189.99 Urteil (Übersetzung) des Zivilbezirksgerichts Prag-Ost (G.Z. C VIII 1411/34-8, Richter: Georg Bouzek, Verteidiger: Sigmund Stein)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 27. Februar 1935
Seite von 10

Uebersetzung

C VIII 1411/34–8

Urteil.

Im Namen der Republik.

Das Zivilbezirksgericht für Prag-Ost hatdurch den Gerichtsrat Dr. Bouzek als Richter in der Rechts-angelegenheit der klagenden Partei Karl Kraus, Eigentümerund Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien, vertre-ten durch Dr. Johann Turnovsky, Advokaten in Prag, gegen diebeklagte Partei, Dr. Marie Schnierer, Herausgeberinund verantwortliche Redakteurin der Wochenschrift „DerGegen-Angriff“ in Prag XI Biskupcová 1719, vertreten durchDr. Sigmund Stein, Advokaten in Prag, wegen des Anspruchesgemäss § 1330 A.B.G.B. / pcto. 5000.– Kč / nach mit beiden Parteienabgehaltener Streitverhandlung wie folgt zu Recht erkannt:

Die beklagte Partei ist verpflichtet,folgende in Nummer 27 der Zeitschrift „der Gegen-Angriff“ veröffentlichte Nachricht zu widerrufen: „Karl Kraus imAusverkauf. Nach dem politischen Freitod von Karl Kraus,über den wir vor einiger Zeit berichteten, wird jetzt seinliterarischer Nachlass im Ramsch verkauft“ und auf eigeneKosten binnen 14 Tagen unter Exekutionsfolgen auf den viertenSeite der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ in gleichem Druckeund in der gleichen Rubrik, in der die widerrufene Nachrichtveröffentlicht war, in deutscher Sprache folgende Erklärungzu veröffentlichen: „Widerruf: In Nummer 27 dieser Wochen-schrift vom 7.VII.1934 war unter dem Titel ‚Karl Kraus imAusverkauf‘ eine Nachricht veröffentlicht, in welcher be-hauptet war, dass der literarische Nachlass Karl Kraus’ jetztim Ramsch verkauft wird. Diese Behauptung ist unwahr.Dr. Marie Schnierer, Herausgeberin und verantwortliche Redakteurin“

Der übrige Teil des Klagebegehrens wird abge-wiesen.

Die beklagte Partei ist verpflichtet, derKlagspartei die mit Kč 1019.55 bestimmten Verfahrenskostenbinnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung:

Es ist unbestritten, dass die beklagte Partei Heraus-geberin und verantwortliche Redakteurin des „Gegen-Angriffist, welcher in Nummer 27 vom 7.VII.1934 in der Rubrik„Bemerkungen“ eine Nachricht folgenden Wortlautes brachte:

Karl Kraus im Ausverkauf:

Nach dem politischen Freitod von Karl Kraus, über denwir vor einiger Zeit berichteten, wird jetzt sein literari-scher Nachlass im Ramsch verkauft. Prager-Zeitungen bringenfolgendes Inserat: es folgt nun das Inserat des VerlagesMELANTRICH, dessen Inhalt besagt, dass sämtliche Werke vonKarl Kraus vom Verlage Melantrich in Generalkommission über-nommen worden sind.[“]

Die Klagspartei führt bestritten an: Das Lager derBücher des Klägers beim Leipziger-Kommissionär und eingrosser Teil des Vorrates dieser Bücher, der beim Wiener Ver-lage ‚Die Fackel‘ auf Lager war, wurde vom Prager- VerlageMELANTRICH in Generalkommission übernommen, welcher die zumVerkaufe bestimmten Bücher an die einzelnen Buchhandlungenabgibt. Ueber die Uebernahme der Werke des Klägers in General-kommission hat der Verlag Melantrich in der Tagespresse Inse-rate veröffentlicht. Eine Aenderung der Verkaufspreise die-ser Bücher ist nicht eingetreten und wurde auch nicht ange-zeigt.

