189.124 Konzept der Strafanzeige resp. Klage von Karl Kraus gegen Gegen-Angriff (verantw. Red. Friedrich Kassowitz) gemäß §§ 1 und 2 des Gesetzes über den Schutz der Ehre (Kreisstrafgericht Prag)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 2. Juli 1935
Seite von 10

Konzept

Kreis-Strafgericht in Prag.

Privatkläger: Karl Kraus, Schriftsteller und Eigentümer und Herausgeberder Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien,vertreten durch:

Angeklagter: Dr. Friedrich Kassowitz, Herausgeberund verantwortlicher Redakteur der Wochen-schrift „Der Gegen-Angriff“ in Prag

Strafanzeige, resp. Klage

gemäss § 1 und 2 desGesetzes über den Schutzder Ehre.

Zweifach – 1 RubrikVollmacht.

I. Der Privatkläger ist Eigen-tümer und Herausgeber der in Wien erscheinen-den Zeitschrift „Die Fackel“, der Angeklagte Herausgeber und verantwortlicher Redakteurder in Prag erscheinenden WochenschriftDer Gegen-Angriff“. In dieser Wochen-schrift sind seit dem Jahre 1934 wiederholtArtikel erschienen, in welchen die Ehredes Privatklägers angegriffen wurde, sodassdieser genötigt war, den Schutz dieses Schöf-fengerichtes, sowie des Bezirksgerichtes fürStrafsachen und des Zivilbezirksgerichtesfür Prag Ost in folgenden Angelegenheitenanzurufen: G.Z.T IV 180/34 / Berichtigungnach dem Pressegesetz /, des Bezirksgerichtesfür Strafsachen Prag, G.Z.Tl VII 96/34 diesesGerichtes, Tk VII 8790/34 dieses Gerichtes,C VIII 1411/34 des Zivilbezirksgerichtesfür Prag-Süd / Berichtigungsklage nach § 1330A.B.G.B./.

In allen diesen Fällen ist derverantwortliche Redakteur der WochenschriftDer Gegenangriff“ unterlegen. Er wurdeschuldig erkannt, die verlangte Pressberichti-gung zu veröffentlichen, der Berichtigungs-klage nach § 1330 A.B.G.B. wurde entsprochenund in den Presse-Ehrenbeleidigungsprozessenhat der verantwortliche Redakteur, der alleingeklagt werden musste, weil der Autor, resp. die

die Autoren der inkriminierten, anonymveröffentlichten Artikel nicht eruiertwerden konnten, um der Bestrafung nachdem Ehrenschutzgesetze zu entgehen, dieVerpflichtung auf sich genommen, Satis-faktionserklärungen zu veröffentlichenund die Prozesskosten zu bezahlen. ZurErfüllung dieser Verpflichtung mussteer allerdings immer wieder durch Stellung des An-trages auf Einstellung des Erscheinensder Zeitschrift gezwungen werden unddie Bezahlung der Kosten konnte erstnach Ueberreichung des Exekutionsantra-ges erwirkt werden.

Beweis: die oben zitierten Akten,evtl. Zeugenaussage des Dr. Johann Turnovsky Advokaten in Prag – II, Vodičkova 33.

II. Wiewohl der nunmehrige verantwort-liche Redakteur der Zeitschrift „DerGegen-Angriff“, der gleichzeitig Heraus-geber dieser Zeitschrift ist (früher war eine Frau Dr. Schnierer die verantwortliche Redakteurin), anlässlichder letzten Ehrenbeleidigungssache unterHinweis auf die prekäre Situation seinesBlattes ein Entgegenkommen in der Kosten-frage und hinsichtlich der Veröffentli-chung der ihm auferlegten Satisfaktions-erklärung erbeten hat, ist nun in der am15. Juni 1935 erschienenen Nummer 24 derWochenschrift „Der Gegen-Angriff“ aber-mals ein Artikel erschienen, der sichtlichdie Absicht verfolgt, den Privatkläger

