189.66 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 11.VIII.1934
Betreff: Kraus – Gegenangriff

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

In Erledigung Ihres Briefes vom6. d.M. gestatte ich mir mitzuteilen:

1./ Klage auf Widerruf: Der Begriff „Bücher werdenim Ramsch verkauft“ war mir seiner Bedeutung nach klar und ichwollte in meinem Briefe vom 13.VII. d.J. gegen die Ueberreichungeiner solchen Klage keine Bedenken äussern. Es lag mir nur daran,darauf aufmerksam zu machen, dass unbedingt vermieden werdenmuss, einen Prozess zu führen, wenn man nicht mit grösster Wahr-scheinlichkeit einen Erfolg erwarten kann. Die Tatbestandsmomentedes zweiten Absatzes des § 1330 A.B.G.B. müssen daher unbedingtgegeben sein. Daher wird man nachweisen müssen, dass durch dieverbreitete Meldung, die Bücher des Herrn Kraus würden im Ramschverkauft, sein Erwerb gefährdet wird und ausserdem, dass derSchreiber, resp. der verantwortliche Redakteur und Herausgeberdie Unwahrheit dieser Meldung kannte oder kennen musste.

Ich weiss nicht, ob es genügt, dass durch die betreffende Mel-dung eine Gefährdung des Erwerbes eintreten kann, resp. zu be-fürchten ist, ob man nicht vielmehr beweisen muss, dass diese Gefährdungdurch die veröffentlichte Notiz tatsächlich eingetreten ist.

In ersterem Falle würde der Stritt auf Grund eines Sachverstän-digengutachtens, in letzterem nach dem Ergebnisse des Beweis-verfahrens entschieden werden, wobei es wichtig wäre nachzu-weisen, dass die Veröffentlichung der betreffenden Notiz eine

Verschlechterung des Verkaufes der Werke des Herrn Kraus beimMelantrichverlag zur Folge hatte. Wenn dies bewiesen werdenkönnte, dann hätte ich gegen die Ueberreichung der Klage keineBedenken. Prozesse, deren Ergebnis nur von einem Sachverstän-digengutachten abhängt, sind jedoch – wie Sie wissen – immereinigermaßen gewagt.

2./ Artikel: „Mut, Verrat oder Feigheit? Ich mussgestehen, dass ich diesen Artikel deswegen übersehen habe, weilich die Nummer 29 des Gegenangriff nur insoferne durchgesehenhabe, ob sie die fehlerfreie Satisfaktionserklärung fehlerfrei enthält.

Der ganze Inhalt dieses Artikels stellt zweifellos Beleidigungenim Sinne des § 1 und 2 des Gesetzes über den Schutz der Ehre dar.Der Satz „Wofür doch so ein Karl Kraus alles Kraft, Nerven undZeit hat“ ist eine Lächerlichmachung / § 1 / die weiteren Sätzedenn Polemik erfordert entweder Mut, oder ist Feigheit, oderVerrat …“ bis „… womit nichts gegen Klosettfrauen gesagtsein soll“ beinhalten den Tatbestand der Nachrede / § 2 /, weilTatsachen mitgeteilt werden, die geeignet sind, Herrn Kraus inder allgemeinen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.Die Ueberreichung der Ehrenbeleidigungsklage wäre also durchausangebracht und ich werde trachten, den Schreiber des Artikels zu eruieren, damit er gemeinsam mit der verantwortlichen Redak-teurin geklagt werden könne.

Die Annahme, es sei vereinbart worden, der Gegen-Angriff dürfe in der Nummer, in welcher die Erklärung abgedruckt wird, zuder Materie des Beleidigungsprozesses nicht Stellung nehmen, istirrig. Anlässlich der im Pressverfahren vorgeschriebenen Ver-

gleichstagsatzung hat Herr Kraus den Wunsch geäussert, dass demGegenangriff die Veröffentlichung einer Erklärung mit der Ver-pflichtung auferlegt werde, in der gleichen Nummer, sowie inspäteren Nummern der Zeitschrift zu der Materie des damals nochanhängigen Berichtigungsprozesses keinerlei Bemerkungen zu publi-zieren. Damals kam es jedoch zu keinem Vergleich und die Bedin-gungen des bei der Hauptverhandlung abgeschlossenen Uebereinkom-mens lauteten dahin, dass die von uns aufgesetzte Erklärungkostenlos und ohne jede Anmerkung unter den Rechtsfolgen des § 9der Pressgesetznovelle veröffentlicht werden müsse. Dieser Bedin-gung hat der Gegen-Angriff entsprochen.

3./ Die in Nummer 30 und 31 enthaltene Bemerkung „Reserviertfür Karl Kraus-Berichtigungen“ ist in der gestern erschienenenNummer nicht mehr enthalten, wie denn auch diese Nummer keinerleiBemerkungen über die Person des Herrn Kraus enthält.

Wollen Sie mir bitte mitteilen, wie sich Herr Kraus wegen der Überreichung der Widerrufs-und-Ehrenbeleidigungsklageentschlossen hat.

In vorzüglicher Hochachtungergebener:Dr. Turnovsky

KrausGegenangriff13. AUG. 1934