185.11 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U 588/33, Richter: Landesgerichtsrat Standhartinger, Verteidiger: Herbert Schreuer)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 16. November 1933
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 6

Abschrift.

2 U 588/33

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht Wien I als Pressegerichthat heute in Gegenwart des Privatanklagevertreters Dr.Oskar Samek und des Verteidigers Dr. Herbert Schreuer überdie Anklage, die der Privatankläger Karl Kraus gegen AlfredKinast, 34 Jahre alt, verh., verantwortlicher Schrift-leiter, erhoben hatte, nach durchgeführter Haupt-verhandlung zu Recht erkannt:

Alfred Kinast ist schuldig, er habe im Juli 1933in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der ZeitungOesterreichisches Abendblatt“ hinsichtlich derStellen:

a) „Damit verschwindet eines der übelstenPresseprodukte aus dem öffentlichen Leben.

b) „Jahre hindurch, seit dem Zusammenbruch,konnte die ‚Fackel‘ ungehindert erscheinen und hoch-verräterische Tendenzen, insbesondere in die Jugendtragen.

c) „… die man in vaterländischen Kreisen längstdas ‚Rote Mal‘ genannt hatte.

d) „… ein commis voyageur der eigenen Unbegabung

e) „So hat es dieser, allerdings rötlich angehauchteVorfahre Theo Habichts

f) „… nachdem er wegen seiner persönlichenAngriffe – er liebte es, Privatangelegenheiten, die reinePrivatangelegenheiten waren, zu besabbern – öfters gezüch-tigt worden war.

g) „Worauf der Goldfüllfederkönigein wür-diger Partner Kraus’ – ein Plakat drucken liessmit der Aufforderung an Schober, nicht abzutreten. DerPolizeipräsident blieb und Kraus war seither eine lächer-liche Figur geworden“.

h) „Das Organ des destruktiven, sich ‚literarisch‘gebärenden, in Wirklichkeit aber unfruchtbaren, schwächlichenund zersetzenden, in seinen Prätentionen aberungeheuer aufgeblasenen ‚Jüngltums‘ existiert nichtmehr.

in dem Aufsatz „Die Fackel eingestellt“ in Folge84 der genannten Zeitung vom 17. Juli 1933, derenInhalt die Uebertretung gegen die Sicherheit derEhre und zwar in den mit a, c, d, g und h bezeichnetenStellen gemäss § 491 StG, in den mit b, e, f, bezeich-neten Stellen gemäss § 488 StG. begründet, jene Sorgfaltvernachlässigt, bei deren pflichtmässiger Anwendung die Auf-nahme des strafbaren Inhaltes unterblieben wäre.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30Pr.G. begangen und wird nach dieser Gesetzesstellezu einer Geldstrafe vonS 200.– (zweihundert Schilling),im Nichteinbringlichkeitsfalle zu 4 Tagen Arrest,

und gemäss § 389 StPO. zum Ersatz der Kosten desStrafverfahrens verurteilt.

Er wird ferner gemäss § 43/2 Pr.G. verpflichtet,dieses Urteil (ohne Gründe) binnen 1 Woche nachRechtskraft in der Zeitung „Neues Wiener Journal“ zuveröffentlichen.

Gemäss § 41/1 Pr.G. wird die Folge 84 derZeitung „Oesterreichisches Abendblatt“ vom 17.Juli 1933 für verfallen erklärt.

Gemäss § 5/2 Pr.G. haftet der VaterländischePressverein als Eigentümer und Herausgeber dergenannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kostendes Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit demVerurteilten.

Entscheidungsgründe:

Durch das Impressum und die Angaben des Ver-teidigers ist erwiesen, dass der Angeklagte derverantwortliche Schriftleiter der Folge 84 der Zeitung„Oesterreichisches Abendblatt“ war, in der unterder Ueberschrift „Die Fackel eingestellt“ ein Aufsatzerschienen ist, der die im Urteilsspruche zitiertenStellen enthält.