durch Lächerlichmachung an der Ehre zukränken. In diesem Artikel werden über denPrivatkläger unwahre Tatsachen mitgeteilt, durch die ihn er einer ehrlosen Gesinnung geziehen und in der allgemeinen Meinung lächerlich ma-chen und herabsetzen müssen gemacht und herabgesetzt wird. Es wird muss ausdrücklich darauf hingewie-sen werden, dass die bisher in allen zwischen demPrivatkläger und dem verantwortlichen Re-dakteur des Gegen-Angriff geführten Presse-prozessen vorgebrachte Verteidigung, derverantwortliche Redakteur habe den inkrimi-nierten Artikel weder verfasst, noch vor derVeröffentlichung gelesen, noch in Druck ge-geben, in diesem Falle nicht zugelassen wer-den darf, weil gerade der jetzige Heraus-geber und verantwortliche Redakteur, derAngeklagte, Herr Dr. Friedrich Kassowitz, genauwusste und weiss, dass die bisher gegen denPrivatkläger veröffentlichten beleidigendenArtikel Gegenstand wiederholter Strafver-fahren waren und die Bestrafung seiner Vor-gängerin nur durch Satisfaktionserklärungenvermieden werden konnte, zu deren Veröffent-lichung sich zwar die frühere verantwortli-che Redakteurin, Frau Dr. Marie Schnierer,eine K Berufsk ollegin des nunmehrigen Angeklagten und seine Vorgängerin auch als Konzipientinder Kanzlei Dr. Sigmund Stein, verpflichtethat, deren Veröffentlichung jedoch bereitsim Zeitpunkte der Tätigkeit des Angeklagten als Herausgebers und verantwortlichen Redak-teurs des „Gegen-Angriff“ durch Zwangsmit-tel erwirkt werden musste.

Beweis: Die oben zitierten Akten,sowie der ad I. angeführte Zeuge.

III. In dem am 15.6.1935 erschie-nenen Artikel, der im Original sowiein beglaubigter Uebersetzung in dieStaatssprache vorgelegt wird und derabermals anonym veröffentlicht wurde,wird behauptet, es sei fast ebensoschwer, über den Privatkläger die Wahr-heit zu schreiben, wie seinerzeit überFranz Josef. Denn die Polizei und Pa-ragrafen schützten angeblich nicht dieWahrheit, sondern vor ihr und Leute,die ihr eigenes Ende überleben, gleich-gültig ob Kaiser oder Schriftsteller / gemeint ist der Privatkläger / pfleg-ten von diesen bewährten Wahrheitsver-hinderungsmitteln erhöhten Gebrauchzu machen. Der Wunsch des Privatklä-gers, der ironisch als vaterländischerDichter bezeichnet wird, sei zwar ver-ständlich, nämlich der Wunsch, es mögeihm die Konfrontierung mit sich selbstausserhalb des Machtbereiches derWiener-Polizeidirektion erspart blei-ben, doch könne ihm dieser Gefallentrotz allen Einschüchterungsmethodengewisser Leute nicht erfüllt werden,wiewohl diese Methoden in ihrer Artmit denen der deutschen Gestapo / Ge-heimen Staatspolizei / erfolgreich kon-kurrieren können.

Der Gegen-Angriff sei durch Erfahrungen mitStaats- und Kraus-Anwälten gewitzigt undsolle daher den Privatkläger über sich selbstdie Wahrheit schreiben lassen. In der EndeMai 1935 erschienenen „Fackel“ / deren allei-niger Autor der Privatkläger ist /, sei einvor einiger Zeit geäusserter Vergleich Star-hembergs mit Lassalle ergänzt worden.

Und nun folgt ein Zitat aus dem Ende Mai1935 erschienenen Hefte der vom Privatklä-ger herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackelund zwar aus einem Aufsatze des Privatklägers in welchem dieser die rednerischen Leistungendes österreichischen Obersten Walter Adam einensprachktitischen Würdigung unterzieht. Der in-kriminierte Artikel führt nach diesem Zitat an,dass hervorgehoben werden müsse, dass eben dieserOberst Adam Propagandachef der Schuschnigg-Re-gierung sei, von dessen Wohlwollen es abhänge,ob die FACKEL erscheinen kann. Und nun wird inironisierender Absicht, die dem Leser natürlichsofort klar wird, bemerkt: „Die Behauptung,Karl Kraus lecke dem österreichischen Göbbels – sagen wir – den Schuh, würde auf Grund desPressegesetzes berichtigt werden. Karl Krausliterarisches Urteil ist auch nicht etwa käuf-lich. Wir sind fest davon überzeugt, dass esvöllig unentgeltlich abgegeben wird.

