185.7 Erhebung der Privatanklage von Karl Kraus gegen Österreichisches Abendblatt (verantw. Red. Alfred Kinast) wegen Ehrenbeleidigung begangen durch die Presse

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Datum: 2. Oktober 1933
Seite von 4

2. Oktober 1933.Dr.Sa/Ma.G.Z. 2 U 588/33

An dasStrafbezirksgericht Ials Pressgericht,Wien.

Privatankläger: Karl Kraus, Herausgeber der ZeitschriftDie Fackel“ inWien, III., Hintere Zollamtsstrasse 3,durch:

Beschuldigter: Alfred Kinast, verantwortlicherRedakteur der Zeitung „OesterreichischesAbendblatt“,wohnhaft in Wien XV. Märzstrasse 32,Schriftleitung und Verwaltung dieser Zeitung:Wien IX. Canisiusgasse 8–10,wegen: Ehrenbeleidigungbegangen durch die Presse 1 fach

Erhebung der Privatanklage.

Da die Vorerhebungen vorläufig keine Anhalt[spunkte]dafür ergeben haben, dass der Beschuldigte den inkrim[inierten]Aufsatz verfasst oder in Kenntnis des Inhaltes zum Druckebefördert hat, wird gegen ihn die Anklage gemäss § 30 Press-gesetz wegen der folgenden Stellen des inkriminierten Auf-satzes erhoben:

a) „Damit verschwindet eines der übelsten Presseprodukte ausdem öffentlichen Leben.

b) „Jahre hindurch, seit dem Zusammenbruch, konnte die ‚Fackelungehindert erscheinen und hochverräterische Tendenzeninsbesondere in die Jugend tragen.

c) „… die man in vaterländischen Kreisen längst das‚Rote Mal‘ genannt hatte.

d) „… ein commis voyageur der eigenen Unbegabung

e) „So hat es dieser, allerdings rötlich angehauchte VorfahreTheo Habichts

f) „… nachdem er wegen seiner persönlichen Angriffe – erliebte es, Privatangelegenheiten, die reine Privatangele-genheiten waren, zu besabbern – öfters gezüchtigt wordenwar.

g) „Worauf der Goldfüllfederkönigein würdiger PartnerKraus’ – ein Plakat drucken liess mit der Aufforderung anSchober nicht abzutreten. Der Polizeipräsident blieb undKraus war seither eine lächerliche Figur geworden.

h) „Das Organ des destruktiven, sich ‚literarisch‘ gebärdenden,in Wirklichkeit aber unfruchtbaren, schwächlichen undzersetzenden, in seinen Prätentionen aber ungeheueraufgeblasenen ‚Jüngltums‘ existiert nicht mehr.

Wegen der anderen in dem Artikel enthaltenen kredit-schädigenden wenn auch nicht beleidigenden Behauptungen wirdnach dem Zivilrecht vorgegangen werden.

Dass die inkriminierten Stellen schwere Beleidigungenbeinhalten, braucht im Allgemeinen nicht ausgeführt zu werden.Es ist aber vielleicht nicht unwichtig, den Punkt der Privat-anklage wegen der Behauptung „… nachdem er wegen seinerpersönlichen Angriffe – er liebte es, Privatangelegenheiten,die reine Privatangelegenheiten waren, zu besabbern – öfters

gezüchtigt worden war“ etwas ausführlicher zu behandeln.

Der Privatankläger wurde im Jahre 1896 von einem WienerJournalisten attackiert, wie dieser angab, wegen einer Wendungin der Literatursatire „Die demolierte Literatur“, der er einefalsche Deutung gab, indem er sie fälschlich als einen jenerEingriffe ins Privatleben interpretierte, wie sie so häufigin der Presse zu finden sind. In Wahrheit war er wegen der anseinem unzulänglichen Deutsch geübten Kritik aufgebracht. Erwurde wegen Beleidigung vom Bezirksgericht Josefstadt verur-teilt. Im Jahre 1899 wurde der Privatankläger von mehrerenLiteraten gemeinsam und zwar wegen eines die Korruption desWiener Theater- und Literaturlebens betreffenden Aufsatzes inder ‚Fackel‘ überfallen und verletzt; sämtliche Angreiferwurden von der Staatsanwaltschaft angeklagt und teils zuArreststrafen im Ausmass von 10 beziehungsweise 8 Tagen, teilszu hohen Geldstrafen verurteilt. Im Jahre 1905 wurde derPrivatankläger von einem Kabarettunternehmer und seiner Lebens-gefährtin attackiert und verletzt. Die Staatsanwaltschafterhob die Anklage und die in der ersten Instanz über den Mann verhängte Arreststrafe von einem Monat wurde wegen des mildern-den Umstandes seiner Trunkenheit in eine hohe Geldstrafe umge-wandelt, die der Frau herabgesetzt.

Ich stelle folgende Anträge:1.) Auf Anberaumung einer Hauptverhandlung;2.) Ladung des Beschuldigten;3.) Verlesung des inkriminierten Artikels;4.) Bestrafung des Beschuldigten;5.) Erkenntnis auf Veröffentlichung des Urteiles;6.) Verfall der Zeitungsnummer mit dem inkriminierten Artikel und7.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Handmit ihm des Eigentümers, Herausgebers und InhabersVaterländischer Pressverein“ in Wien I. Renngasse 6,zum Ersatz der Verfahrenskosten.

Der Antrag auf Ergänzung der Vorerhebungen gegen denTäter und die Erhebung der Anklage gegen ihn wird vorbehalten.

Karl Kraus

KrausOesterr. Abendblatt Iexpediert am 2. Oktober 1933