189.4 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 8.XII.1933
Betreff: Karl Kraus – Gegenangriff

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ihr gesch. Schreiben vom 1. l.M. kann icherst heute beantworten. Dem Wunsche des Herrn Kraus, einRechtsgutachten über die an mich gestellten Fragen zu er-statten, komme ich hiemit nach:

In dem mit „Arnold“ unterzeichneten ArtikelNachruf auf Karl Kraus“ fallen folgende Bemerkungen auf.Karl Kraus hat auch während des Weltkrieges gewünscht, dassman von ihm kein eigenes Wort erwarte und hat erst als derZusammenbruch der Mittelmächte entschieden war, diese soberedt verflucht, wie kein anderer … er hat auch sonstRücksicht zu nehmen. Weiters der Passus, in welchem davondie Rede ist, er habe junge, unzufriedene Intellektuelle zueiner ebenso heulmeierischen wie selbstgefälligen Passivi-tät verleitet, er sei eine Erweckerkreuzung von… dann er habe, als das Gewitter heraufzog, lieberOffenbachsche Operettenlibrettos, als andere sprachlicheMeisterwerke vorgelesen.

Diese unwahren Behauptungen können meinerAnsicht nach nach dem Gesetze vom 28. Juni 1933 über den

Schutz der Ehre Sammlung Nr. 108 verfolgt werden.

In Betracht kommen die §§ 1 und 2 dieses Gesetzes.

§ 1 lautet: Wer jemanden durch ein Schimpfwort,durch Misshandlung, durch Drohung mit Misshandlung, durchLächerlichmachung, oder auf andere Weise an der Ehre kränkt,wird, wenn die Handlung nicht strenger strafbar ist, gericht-lich wegen Uebertretung mit Arrest von 3 Tagen bis zu 3 Mona-ten, oder mit einer Geldstrafe von 50.– Kč bis 5.000.–, undwenn die Handlung durch den Inhalt einer Druckschrift began-gen wurde, wegen Vergehens mit Arrest von 8 Tagen bis zu 6Monaten, oder mit einer Geldstrafe von 100.– Kč bis 10000 Kčbestraft.

§ 2.: Wer jemanden dadurch an der Ehre kränkt, dasser vor einer dritten Person über ihn auf wie immer gearteteWeise eine Tatsache anführt oder weiter mitteilt, die ihn inder allgemeinen Meinung verächtlich machen, oder herabsetzenkönnte, wird, wenn die Handlung nicht strenger strafbar ist,gerichtlich wegen Uebertretung mit Arrest von 14 Tagen bis zu6 Monaten und wenn die Handlung durch den Inhalt einer Druck-schrift begangen wurde, wegen Vergehens mit Arrest von 3 Mo-naten bis zu einem Jahre bestraft.

Diese zwei Tatbestände werden im § 3 noch er-weitert: Hat derjenige, der jemanden beredet hat, gewusst, dassdie Tatsache, die er angeführt, oder weiter mitgeteilt hat,unwahr ist, so wird er, wenn die Handlung nicht strengerstrafbar ist, gerichtlich wegen Uebertretung mit Arrest von1 bis zu 6 Monaten, und wenn die Handlung durch den Inhalt

einer Druckschrift begangen wurde, wegen Vergehens mit stren-gem Arreste von 3 Monaten bis 1 Jahre bestraft.

Gemäss § 14 des zitierten Gesetzes werdendie strafbaren Handlungen auf Grund einer Privatklage ver-folgt.

Nach § 17 muss das Begehren um Strafverfolgungbei Gericht binnen 2 Monaten von dem Zeitpunkte gestelltwerden, in welchem der zur Klage Berechtigte von der Handlungund von der Person des Schuldigen Kenntnis erlangt hat.

Ich glaube, dass die Mitteilung, Karl Kraus habe im Weltkriege erst dann gegen die Mittelmächte geschrie-ben, als ihr Zusammenbruch entschieden war, genügt, um dieStrafverfolgung gemäss § 2 oder sogar gemäss § 3 zu begehren,umsomehr als anzunehmen ist, dass der Schreiber des Artikels wusste und wissen musste, dass diese Mitteilung unwahr ist.

2./ Gemäss § 11 der Pressegesetznovelle kannderjenige, den eine in einer periodischen Druckschriftenthaltene Nachricht betrifft, die Veröffentlichung ihrerBerichtigung verlangen. Daher ist Herr Kraus zweifellos be-rechtigt, die unwahre Tatsache, er habe im Weltkriege biszur Entscheidung über den Zusammenbruch der Mittelmächtegeschwiegen und diese erst nachher verflucht, zu berichtigen.Ebenso kann die falsche Wiedergabe des Gedichttextes berich-tigt werden.

Ob die Berichtigungsmöglichkeit bezüglich derbehaupteten Tatsache, Herr Kraus habe Offenbachsche Operetten-librettos vorgetragen, gegeben ist, ist mir nicht so klar,

wie in den vorher erwähnten Fällen.