Dieser Passus ist nicht nur eine ver- enthält in seiner enthält in seiner an und für sich verspottenden Form die folgende beleidigende Behauptung: steckte, sondern eine ganz offenkundige Form einer albernen Verspot-tung und Lächerlichmachung des Privatklägers,von dem folgendes behauptet wird die folgendeschwer beleidigende Behauptung:

Er Der Privatkläger lobt die rednerische Leistung des Ober-sten Walter Adam. Er lobt sie, nicht weil sie lobens-wert ist, sondern weil Oberst Adam, der nach An-sicht des Schreibers Beleidigers österreichischer Propaganda-chef ist, und in dessen Macht es angeblich lieg t e , darüberzu entscheiden, ob die Zeitschrift des Privat-klägers erscheinen darf oder nicht, wegen diesesLobes die Entscheidung zu Gunsten des Privat-klägers fällen dürfte. Und nun wird mit erkenn- folgt die Beleidigung: barem Hohn hinzugefügt: Wenn der Schreiber desArtikels behaupten wollte, der Privatkläger leckedem österreichischen Göbbels – euphemistisch ausge-drückt – den Schuh, dann würde diese Behauptungnach dem Pressegesetze berichtigt werden können. (Eine an sich erstaunliche juristische Auffassung, da ein solcher Scherz nicht nie berichtigt werden könnte, wohl aber dessen eine schwere Beleidigung darstellt.) Um dies (die angeblich vermeintlich drohende Berichtigung) zu ver hindern meiden , wird hinzugefügt, dass mandiese Behauptung eben nicht vorbringe und über-zeugt sei, dass das literarische Urteil des Pri-vatklägers nicht etwa käuflich sei und völligunentgeltlich abgegeben werde. Der Leser erkenntauf den ersten Blick, welche beleidigende Absicht der Schrei-ber des Artikels verfolgt. Er will { dass er mit Rücksicht auf die Bestimmun- irgendwelche gen des Pressegesetzes, das die Berichtigung be- juristische Gefahr haupteter Tatsachen ermöglicht, } {zum Ausdruckebringen,} dass er nicht in derLage sei zu behaupten, der Privatkläger leckedem österreichischen Göbbels den Schuh, um zu er-wirken, dass dieser das Erscheinen der FACKEL ge-stattet. Und deswegen wird diese Behauptung alsnicht vorgebracht angeführt und sichtlich ironisch , die Beleidigung heuchlerisch höhnisch reduzierend und damit erst recht hervorhebend hinzugefügt, dass man überzeugt sei, das Ur-teil des Privatklägers {sei jedenfalls unentgeltlichabgegeben worden}. Diese Art der Darstellung