Durch die in der Zeitschrift „Der Gegen-Angriffveröffentlichte Nachricht, deren Unrichtigkeit die beklagtePartei kannte, resp. kennen musste und deren Absicht auf diefalsche Behauptung gerichtet war, dass die Werke des Klägers

im Ramsch verkauft werden, ist der Kläger in seinem Erwerbegefährdet, da der Wortlaut dieser Behauptung geeignet ist,die kauflustigen Interessenten von der Anschaffung der Bü-cher zu normalen Buchhandlungspreisen abzuhalten und sieinsoferne irrezuführen, als ihnen glaubhaft gemacht wird,dass sie diese Bücher zu herabgesetzten Preisen beim Ver-lage Melantrich erwerben können. Ausserdem ist diese Nach-richt geeignet, das Vertrauen der Leser zum Inneren inhalt-lichen Werte der Werke des Klägers herabzusetzen. Das vomVerlage Melantrich veröffentlichte Inserat hatte vor allemden Zweck, die Buchhändler darauf aufmerksam zu machen, dassdiese nunmehr die Werke des Klägers vom Prager VerlageMelantrich beziehen können und dass es also nicht mehr not-wendig ist, die Bücher durch Vermittlung des Wiener Verla-ges „Die Fackel“ zu bestellen.

Deshalb stellt die klagende Partei dasBegehren, es möge ausgesprochen werden, dass die beklagtePartei verpflichtet ist, die anstössige Verlautbarung ingleicher Form, wie sie veröffentlicht war, zu widerrufen,wobei die Klagspartei gleichzeitig verlangt, die Beklagte mögeschuldig erkannt werden, zu veröffentlichen, dass die Werkedes Klägers zu den ursprünglichen vollen Verkaufspreisenverkauft werden.

Die Klagspartei betont, dass infolge despolitischen Umsturzes in Deutschland das Interesse an denWerken des Klägers nicht gesunken ist, was schon aus demUmstande hervorgeht, dass sein Buch „Die letzten Tage derMenschheit“ das im letzten Jahre vom Verlage Družstevnípráce in tschechischer Uebersetzung herausgegeben worden ist,in kurzer Zeit sozusagen vergriffen war.

Die beklagte Partei beantragt die Abwei-sung der Klage und wendet ein:

Die Bedeutung des Ausdruckes „Im Ramsch“deckt sich nicht mit der Uebersetzung „Za babku“ / AnmerkungDr. T.: Dieser Ausdruck bedeutet soviel wie „Um einen Pappen-stiel, halb umsonst“ /, sie gesteht jedoch zu, dass der Sinndieses Ausdruckes soviel besagt, wie „im Ausverkauf“, „in Bauschund Bogen“, also zu herabgesetzten Preisen. Sie beruft sichauf den Inhalt des Inserates, aus welchem der Leser begrün-deterweise den Eindruck gewinnen konnte, dass die Werke desKlägers zu einigermassen reduzierten Preisen verkauft würden.Die Beklagte hat den Inhalt des Artikels weder gekannt, nochkennen müssen, es hat sich um eine unbedeutende kleine Notizgehandelt. Die Beklagte hat bei der Redaktion und beim Ab-schluss der Nummer, in welcher diese Notiz veröffentlicht war,nicht mitgewirkt und ist an der Verbreitung der Zeitschriftin keiner Weise beteiligt. Mit Rücksicht auf die Verschieden-heit der politischen Gesinnung Karl Kraus’ und der ZeitschriftDer Gegen-Angriff“ ist es unwahrscheinlich, dass die Leserdieser Zeitschrift überhaupt an den Werken des Klägers interes-siert sind. Nach dem Inhalte der Inserate mussten die Werkedes Klägers ohnehin beim Melantrich-Verlag gekauft werden,da durch diese Inserate der Leser in der Richtung informiertwurde, dass die Bücher nur bei diesem Verlage erhältlich sind,einerlei ob zum Originalpreise oder zu reduzierten Preisen.Infolge des politischen Umsturzes in Deutschland hat über-haupt das Interesse an den Werken deutscher Autoren, selbstan denen bedeutenderer, als der Kläger ist, nachgelassen.Ueberdies verwahrt sich die Beklagte gegen die Formulierungund den Inhalt des Klagspetites.

Nach der Bestimmung des § 1330 A.B.G.B. kann der Beleidigte von demjenigen, der über ihn, Tatsa-

chen verbreitet hat, deren Unwahrheit er kannte oderkennen musste, den Widerruf und dessen Veröffentlichungverlangen. Für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mit-teilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt,haftet er nicht, wenn er oder der Empfänger der Mittei-lung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.