Das Gesetz zählt im § 13 – offenbar taxativ –die Fälle auf, in denen die Veröffentlichung der Berichti-gung verweigert werden darf, selbst wenn den Bedingungendes § 11 entsprochen wurde. Unter diesen Fällen kommt derFall nicht vor, in dem die Berichtigung einer objektivnicht ganz unrichtigen Tatsache verlangt wurde.Daraus wäre wohl zu schliessen, dass auch die Behauptung,Karl Kraus habe Operettenlibrettos vorgetragen, berichtigungs-fähig ist.

Wenn ich Bedenken habe, diese Behauptung zu be-richtigen, so habe ich sie deswegen, weil ich annehme, dassder verantwortliche Redakteur einer Zeitung, die so gehäs-sig schreibt, bereit sein wird, sich in einen Prozess ein-zulassen, umsomehr als ein Prozess, in dem Herr Kraus alsKläger auftritt, Sensation erwecken und für die Zeitung ein willkommenes Reklamemittel bilden dürfte.

Die Offenbachvorlesungen des Herrn Karl Kraus bestanden wohl in der Wiedergabe der Musik von Offenbach,der von Karl Kraus bearbeiteten und durch eigene Verse er-gänzten Operettentexte. Herr Kraus wird sicherlich am bestenentscheiden können, ob die Behauptung, er habe Operetten-librettos vorgetragen, nicht trotzdem objektiv richtig ist.

Wenn ich also glaube, dass das Gericht entschei-den müsste, dass die Veröffentlichung der Berichtigung vor-zunehmen ist, so muss ich andererseits doch annehmen, dassder verantwortliche Redakteur die Tatsache, dass eine objek-tiv nicht ganz unwahre Tatsache berichtigt werden musste,

publizistisch ausnützen wird.

Unbedingt berichtigungsfähig und geradezu nachBerichtigung verlangend ist die Behauptung, Karl Kraus habeOffenbachsche Operettenlibrettos vorgetragen, als das Gewit-ter heraufzog.

Nun ist allerdings die Frage, wann das Gewit-ter heraufzuziehen begann, schwer zu beantworten. Urteils-bildungen können nicht berücksichtigt werden, sondern nurTatsachen. Der Zusammenhang des betreffenden Artikels lässtjedoch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Autor diesen Zeitpunkt mit dem „Ausbruche des Hitlertums“, alsomit der Ergreifung der Regierungsgewalt durch Hitler iden-tifiziert. Und dass in diesem Zeitpunkte noch Offenbachvor-lesungen stattgefunden haben, ist gewiss unwahr.

3./ Wegen der Veröffentlichung des ganzen Gedich-tes kann Herr Kraus nach meiner Ansicht nach dem Urheberrechte/ § 24 Absatz 2 / vorgehen.

4./ Die Widerrufsklage gemäss § 1330 A.G.B. kanneingebracht werden, wenn jemand Tatsachen verbreitet, dieden Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines Anderengefährden und wenn der Verbreiter deren Unwahrheit kannte,oder kennen musste. Die betreffende Bestimmung der III. Teil-novelle war wohl vorwiegend zum Schutze des Geschäftskre-dites gemeint und sollte Abhilfe für solche Fälle gewähren,in denen die üble Nachrede nicht unter den technischen Be-griff der Ehrenbeleidigung fällt oder aus geschäftlichen

Rücksichten die Ueberreichung einer Ehrenbeleidigungsklagenicht zweckmässig erscheint.

Ob Herr Kraus durch die beleidigendenAeusserungen des betreffenden Artikels an seinem Kredite,Erwerbe oder Fortkommen gefährdet wurde, scheint mir zwei-felhaft zu sein. Unzweifelhaft erscheint mir jedoch dieTatsache, dass der Autor des Artikels die Unwahrheit derverbreiteten Tatsachen kannte und kennen musste.

Die Beantwortung der Frage, ob die Wider-rufsklage gemäss § 1330 A.B.G.B. Aussicht auf Erfolg hat,ist daher nicht leicht und es müsste ihr ein eingehendesStudium der Literatur und Judikatur, insbesondere derPublikation von K. SchreiberZivilrechtlicher Anspruchauf Berichtigung unwahrer Mitteilungen über eine PersonGer.Z. 1915 Nr. 14 Ehrenzweig, Pfaff Gutachten, etc.vorangehen.

Ich bin bisher nicht dazu gekommen, diesePublikationen zu studieren, bin aber gerne bereit, es zu tun,wenn Herr Kraus über diese Frage eine genauere Aeusserungwünschen sollte.

Indem ich bitte, diese Mitteilung zurKenntnis zu nehmen, zeichne ich

mit vorzüglicher Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausDer Gegenangriff11. DEZ. 1933