In den mit b) und e) bezeichneten Stellen wird demPrivatankläger hochverräterische Tätigkeit zum Vor-wurfe gemacht, ohne dass die Behauptungen so weitgingen, dass strafgesetzliche Tatbestände behauptetwürden.

Die mit f) bezeichnete Stelle stellt die Be-hauptung auf, dass der Privatankläger wiederholtgezüchtigt worden sei, weil er Privatangelegenheitenbesabbert“, also öffentlich breit getreten habe.

Die Privatanklage bezeichnet diese Darstellung als entstellt,weil der Privatankläger zwar einigemale tätlich misshan-delt worden sei, aber jedesmal grundlos in einer Weise,die zur Verurteilung der Täter geführt habe. DerBeschuldigte hat zu keinem der erwähnten Punkte einen Wahr-heitsbeweis angeboten. Es müssen daher die Behaup-tungen als erdichtet, beziehungsweise (zu Punkt f) alsentstellt betrachtet werden.

Diese Stellen begründen daher den Tatbestand derUebertretung des § 488 StG.

In den mit a) und c) bezeichneten Stellen wird die vomPrivatankläger herausgegebene Zeitschrift „Die Fackelals übles Pressprodukt und „Rotes Mal“ bezeichnet.Beide Bezeichnungen gehen über das Mass der sachli-chen Kritik hinaus, indem sie den Privatankläger böswillig Tendenzen zum Vorwurfe machen.

Die unter h) ausgeführte Stelle macht demPrivatankläger ungeheuer aufgeblasenes Jüngltum zum Vor-wurfe.

Die Stellen a), c) und h) begründen daher Schmähungennach § 491 StG. erster Tatbestand.

Die unter d) und g) angeführten Stellen begründenVerspottungen des Privatanklägers. Er wird alscommis voyageur der eigenen Unbegabung“, „alsein würdiger Partner des Goldfüllfederkönigs“ undals „lächerliche Figur“ bezeichnet und damit in einerWeise lächerlich gemacht, die geeignet ist, ihnvor der Oeffentlichkeit im Ansehen herabzusetzen.

Da der Angeklagte Alfred Kinast angegeben hat,dass er den vorerwähnten Aufsatz weder verfasst, nochin Kenntnis des Inhaltes zum Drucke befördert habe,konnte der Angeklagte lediglich nach § 30 Pr.G. zurVerantwortung gezogen werden.

Bei der Strafbemessung war mildernd die damalsbestandene Unbescholtenheit des Beschuldigten,erschwerend die objektive Schwere und Mehrheitder Beleidigungen.

Die über den Angeklagten verhängte Strafe istdaher seinem Verschulden angemessen.

Weiters wurde er gemäss § 43/2 Pr.G. verpflichtet,das Urteil in der Zeitung „Neues Wiener Journalzu veröffentlichen, weil der Privatanklagevertreter demGerichte glaubhaft gemacht hat, dass „begleitendeUmstände“ insoferne vorliegen, als die Zeitung „Oester-reichisches Abendblatt“ nicht mehr erscheint, weshalb dieVeröffentlichung in einer anderen Zeitung geboten ist.

Mit Rücksicht darauf, dass der Leserkreis desNeuen Wiener Journals“ vermutlich teilweisesich mit jenem des „Oesterreichischen Abendblattesdeckt, wurde aus Zweckmässigkeit die Veröffentli-chung im „Neuen Wiener Journal“ aufgetragen.

Der Verfall des beschlagnahmten Druckwerkes war über Antrag des Privatanklagevertreters zwingendauszusprechen.

Die übrigen Aussprüche des Urteiles gründen sichauf die bezogenen Gesetzesstellen.

Wien, am 16. November 1933.Der Richter: Der Schriftführer:LGR. Dr. Standhartinger m.p. Dr. Garnhaft m.p.

Für die Richtigkeit der Ausfertigung:Strafbezirksgericht I in Wien II., Schiffamtsgasse 1 Abt. 2, am 4.12.1933.[Unterschrift]

KrausÖst. Abendblatt I.5. DEZ. 1933