Der Text der vom Kläger als anstössig empfun-denen Notiz wurde vom Gerichte auf Grund des einvernehm-lichen Vorbringens beider Parteien, resp. durch den In-halt des vorgelegten Exemplares der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“ festgestellt. Durch die Einvernahme desDr. B. Fučík, als sachverständigen Zeugen, erachtet dasGericht als erwiesen, dass der Verlag Melantrich etwavor einem Jahre die Werke des Klägers zum ausschliessli-chen Verkaufe in der Tschechoslovakischen Republik inGeneralkommission übernommen hat und zwar einerseits vomWiener-Verlag „Die Fackel“, andererseits vom Leipziger-Kommissionär, worauf der Verlag Melantrich nach Verein-barung des Kommissionsübereinkommens hievon die Buchhänd-ler unter Angabe des Ladenpreises der Bücher verständigthat. Hierauf wurde durch diesen Verlag der Tagespresseein Inserat übergeben, welches dann mit der streitgegen-ständlichen Anmerkung auch in der Zeitschrift „der Gegen-Angriff“ veröffentlicht war, wobei der Inhalt des In-serates aus der kurzen Mitteilung bestanden hat, dass dieWerke des Klägers vom Verlage Melantrich in Generalkommis-sion übernommen worden sind, durch dessen Vermittlung dieBücher in den Buchhandlungen erworben werden können.Diese letzterwähnte Tatsache stellt das Gericht auchaus dem vorgelegten Inserate fest. Ferner ist durch dieAussage des Dr. Fučík auch erwiesen, dass die Preise derWerke des Klägers durch den Vertrag über die General-kommission genau festgestellt worden sind, dass es zu

einer Herabsetzung dieser Preise und ebensowenig zueiner Verlautbarung, dass die Preise der Bücher desKlägers herabgesetzt worden sind, gekommen ist. Dadurchist die Unwahrheit der veröffentlichten Mitteilung er-wiesen. Das Gericht schliesst sich durchaus der An-sicht des sachverständigen Zeugen an, dass diese Mit-teilung geeignet ist, den Erwerb und das Fortkommendes Klägers zu gefährden und dass durch die Veröffent-lichung der Mitteilung, dass die Werke zu ermässigtenPreisen auf dem Markte erhältlich sind, der Leser vonder Erwerbung dieser Werke zu vollem Preise abgehaltenund in seinem Vertrauen zu dem inneren literarischen Wertder Werke schwankend gemacht wird, dass er fühlt, dasssich der Verleger der Auflage dieser Werke entledigenwill, dass, wenn die Preise reduziert werden, gewöhnlichein überstürzter Massenverkauf eintritt, der jedochdann plötzlich abbricht. Zur Begründung dieser Ansichthat der sachverständige Zeuge auf zwei allgemein bekannteFälle eines Massenabverkaufes durch zwei Prager-Verlag-Häuser hingewiesen. Zur Widerlegung dieser Konklusiongenügt nicht die behauptete Tatsache, dass die von derLeitung der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ vertretenenAnschauungen von den Anschauungen des Klägers bedeutendabweichen, woraus keinesfalls hervorgeht, dass eine periodi-sche, in normaler Welse kolportierte, resp. verbreiteteZeitschrift nicht gerade von für dieBücher des Klägers Interessierten gelesen werden könnte.

Es ist zwar im Prozesse nicht nachgewie-sen worden, dass die beklagte Partei die Unwahrheit derveröffentlichten Mitteilung gekannt hat. Dagegen ist gewiss,dass die Beklagte die Unwahrheit der Mitteilung hättekennen müssen, insoferne sie die durch die Vorschriftdes § 1295 A.B.G.B. und des Artikels 282 A.B.G.B. auferleg-te Aufmerksamkeit angewendet hätte.

Die Beklagte erblickt ihre subjektive Exkulpierung imInhalte des Inserates des Verlages Melantrich, der angeblichVeranlassung zu der Auslegung gegeben hat, mit welcherdann der Inhalt dieses Inserates in der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“ kommentiert worden ist. Berücksichtigtman jedoch den Inhalt dieses Inserates, wie er festgestelltworden ist, kann man der Beklagten keinesfalls beipflich-ten. Die Uebernahme einer Bücherauflage in Generalkommis-sion und eine Annonce, dass die Bücher in Buchhandlungenerhältlich-sind, begründet keinesfalls die Auslegung, dassdie Bücher zu herabgesetzten Preisen oder sogar „im Ramsch“verkauft werden. Für die Qualifizierung des Verschuldensgenügt auch culpa levis / Vergl. Ehrenzweig § 396 S. 659 u.Entsch. Nro. 11757 /.

