertrieb noch um eine Vervielfältigung des Bildes handelt.Wohl aber läge eine Veröffentlichung des Bildnisses vor; dennsobald das Bild an die Wand projiziert ist, ist es veröffentlicht.Auch die Wiederveröffentlichung schliesst die Strafbarkeit nichtaus, ja in der Regel wird ja ein Eingriff in das Urheberrechterst dann erfolgen können, wenn das Werk, dessen Urheberrechtverletzt wird, veröffentlicht ist.

In keinem der beiden Fälle kann jedoch deshalb eine Verurtei-lung, wie schon das angefochtene Urteil zutreffend hervorhebt,erfolgen, weil es sich hier um ein Zitat handelt, und deshalb§ 25, Z. 2 UrhG. Anwendung findet; denn auch bezüglich der beab-sichtigten Reproduktion durch das Skioptikon ist festgestellt,dass der Angeklagte das Bildnis zur Unterstützung seiner Ausfüh-rungen in einem literarischen Vortrag verwenden wollte; es standihm daher hier ebenfalls das Recht des § 25, Z. 2 UrhG. zu.

II.Bemerkungen zu dieser Entscheidung.Von Prof. Löffler.

Ob ein kritischer Aufsatz in einer Zeitschrift, der sich – wiees scheint, – hauptsächlich mit einem einzelnen Werke der Litera-tur beschäftigt hat, im Sinne des § 25, Z. 2 UrhG. als „eingrösseres Ganzes“ anzusehen ist, „das sich nach seinem Hauptin-

halte als ein selbständiges wissenschaftliches Werk darstellt“,könnte bezweifelt werden. Der Kassationshof ist in dem Schutzedes Interesses der literarischen Kritik recht weit gegangen, wieich glaube nicht zu weit. Eine Grenze wird die Erlaubnis des§ 25 jedenfalls dort finden, wo der wahre Zweck des Zitatesnicht Kritik, sondern Mitteilung der fraglichen Stelle ist. Ueberdiesen Verdacht war der Angeklagte, wie jeder Leser der „Fackelweiss, erhaben.

Unmöglich aber ist es, mit dem Urteil einen mündlichen Vortragals ein „wissenschaftliches Werk“ zu bezeichnen und somit § 25,Z. 2 auf ihn anzuwenden. Es ist dies auch nicht nötig. Denn derAngeklagte hätte sich auch dann keiner strafbaren Handlung schul-dig gemacht, wenn er ohne jeden Zusatz das „Taschenbuch für Bü-cherfreunde“ öffentlich vorgelesen und die darin enthaltenenPhotographien durch das Skioptikon vorgeführt hätte.

Literarische Werke sind, wie schon die Motive zu § 23 UrhG. hervorheben, im allgemeinen nach ihrem Erscheinen gegen münd-liche Wiedergabe nicht geschützt; dies ist für Vorträge beson-ders bestimmt in § 23, Abs. 3; eine Ausnahme gilt nur für Büh-nenwerke (§ 23, Abs. 2). Unter „Veröffentlichung“ verstehtaber unser geltendes Urheberrecht, wie auch die Motive hervor-heben, „immer nur die erstmalige Veröffentlichung“ (vgl. v.Seillers Gesetzausgabe, S. XVII, 65f.; Schmidl, S. 163, 167,Anm. 3, 201, 216, 235). Darum erscheint in § 24, Z. 1 als Ein-griff in das Urheberrecht „die Veröffentlichung eines nochnicht erschienenen Werkes“. Das Zeigen eines bereits veröffent-lichten Photographieporträts durch ein Skioptikon ist weder nach

§ 23f., noch nach § 40 eine „unter das Urheberrecht fallendeVerfügung“, kann also auch von der dargestellten Person selbstnicht nach § 52, Z. 3 verfolgt werden. Eine strafbare „Wieder-veröffentlichung“, wie sie die Urteilsgründe annehmen, ist demösterreichischen Rechte völlig fremd. Darüber ist eine „andereAnsicht“ nicht möglich. Nach der „Veröffentlichung“ umfasst dasUrheberrecht an Werken der Literatur nur noch das Recht, dasWerk zu vervielfältigen, zu verbreiten und zu übersetzen (§ 23).

Im vorliegenden Falle war also der Urteilsspruch gerechtfer-tigt; vor der Irreführung durch die Urteilsgründe kann nichteindringlich genug gewarnt werden.