174.8 Ausführung der Berufung

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 1. April 1932
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 6

1. April 1932.Dr.S/Fa.G.Z. 5 U 87/32

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger und Berufungswerber: Karl Kraus, Schrift-steller in Wien III., Hintere Zollamts-strasse Nr. 3.durch:

Beschuldigter: Hans Tabarelli, verantwortlicherRedakteur des ‚Neuen Wiener Journal‘ inWien I., Biberstrasse Nr. 5,

wegen Ehrenbeleidigung begangen durchdie Presse

2 fach 1 Beilage

Ausführung der Berufung gegen das Urteil vom 9. März 1932.

Ich führe die gegen das Urteil vom 9. März1932 G.Z. 5 U 87/32 am 12. März 1932 angemeldete Berufung frist-gerecht nach der am 26. März 1932 erfolgten Zustellung derUrteilsausfertigung an meinen Anwalt Dr. Oskar Samek aus.

Beschwert erachtet sich der Privatankläger durch die Abweisung des Antrages auf Verfallserklärung. Jenach Auslegung des § 281, Ziffer 9, Absatz b St.P.O. werdendie nachfolgenden Ausführungen als Geltendmachung dieses Nich-tigkeitsgrundes oder als reine Strafberufung aufzufassen sein,wovon lediglich abhängt, ob die Entscheidung nach durchgeführtermündlicher Berufungsverhandlung oder ohne eine solche zu fällensein wird.

In der Sache selbst ist zu sagen, dass dieAbweisung des Antrages auf Verfallserklärung das Gesetz verletztoder unrichtig anwendet. Gemäss § 41, Absatz 1 des Pressgesetzesist auf Antrag des Anklägers mit der Verurteilung wegen einerdurch den Inhalt eines Druckwerkes begangenen strafbaren Handlungauf Verfall des Druckwerkes zu ernennen. Diesem Antrag muss dasGericht Folge geben, wenn es verurteilt, es steht nicht im Er-messen des Gerichtes, anders zu entscheiden. (Siehe Altmann undJakob: Kommentar zum österreichischen Strafrecht, Seite 1358.)

Der Verfall erstreckt sich nur auf die zurVerbreitung bestimmten Stücke des Druckwerkes.“ Dieser Satz des§ 41 Pressgesetzes hat den Richter erster Instanz verleitet,den Antrag auf Verfallserklärung abzuweisen, weil nach seinerAnsicht „die Verbreitung dieser Nummer der genannten Tageszeitung heute längst beendet und gegenständig ist, eine Beschlagnahmezur Verbreitung bestimmt gewesener Stücke aber mangels einesAntrages nicht erfolgt ist.“ Die Beschlagnahme ist keine Voraus-setzung der endgiltigen Verfallserklärung. Sie soll zwar die