Für die Beurteilung der Sache istnicht massgebend, ob die Beklagte bei der Verbreitung, alsoVerkauf, Kolportage u.dgl. beteiligt ist, weil gemäss§ 1330 A.B.G.B. derjenige verantwortlich ist, der die un-wahre Tatsache verbreitet und nicht derjenige, der dieZeitung verbreitet und zwar in dem Sinne, wie es die Beklag-te meint. Nach Ansicht des Gerichtes ist der Herausgeberund verantwortliche Redakteur einer periodischen Zeit-schrift, in welcher die beleidigende Insinuation abgedrucktwar, der Verbreiter der Nachricht gemäss § 1330 A.B.G.B. und nicht bloss der Autor. Wenn der Herausgeber und verant-wortliche Redakteur nach den strafrechtlichen Bestimmungenfür den Inhalt der Zeitschrift verantwortlich ist, danntrifft ihn umsomehr die zivilrechtliche Verantwortlichkeit.Bestimmt nun das Gesetz im § 1330 A.B.G.B., dass in einemsolchen Fall der Widerruf und dessen Veröffentlichungverlangt werden kann, so kann dies wirksam am ehesten vomHerausgeber der Druckschrift verlangt werden, wenn durchden Inhalt dieser Druckschrift eine Schädigung der Ehre

verursacht wurde, die geeignet ist, den Kredit, den Erwerboder das Fortkommen eines anderen zu gefährden.

Es ist nicht massgebend, ob noch andereMomente eine Herabsetzung des Interesses für die Werkedes Klägers verursacht haben, ebensowenig entscheidetdie Tatsache, ob durch die unwahre, in der ZeitschriftDer Gegen-Angriff“ veröffentlichte Mitteilung eineschädliche Folge eingetreten ist, es genügt die obigeFeststellung, dass die unwahre Mitteilung geeignet ist,die durch die Bestimmung des § 1330 A.B.G.B. geschütztenInteressen zu gefährden.

Nach der zitierten gesetzlichen Be-stimmung steht dem Geschädigten das Recht zu, den Wider-ruf und dessen Veröffentlichung zu begehren. Das Gesetzenthält keine Detailbestimmung darüber, in welcher Formder Widerruf und die Veröffentlichung erfolgen soll.Bei der Lösung dieser Frage geht das Gericht von dem Zweckdieser Norm aus und gelangt zu dem Schlusse, dass der Wi-derruf und seine Veröffentlichung in der Weise erfolgenmuss, in welcher dem falsch Informierten die unwahre Mit-teilung zur Kenntnis gebracht worden ist. Ist die beleidi-gende Insinuation durch die Presse erfolgt, so muss derWiderruf und die Veröffentlichung gleichfalls durch diePresse in analoger Weise erfolgen, in welcher die unwah-re Mitteilung publiziert worden ist. Diesbezüglich istdem Klagsantrage entsprochen worden. Abgewiesen wurde nurder weitere Inhalt des Antrages, welcher nach Analogieder betreffenden strafrechtlichen Normen auf die Veröffent-lichung der richtigen Detailumstände gerichtet ist, unterwelchen die Werke des Klägers verkauft werden. Hiebeigeht das Gericht von der Bestimmung des § 1330 A.B.G.B. aus,nach welcher der Schädigende verpflichtet ist, die unwahreMitteilung zu widerrufen und den Widerruf zu veröffentlichen

erachtet es jedoch nicht für zulässig, diese Bestimmung desZivilrechtes noch ausnahmsweise auszudehnen, resp. zu er-weitern und überdies dem Verbreiter der unwahren Mittei-lung noch die Verpflichtung aufzulegen, die Öffentlich-keit über die wahre Sachlage bei Veröffentlichung des Wi-derrufes zu informieren.

Die Prozesskosten wurden der klagenden Par-tei zur Gänze zugesprochen, weil sie nur zu einem gering-fügigen Teile ihres Anspruches, dessen Geltendmachung über-dies besondere Kosten nicht veranlasst hat, unterlegen ist.

Zivilbezirksgericht für Prag-Ost am 27.II.1935Dr. Georg Bouzek.

KrausGegenangriff13. APR. 1935