193.40 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 28.I.1935
Betreff: Karl Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 29.JAN.1935
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

In Erledigung Ihres gesch. Schreibensvom 25. d.M. gestatte ich mir bekanntzugeben:

Die Bestimmungen der §§ 1339 und 1340 A.B.G.B. wurden durch das Gesetz über den Schutz der Ehre vom 28.6.1933Nr. 108 aufgehoben und es fallen jetzt auch die nicht öffentlicherfolgten Ehrenbeleidigungen unter den Tatbestand des § 1 desEhrenschutzgesetzes, insofern sie in einer Weise begangen wordensind und unter Umständen, nach welchen mit Bestimmtheit angenom-men werden musste, dass die Beleidigung anderen Leuten zur Kennt-nis gelangen konnte. Dies gilt insbesondere auch von durch denInhalt eines Briefes zugefügten Beleidigungen, wobei die Tatsache,dass der Brief wirklich anderen zur Kenntnis gelangt ist, belang-los ist, insoferne der Schreiber annehmen und sich dessen bewusstsein konnte, dass der Brief voraussichtlich anderen zur Kenntnisgelangen wird. Daraus muss geschlossen werden, dass der Tatortnicht der Ort der Absendung oder Verfassung des Briefes, sondernder Wohnsitz des Adressaten ist , woraus sich wiederum ergibt, dassfür brieflich begangene Beleidigungen der Gerichtstand in derTschechoslovakei besteht, insofern es sich um einen in Wien auf-gegebenen, in die Tschechoslovakei adressierten Brief handelt.Die Verfolgbarkeit vor den politischen Behörden ist jedoch wie

oben erwähnt, durch das neue Ehrenschutzgesetz aufgehoben.

Ich bestätige bei dieser Gelegenheit auch denEmpfang Ihres letzten Briefes vom 24. d.M. mit dem korrigier-ten Entwurfe des Schriftsatzes. Diesen habe ich gesternübersetzt und werde ihn heute überreichen lassen.

Den auf dem zweiten Bogen als 4/ bezeichnten Punkt habeich im Sinne Ihrer Ausführungen umgearbeitet und werde nochEntscheidungen zum § 9 Abs. 3/ des Ehrenschutzgesetzes stu-dieren, evtl. aus den Materialien des Gesetzes festzustellentrachten, ob dieser Strafausschliessungsgrund für die Presse-polemik nach der Absicht des Gesetzgebers und nach derPraxis ausgeschlossen sein soll.

Das neue Ehrenschutzgesetz hat die Einschrän-kung des Wahrheitsbeweises der §§ 489 und 490 des altenStrafgesetzbuches fallen gelassen. Es besteht jetzt keinegesetzliche Vorschrift, nach welcher es dem Beleidiger ver-wehrt wäre, für beleidigende Handlungen oder Aeusserungenden Wahrheitsbeweis zu führen. Daraus schliesse ich, dassauch für die behauptete Tatsache, der Privatkläger habe läppische“ Angriffe gegen den Marxismus und die Sozial-demokratie unternommen, der Wahrheitbeweis geführt werdendarf und dass es tatsächlich geschehen könnte, dass das Gericht sich mit der Frage, ob die Ausfälle läppisch waren oder alssolche bezeichnet werden dürfen, beschäftigen wird.

Da uns jedoch hauptsächlich daran gelegen war, zuerwirken, dass die Prozessmaterie auf das notwendige Mass eingeschränktund nicht ins Unermessliche erweitert werde, andererseits

zu verhindern, dass der Gegner, um das Verfahren zu sabotieren,die Durchführung der von ihm angebotenen Beweise durchsetzt,habe ich lieber die Inkriminierung dieses ganzen Satzes wider-rufen und also auch auf die Anklage wegen der in der Bezeich-nung der Ausfälle als läppisch bestehenden Beleidigung ver-zichtet.

Ich glaube, dass es zweckmässig ist, Herrn Hein-rich Fischer und Dr. Emil Franzl jetzt schon zu nennen und habedeshalb den Beweis durch diese beiden Herren beantragt.

Herrn Fischer kann ich nicht erreichen. Ich habeihn wiederholt angerufen, auch in der URANIA hinterlassen, ermöge mich anrufen, doch ist dies bisher nicht geschehen.Ich nehme an, dass er sich heute abend bei mir melden wirdund werde ihm dann bekanntgeben, was ihm Herr Kraus durchmich sagen liess.

Bisher ist es mir nicht gelungen, jenen von HerrnKraus erwähnten, gegen die Emigranten gerichteten Artikel, derim „Sozialdemokrat“ erschienen sein soll, ausfindig zu machen.Da auch ein sehr eifriges Mitglied des Emigrantenkommitees von diesem Artikel nichts wusste und bei den anderen Ausschuss-mitgliedern hierüber auch nichts erfahren konnte, dürfte an-zunehmen sein, dass Herr Kraus unrichtig informiert wordenist und dass ein solcher Artikel von seinem Informator offen-bar in einem anderen Blatte gelesen wurde. Ich werde jeden-falls weiter nach dem Artikel suchen.

Zum Schluss möchte ich Sie noch bitten, Herrn Kraus

zu ersuchen, er möge selbst jene Stellen aus dem ArtikelHüben und Drüben“ bestimmen, die er zum Beweise darüber heranziehen will,dass in diesem Aufsatze die gleichen Angriffe gegen die sozial-demokratischen Führer enthalten waren, wie in den Aufsätzen derletzten Fackelhefte. Ich möchte es nämlich vermeiden, den gan-zen Aufsatz zu übersetzen, was ja vom sprachlichen Standpunkt ausohnehin kaum in befriedigender Weise geschehen könnte.

Wollen Sie, sehr geehrter Herr Doktor, Herrn Kraus meine besten Empfehlungen bestellen und selbst meine bestenGrüsse entgegennehmen.

Mit vorzüglichster Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat 29. JAN. 1935