Verfallserklärung vorbereiten, und wenn eine solche nicht er-folgt ist, so kann unter Umständen die nachträgliche Verfalls-erklärung rein theoretische Wirkung haben, niemals aber kanndie schliessliche Verfallserklärung davon abhängig gemacht werden,ob eine Beschlagnahme erfolgte oder nicht; der Antrag auf Be-schlagnahme steht dem Privatankläger frei, ohne dass es seineRechte verkürzte, wenn er nicht gestellt wurde. Unrichtig istferner die Behauptung des Urteils, die Verbreitung dieser Nummerder genannten Tageszeitung sei heute längst beendet und gegen-standslos. Solange die Tageszeitung im Besitze von Exemplarendieser Nummer ist, ist sie in der Lage, die Nummer weiterzuver-breiten, und verbreitet sie auch weiter. Mein Anwalt Dr. OskarSamek hat noch am 30. März 1932 eine Nummer des ‚Neuen WienerJournals ‘ vom 7. Februar 1932 käuflich erworben, worüber ich ihnals Zeugen führe. Es ist zwar vielleicht nicht durch Zeugen nach-weisbar, aber doch auch ohne solche klar und vielleicht gerichts-bekannt, dass die Veröffentlichung des Urteiles in der Zeitungdas Interesse der Leserschaft weckt, den Artikel kennenzulernen,der zur Verurteilung führte, zumal, wenn es sich wie bei demPrivatankläger um eine Persönlichkeit handelt, die im Mittel-punkt des öffentlichen Interesses steht. Gerade also in einemsolchen Fall wird die Nummer der Zeitung auch noch nach längererZeit begehrt und gekauft werden, was vielleicht im allgemeinennicht von jeder Nummer gesagt werden kann. Es ist ganz offen-sichtlich, dass bei dem notorischen Charakter des ‚Neuen WienerJournals‘ als eines ausschliesslich auf Zwecke der Sensationeingestellten Blattes geradezu auf den Reizwert einer Urteilsver-öffentlichung spekuliert wird, durch die die Leser, die den in-kriminierten Artikel nicht gelesen haben oder gerne wieder lesenmöchten, weil er ihnen nicht mehr ganz in Erinnerung ist, veran-

lasst werden sollen, die inkriminierte Nummer, deren Datum jaim Urteil genau angegeben wird, sich zu beschaffen. Dass dasNeue Wiener Journal‘ vor Eintritt der Rechtskraft sich seinerVerpflichtung zur Urteilspublikation unterzogen hat und die Art,in der sie das tat, beweist denn auch mit der Eindringlichkeiteines Schulbeispiels, dass das Blatt die Gelegenheit der Abur-teilung zu einer Sensation und zu einem Geschäft benützt. Ohnejeden durch das Urteil selbst oder durch die Praxis gesetztenZwang hat das Blatt entgegen allem journalistischen Usus, derdie Wiederholung der fetten Lettern nur bei Berichtigungenrechtfertigt, in dem vorliegenden Fall der in dem Titel ent-haltenen Beleidigung neue und wirksamste Verbreitung gesichert.Selbst wenn die Ausrede vorgebracht werden sollte, dass die(doppelte) Anwendung der grossen Titellettern einer im § 23 desPressgesetzes begründeten Vorsicht entspreche, die aber beiUrteilen über Beleidigungen sonst nie betätigt wurde, so wäre esdoch sonnenklar, dass hier der Anreiz zur Beschaffung der altenNummer, deren Datum im Urteil vorkommt, in höchstem Masse ge-geben ist. Besonders wird dies aber dann der Fall sein, wenndurch das Urteil selbst dem Leser bekannt wird, dass der Antragauf Verfallserklärung der Nummer abgewiesen wurde, wodurch erdarauf aufmerksam gemacht wird, er könne sich die alte Nummer doch beschaffen. Offenbar, um dies herbeizuführen, hat auch dasNeue Wiener Journal‘ die Urteilsveröffentlichung vorgenommen,obwohl es wegen der Berufung des Privatanklägers noch nicht dazuverpflichtet war und im Falle der Stattgebung der Berufung dieerfolgte Veröffentlichung des Urteils als nicht dem Gesetz ent-sprechend angesehen werden muss. Ich lege dieses Exemplar einessensationellen Druckes zur überzeugenden Anschauung vor. DieAbweisung des Antrages auf Verfallserklärung würde also die un-

liebsame Konsequenz haben, dass die Zeitung durch den Verkaufsonst wertloser Exemplare ihre Strafe hereinzubringen im Standeist. Aus allen diesen Gründen war die Abweisung des Antragesauf Verfallserklärung ungerechtfertigt und dem Gesetz wider-sprechend.

Ich beantrage daher, das Urteil ersterInstanz abzuändern und auch die Verfallserklärung der Nr. 13726des ‚Neuen Wiener Journals‘ vom 7. Februar 1932 auszusprechen.

Karl Kraus.

KrausNeues Wr. Journal