189.23 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 15. Jänner 1934
Betreff: Karl Kraus ca | Gegenangriff

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | JUDr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Seite von 6

Ich berufe mich auf meinen Brief vom 10. d.M. und gestatte mir mitzuteilen, dass ich noch vor Zustellung derheute eingelangten schriftlichen Ausfertigung des Gerichtsbe-schlusses über die Abweisung des Antrages auf Berichtigung inner-halb der dreitägigen Frist die Beschwerde schriftlich ausgeführtund überreicht habe. Ich tat dies nach genauer Prüfung und Durch-sicht der einschlägigen Judikatur, insbesondere einer in letzterZeit erflossenen Entscheidung, aus der per analogiam geschlossenwerden kann, dass die schriftliche Ausführung der angemeldetenBeschwerde nicht unzulässig ist.

Der Fall hat, wie zu erwarten war, sehr vielAufmerksamkeit erweckt und es erschienen Berichte über das Ergebnisder Hauptverhandlung im „Prager Tagblatt“ und im „České Slovo“.Das „Prager Tagblatt“ brachte einen verhältnismässig sachlichen undauch richtigen Bericht, der allerdings dem juristisch nicht ge-schulten Leser kaum eine Vorstellung darüber gibt, worum es sicheigentlich handelt. Diesen Bericht wird Herr Kraus sicherlich gele-sen haben. Das „České Slovo“ brachte einen sachlich und juristischvollkommen falschen Bericht, in dem behauptet wird, der „Gegenan-

griff“ habe die verlangte Berichtigung zwar veröffentlicht, jedochnicht, wie von Herrn Kraus gefordert, mit der Zitierung des ganzenWortlautes des Gedichtes, sondern nur der im Artikel des Gegenangrif-fes fehlerhaft zitierten fünften Verszeile. Dies habe Herrn Kraus zurKlage veranlasst, welche abgewiesen worden sei, mit der Begründung,die Auslassung des Beistriches sei ein Versehen des Setzers und kön-ne der verantwortlichen Redakteurin aus dem Titel der Vernachlässi-gung der pflichtgemässen Sorgfalt nicht angelastet werden. Der Be-richterstatter hat, wie Sie sehen, weder die Sachlage, noch die ju-ristische Lage des Falles, erfasst.

In dem am 14. d.M. herausgegebenen Gegenangriff ist nun ein ganz unerhörter Artikel „Der Kampf um ein Komma odertrauriges Ende des Karl Kraus“ erschienen. Im Nachhange zu diesem Ar-tikel hat offenbar Dr. Schnierer eine Notiz veröffentlicht, derenVerfassung angeblich nach der Drucklegung des ebenangeführten Ar-tikels erfolgt ist und die sich mit dem Berichtigungsstritte befasst.Ich lege diese beiden Artikel, deren Inhalt mir beweist, wie rechtich daran tat, meine Einwilligung zu einer Neuformulierung der ver-langten Berichtigung nicht zu erteilen, bei. Hätte ich eingewil-ligt, dass das Gericht die Berichtigung abändere, so wäre darübersicherlich eine ebenso gemeine Notiz erschienen, wie die in der letz-ten Nummer des Gegenangriff veröffentlichte.

Die namens des Herrn Kraus verlangte Berich-tigung des Artikels „Lanze für Karl Kraus“ wurde nicht veröffent-licht. Mein Schreiben ist am 8. d.M. expediert worden und wurdeder verantwortlichen Redakteurin zu Handen des Herrn Dr. Stein am

9. d.M. zugestellt. Ich glaube, dass es zweckmässig ist, mit derUeberreichung des Antrages gemäss § 14 der Pressgesetznovelle bisnach dem Erscheinen der nächsten Nummer abzuwarten, weil ichkonstatiert habe, dass Dr. Stein einzuwenden pflegt, die Veröffent-lichung der verlangten Berichtigung sei deswegen nicht erfolgt,weil im Zeitpunkte des Einlangens des Berichtigungsschreibens dieganze Nummer bereits fertiggestellt war, sodass in dieser Nummerdie Berichtigung nicht mehr erscheinen konnte. Da der Richter auf diese Einwendung in dem mir bekannten Falle Rücksicht genommenhat, glaube ich empfehlen zu müssen, dass der Antrag erst über-reicht werden soll, bis feststeht, dass die Berichtigung auch in dernächsten Nummer nicht erschienen ist.

