189.101 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 14.III.1935
Betreff: Kraus – Gegen-Angriff

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokaten
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Bei der heutigen Hauptverhandlungerschien für die beklagte Dr. Marie Schnierer Dr. Kassowitz,Konzipient des Dr. Stein. Nach Vortrag der vorbereitendenSchriftsätze hat das Gericht den Parteien dringend nahe-gelegt, einen Vergleich abzuschliessen, zu dem ich michnur unter den in Ihrem gesch. Schreiben vom 22.XII.1934 angeführten Bedingungen bereit erklärte.

Ueber die Fassung der von der Beklagten zu veröffentlichen-den Satisfaktionserklärung wurde lange verhandelt und daich nur den Wortlaut akzeptieren wollte, den Sie in dem ob-genannten Schreiben angegeben haben, der Gegenanwalt jedocherklärte, diese Fassung nicht akzeptieren zu können, habeich beantragt, man möge die Verhandlung fortsetzen und überdie gestellten Anträge beschliessen. Das Gericht hat langeberaten und schliesslich liess mich der Vorsitzende rufenund ersuchte mich, ich möge doch einen Vergleich ermöglichen.Da ich ohne ausdrückliche Einwilligung des Herrn Kraus vonder Fassung der Satisfaktionserklärung nicht abgehen woll-te, andererseits mich propter servandum favorem judicis nichtunnachgiebig zeigen wollte, habe ich meine Einwilligung zufolgendem beiderseits bis zum 25. d.M. widerruflichen bedingten

Vergleiche erteilt:

„Die beklagte Dr. Marie Schnierer, verant-wortliche Redakteurin der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“,verpflichtet sich unter den Rechtsfolgen des § 9 der ergänz-ten Pressgesetznovelle kostenlos und ohne Anmerkungen aufder zweiten Seite der ersten Hälfte der letzten Kolonneund sonst so, wie es im § 8 der Pressgesetznovelle festge-setzt ist, in der Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“ folgendeErklärung zu veröffentlichen und zwar in der nächsten oderunmittelbar darauf folgenden Nummer der genannten Zeitschriftdie nach Rechtskraft dieses Vergleiches erscheinen wird.Ferner verpflichtet sie sich, dem Privatkläger zu Handenseines Rechtsanwaltes, Dr. Johann Turnovsky, Advokaten in Prag,an Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung den Betrag vonKč 1000.– binnen 14 Tagen, gerechnet von der Rechtskraftdieses Vergleiches, unter Exekutionsfolgen und unter den inden §§ 10 und 11 der ergänzten Pressgesetznovelle angeführ-ten Folgen zu bezahlen.

Erklärung:

In der Nummer 29 des II. Jahrganges dieser Zeit-schrift vom 22. Juli 1934 haben wir einen ArtikelMut, Verrat oder Feigheit?veröffentlicht, in welchem wir Herrn Kraus beleidigt haben.Wir bedauern diese beleidigenden Behauptungen und widerrufen sie.

Dr. Marie Schnierer,verantwortliche Redakteurin.“

Ich wiederhole, dass es Herrn Kraus frei-steht, bis zum 25. d.M. den Vergleich zu widerrufen, falls ihm

die Fassung der Satisfaktionserklärung nicht konveniert.

Ich gestatte mir zu bemerken, dass ich denEindruck gewonnen habe, dass das Gericht keinerlei weitereBeweise zulassen will und die Angeklagte wegen Unterlassungder pflichtgemässen Sorgfalt im Sinne der Anklage schuldig-sprechen dürfte.

Zum Abschluss dieses bedingten Vergleicheshabe ich mich – wie gesagt – nur deshalb entschlossen, weilich den Eindruck hatte, dass dem Gerichte diese Art der Been-digung des Prozesses besonders angenehm ist und weil ichmir das Wohlwollen des Senates für die beiden anderen wich-tigeren Prozesse des Herrn Kraus erhalten wollte.

Die im Vergleiche zitierten gesetzlichenBestimmungen besagen, dass im Falle der Nichtveröffentlichungder Satisfaktionserklärung über Antrag des Privatklägers die Einstellung der Zeitschrift verfügt werden wird. Ferner,dass für die Prozesskosten nicht nur die verantwortlicheRedakteurin, sondern auch der jeweilige Herausgeber der Zeit-schrift zu haften hat.

Betrifft: Gegen-Angriff -Widerrufsklage.

In dieser Angelegenheit habe ich mit demRichter gesprochen und die Mitteilung erhalten, er werde derKlage in vollem Umfange stattgeben, trotzdem er bezüglichdes Klagspetits gewisse Bedenken habe. Ich habe nämlich dieVeröffentlichung des Widerrufes in der Weise verlangt, in welcherErklärungen im pressgesetzlichen Verfahren veröffentlicht

werden sollen und habe zur Begründung dieses Antrages ange-führt, dass es notwendig sei, die Analogie der pressgesetzli-chen Bestimmungen heranzuziehen, weil dem Gesetzgeber bei derBestimmung des § 1330 A.B.G.B. jedenfalls darum zu tun war,dass sich der Widerruf an dieselben Personen wende, welchendie zu widerrufende Nachricht zur Kenntnis gelangt ist.Der Widerruf einer in einer Zeitung veröffentlichten fal-schen Nachricht muss daher, um diese Wirkung zu haben, in derdurch die Pressegesetze statuierten Weise erfolgen, was sicher-lich zu gelten hat, trotzdem der § 1330 A.B.G.B. die Form desWiderrufes nicht bestimmt. Diese Auffassung schien dem Rich-ter einigermassen „originell“, doch erklärte er, dass ersich sie zu eigen machen werde, da nicht geleugnet werdenkönne, dass es nicht angehe, die Wahl des Inhaltes und derForm des Widerrufes dem zum Widerrufe Verpflichteten zu über-lassen.

Indem ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor,bitte, diese Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen und HerrnKraus zur Kenntnis zu bringen und mir fristgemäss bekannt-zugeben, ob der Vergleich widerrufen werden soll, zeichne ichmit ergebenen Grüssen an Sie und Herrn Kraus

in vorzüglicher HochachtungDr. Turnovsky

KrausGegenangriff15. MRZ. 1935