186.12 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U 614/33, Richter: Landesgerichtsrat […] Standhartinger, Verteidiger: Herbert Schreuer)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 13. November 1933
Seite von 4

Abschrift.

2 U 614/3310

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Presse-gericht hat heute in Gegenwart des Privatanklagever-treters Dr. Oskar Samek und des VerteidigersDr. Herbert Schreuer über die Anklage, die der Privat-ankläger Karl Kraus gegen Wilhelm Robert Marx, 46 Jahrealt., verh., verantwortlicher Schriftleiter, erhobenhatte, nach durchgeführter Hauptverhandlung zu Rechterkannt:

Wilhelm Robert Marx ist schuldig, er habe imAugust 1933 in Wien als verantwortlicher Schrift-leiter der Zeitung „Oesterreichisches Abendblatthinsichtlich der Stellen:

a) „… des nicht ganz reinrassigen Wiener Bolschewiken Karl Kraus.und b) „… des berüchtigten Wiener Kre-tzerich“ in der Rubrik „Von Abend zu Abend“ in Folge113 der genannten Zeitung vom 21. August 1933, derenInhalt die Uebertretung gegen die Sicherheit derEhre nach § 491 StG. begründet, jene Sorgfalt vernach-lässigt, bei deren pflichtmässiger Anwendung dieAufnahme des strafbaren Inhaltes unterbliebenwäre.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30 Pr.G. begangen und wird nach dieser Gesetzesstelle zu einerGeldstrafe von100 (hundert) Schilling

im Nichteinbringlichkeitsfalle zu 48 Stunden Arrestund gemäss § 389 StPO. zum Ersatze der Kostendes Strafverfahrens verurteilt.

Er wird ferner gemäss § 43 (2) Pr.G. verpflichtet,dieses Urteil binnen 8 Tagen nach Rechtskraft in derZeitung „Neues Wiener Journal“ zu veröffent-lichen.

Gemäss § 41/1/ Pr.G. wird die Nummer 113 derZeitung „Oesterreichisches Abendblatt“ für ver-fallen erklärt.

Gemäss § 5 (2) Pr.G. haftet der vaterländischePressverein als Eigentümer und Herausgeber der ge-nannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kostendes Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit demVerurteilten.

Entscheidungsgründe:

Durch das Impressum und die Angaben desVerteidigers ist erwiesen, dass der Angeklagte derverantwortliche Schriftleiter der Nummer 113 derZeitung „Oesterreichisches Abendblatt“ war, inder ein Aufsatz erschienen ist, der die imUrteilsspruche zitierten Stellen enthält. In diesenStellen wird der Privatankläger nach zwei Richtungenbeleidigt. Der Privatankläger wird ina) als nicht ganz reinrassiger Wiener Bolsche-wik bezeichnet und dadurch dem öffentlichen Spotteausgesetzt.

In der Stelle b) wird vom Privatankläger als berüch-tigten Wiener „Kretzerich“ gesprochen.

Nach der Auslegung des Privatanklägers bedeu-tet „Kretzerich“ soviel wie „krätzig“, währendder Beleidiger den Standpunkt vertritt, dass das Wortvon Kratzen im Sinne von Schreiben komme. Es bedeutetjedoch die eine wie die andere Version eine Verspottung.

Das Attribut „berüchtigt“ ist eine Schmähung imSinne des § 491 StG.

Da der Angeklagte Wilhelm Robert Marx angegebenhat, dass er den vorerwähnten Aufsatz wederverfasst, noch in Kenntnis des Inhaltes zum Druckebefördert habe, konnte der Angeklagte lediglichnach § 30 Pr.G. zur Verantwortung gezogen werden.

Ein Beweis berechtigter Kritik hinsichtlich desWortes „berüchtigt“ wurde nicht einmal angeboten,war daher mit einem Schuldspruche vorzugehen.

Bei der Strafbemessung war mildernd dasGeständnis, die damalige relative Unbescholtenheit,erschwerend kein Umstand.

Die über den Angeklagten verhängte Strafe ist daherseinem Verschulden angemessen.

Weiters wurde er gemäss § 43/2/ Pr.G. ver-pflichtet, das Urteil in der Zeitung „NeuesWiener Journal“ zu veröffentlichen, weil derPrivatanklagevertreter dem Gerichte glaubhaft gemacht

hat, dass die Zeitung „Oesterreichisches Abendblattnicht mehr erscheint, weshalb die Veröffentlichung ineiner anderen Zeitung geboten ist. Mit Rücksicht darauf,dass der Leserkreis des „N. W. J.“ vermutlich teil-weise sich mit jenen des „Oesterreichischen Abend-blattes“ deckt, wurde die Veröffentlichung inN. W. J.“ angeordnet.

Der Verfall des beschlagnahmten Druckwerkes warüber Antrag des Privatanklagevertreters zwingend aus-zusprechen.

Die übrigen Aussprüche des Urteiles gründensich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Wien, am 16. November 1933.

Der Richter:LGR. Dr. Standhartinger m.p.

Der Schriftführer:Dr. Garnhaft m.p.

Für die Richtigkeit der Ausfertigung: Strafbezirksgericht I in WienII., Schiffamtsgasse 1 Abt. 2, am 24.XI.1933.Ruzicska