bedeutet ohne Zweifel eine noch kräftigere Behauptung derdurch die Darstellung negierten Tatsache. Dadem Leser der Sinn dieses Passus klar ist undklar sein muss, kann es keinem Zweifel unterlie-gen, dass der Privatkläger dadurch lächerlich ge-macht und in den Augen des Lesers herabgesetztwerden soll, dass von ihm behauptet wird, er leckedem massgebenden Pressereferenten der österreichi-schen Regierung – gelinde gesagt – den Schuh, nur zudem Zwecke, um zu erwirken, dass seine Zeitschrift erscheinen dürfe. Der Privatkläger wird also nichtnur einer opportunistischen (was als zur Beleidigung hinreichte) , sondern geradezu einer verwerf-lichen Gesinnung bezichtigt und ausserdem durchdie Art der Darstellung lächerlich gemacht. Dabeispielt es für die Beurteilung des Falles keine Rolle, dass die Behauptung, OberstAdam habe irgendeinen Einfluss darauf, ob eineZeitschrift erscheinen dürfe oder nicht, unwahrund geradezu unsinnig ist : ; dagegen verstärkt es ohne Zweifel die Beleidigung, dass der Leser nichtdie Möglichkeit hat, sich von der Unwahrheit dieserBehauptung zu überzeugen und unter dieser sichtlichen, und absichtlichen Suggestion annehmen muss, OberstAdam sei tatsächlich der „österreichische Göbbelsund als solcher amtlich in der Lage zu entscheiden, obeine Zeitschrift erscheinen dürfe. Der wahre Sachverhalt ist der: Es hat sich in dem Artikel des Privatklägers um eine stilkritische Anerkennung eines im Abwehrkampfe gegen Hitler hochverdienten Redners und Schriftstellers gehandelt, dessen Leistungen turmhoch über sämtlichen parteipolitischen Anstrengungen aus dem Lager des Beschuldigten stehen, und dieser so anerkannte Autor hat nicht das geringste mit den Angelegenheiten der presspolizeilichen Agenden zu schaffen. Von der abgründigen Albernheit, dass etwa durch das Lob des Bundeskommissars Adam eine regierungs-

Beweis: Der inkriminierte Artikel.

IV. Auch der weitere Inhalt des inkri-minierten Artikels ist beleidigend und geeignet,den Privatkläger zu verspotten und in den Augendes Lesers herabzusetzen. Es wird auf ein seiner-zeit vom Privatkläger verfasstes Couplet ange-spielt, dessen Refrain lautet: „… der wird nochhundert Jahre alt“. Dieses Couplet war auf KaiserFranz Josef gemünzt. Im inkriminierten Artikel nunwird bemerkt, dass der Unterschied zwischen Franz

Josef und dem Privatkläger der ist, dass dasCouplet „der wird noch hundert Jahre alt“ aufdiesen nicht anzuwenden ist.

Da es wohl nicht in der Macht des Schreibersdes inkriminierten Artikels gelegen sein kann, zuentscheiden, wie alt jemand werden soll, muss indiesem Passus nicht nur eine Verspottung desPrivatklägers, sondern eine, wenn auch versteckte,gefährliche Drohung erblickt werden . , da es wohl einem verhetzten Leser dieser Sorte Publizistik schon zuzutrauen ist, dass er sich an einem unaufhörlich als „Verräter“ stigmatisierten (der in Wahrheit nur Enthüller der Dummheit ist) vergreife. Der Privatkläger behält sich die Strafanzeige vor, und macht diesen Umstand jedenfalls als Erschwerungsgrund geltend.

Beweis: der inkriminierte Artikel.

Zum Schluss wird noch mit deutlichem Hohnebemerkt, dass der Schreiber nicht wisse, ob sichKarl Kraus selbst verklagen wird. Denn mit dem Mutsei es so eine Sache. Bis zum Selbstmord reiche es –aber weiter gehe es nicht. Auch darin liegt eine fürden Leser erkennbare Verspottung des Privatklägers.

Beweis: der inkriminierte Artikel.

Der Privatkläger stellt daher durch seinenmittels Vollmacht ausgewiesenen Vertreter denAntrag, es möge gegen den Angeklagten das Straf-verfahren gemäss § 1 und 2 des Gesetzes über denSchutz der Ehre, resp. wegen Vernachlässigungder pflichtgemässen Obsorge eingeleitet werdenund der Angeklagte nach den oben angeführten Be-stimmungen verurteilt werden.

Der Privatkläger wird bei den noch so vielen Wiederholungen unter gleichzeitigen Bittgesuchen am Kostenpunkt diesmal auf keine Erklärung, die sich als so unverlässlich erwiesen hat, eingehen, und wird im Zwange Bestrafung ersuchen.

Die Stellung der Strafanträgeist der Anklageschrift vorbehalten.

Prag, am …Karl Kraus.

feindliche Fackel ihr Dasein fristen könnte oder umgekehrt eineregierungsfreundliche Fackel extra noch diesen Funktionär lobenmüsste, braucht wohl in diesem Zusammenhang nicht die Rede zusein.