Um Sie und Herrn Kraus über alle Details zu orientierenschliesse ich noch eine Uebersetzung meiner Beschwerde und des heu-te zugestellten Gerichtsbeschlusses bei und bemerke, dass ichbeim Vorsitzenden des Beschwerdesenates intervenieren werde.

In der zweiten gegen den verantwortlichen Redakteur und Verfasser des im Gegenangriffe erschienen Artikels wegen Ver-gehens der üblen Nachrede resp. Verleumdung anhängigen Rechtsan-gelegenheit wurde die Vergleichstagsatzung für den 19. d.M.angesetzt. Ueber das Wesen der Vergleichsverhandlung nach dem Ge-setze zum Schutze der Ehre möchte ich Folgendes bemerken:

Die Vergleichsverhandlung ist nicht öffentlich. Siewird vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes geleitet. Auf Verlangen

irgendeiner Partei entscheidet der die Vergleichsverhandlungleitende Richter, und zwar nach Möglichkeit sofort bei der Vergleichs-verhandlung, spätestens aber binnen 8 Tagen, welche Genugtuunger als angemessen erachtet und wie die den Parteien erwachsenen Ko-sten ersetzt werden sollen. Zugleich spricht er aus, in welcher Fristdie Genugtuung zu leisten und die Kosten zu setzen sind. Vor Ablaufdieser Frist kann die Hauptverhandlung nicht stattfinden. Bei derEntscheidung über die Angemessenheit der Genugtuung berücksichtigtdas Gericht die Umstände des Falles und es kann als Genugtuungauch einen Beitrag zu einem bestimmten wohltätigen oder gemeinnützi-gen Zwecke bestimmen. Gegen die Entscheidung kann binnen 3 TagenBeschwerde geführt werden, über welche endgiltig in nichtöffentlicherSitzung das Kreisgericht in einem Kollegium von 3 Richtern entschei-det. Dann erst wird die Hauptverhandlung angeordnet.

Diese Bestimmung ist insofern wichtig, als das Ge-richt von der Bestrafung des Beschuldigten absehen kann, wenn dieserin der hiezu bestimmten Frist die Entscheidung über die Genugtuungerfüllt hat oder diese Entscheidung in den Teilen, deren Erfüllungvon dem Willen des Gegners abhing, wegen dessen grundlosen Wider-standes nicht erfüllen konnte. Ebenso kann von der Bestrafung abge-sehen werden, wenn der Schuldige dem Gekränkten spätestens vor Be-ginn der Hauptverhandlung angemessene Genugtuung geleistet hat.Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Genugtuung hat das Ge-richt die Umstände des Falles, namentlich den Inhalt und die Formder Kränkung, die Verbreitung der Aeusserung, das verletzte Interes-se, das Verhalten des Schuldigen nach der Tat, insbesondere aber

den Umstand zu berücksichtigen, ob die Kränkung in wie immergearteter Form wiederholt worden ist.

Mit Rücksicht auf diese gesetzlichen Bestimmungenwird es notwendig sein, dass mir Herr Kraus noch vor dem 19. d.M.bekannt gibt, welche Art der Genugtuung ihm angemessen erscheint.

Es tut mir unendlich leid, dass es mir trotz meinenBemühungen nicht gelungen ist, gleich bei der ersten Verhandlungeinen Erfolg zu erzielen und so Herrn Kraus vor weiteren Anrempelungendes unsauberen Blattes zu bewahren. Gegen die Dummheit und Bös-willigkeit des Richters ist schwer anzukämpfen, was um so bedauer-licher ist, als gerade dadurch der ganzen Redaktionsgesellschaftdes Gegenangriffes der Mut zu weiteren „Heldentaten“ einge-flösst wird.

Mit dem Ausdrucke vorzüglicher HochachtungergebenerDr. Turnovsky

3 Beilagen.

Die Sätze der letzten Tage der Menschheit,

Panorama, Programmschrift für Die letzten Tage der Menschheit Masany, Ottokar Fischer, Jan Münzer

Darauf Hinweis, dass die Beleidigung fort gesetzt wirdTeil(weise) unsrige Einbeziehungen

Wie herrschaftlich diese Menschheit uns erscheint

KrausDer Gegenangriff16. JAN. 1934