193.53 Entwurf der Äußerung gegen den im Presseprozess Karl Kraus ca. Dr. Emil Strauss von der Verteidigung gestellten Delegierungsantrag und zu dem bei der Hauptverhandlung vom 27. November 1935 verkündeten Gerichtsbeschluss

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 30. November 1935
Seite von 7

Entwurf

der Aeusserung gegen den im Pressprozesse Karl Kraus ca.Dr. Emil Strauss von der Verteidigung gestellten Delegierungs-antrag und zu dem bei der Hauptverhandlung vom 27.XI.1935verkündeten Gerichtsbeschluss.

Bei der Hauptverhandlung vom 27.XI.1935 hat das Gericht über Antrag der Verteidigung den Be-schluss gefasst, dass die Akten dem Obergerichte in Prag zur Entscheidung über den gestellten Delegierungsantragvorgelegt werden.

Zu diesem Beschlusse und zu dem Antrageder Verteidigung überreicht der Privatkläger folgendeAeusserung:

Wie aus der Strafanzeige, der Anklage-schrift und der Eingabe Blattzahl 30 bis 36 hervorgeht,wurden von den in den Beweisanträgen des Angeklagten zitierten Stellen des inkriminierten Artikels, derallerdings in seinem ganzen Zusammenhange beleidigend ist,hauptsächlich folgende Injurien unter Anklage gestellt:

1./ dass die Zeitschrift „Die Fackel“ eine faszistischeHetzschrift ist.

2./ dass an dem Privatkläger seine 60 Jahre nicht spurlosvorübergegangen sind,

3./ dass der Privatkläger den Arbeitern nicht verzeihenkann, dass sie ihm den elektrischen Strom abgeschnittenhaben,

4./ dass es sich um einen Verfall handelt, der in der Tiefedes Absturzes wohl den Gerhart Hauptmanns übertrifft,

5./ dass der leitende Gedanke die kurzsichtige Erwägung ist....... etc.

6./ dass es der Privatkläger versucht hat, die tschechoslo-wakischen Behörden gegen die österreichische Emigrationund gegen einzelne Schriftsteller aufzuputschen und dassdie tschechoslowakische Politik noch nicht so verblendetist ...... etc.

7./ dass sich der Privatkläger den Ruhm erwerben könnte ....der Zutreiber des österreichischen Henkers geworden zusein.

8./ Dass der Privatkläger den Weg der Gleichschaltung gegan-gen ist und bereits zu verblendet ist, um in dem Spielder Fey, Starhemherg, etc. zu erkennen, ......

9./ dass er sich dazu versteigt, einen ausgewachsenen Zucht-häusler über Lassalle zu stellen.

Diese Invektiven stellen in dem Zusammen-hange des inkriminierten Artikels schwere Beleidigungen desPrivatklägers dar, der in der öffentlichen Meinung herabge-setzt, lächerlich gemacht und einer ehrlosen Besinnung bezich-tigt wird.

Der Angeklagte hat erklärt, er werde überdie in dem inkriminierten Artikel enthaltenen Behauptungenden Wahrheitsbeweis antreten und hat in seinem Beweisantragevom 27.XI.1934 diesen Wahrheitsbeweis nur scheinbar angebo-ten, nämlich so, dass er, ohne Beweise über die Wahrhaftig-keit der inkriminierten Behauptungen anzubieten, den Antraggestellt hat, es mögen zahlreiche Schriften des Privat-klägers zur Verlesung gelangen, aus welchen angeblich hervor-gehen soll, dass ein Gesinnungswechsel des Privatklägers vorliegt.

Der Angeklagte und sein Verteidiger habenselbstverständlich gleich bei der Stellung dieses Antragesgenau gewusst, dass es absolut unmöglich ist, die von ihnenangeführten Schriften des Privatklägers in diesem Presspro-zesse überhaupt nur zur Verlesung zu bringen, ebenso dasses undurchführbar ist, welches Gericht immer auch durch Ver-

lesung der Schriften, die allein wenigstens 14 Tage dauernwürde, über deren Inhalt zu informieren und insbesonderewar ihnen von vornherein bewusst, dass eine Uebersetzungdieser Schriften in die Staatssprache absolut nicht beige-bracht werden kann. Die Stellung der Beweisanträge erfolgtealso in der offenbaren Absicht, das Verfahren zu sabotieren,die Urteilsfällung zu verzögern und das Gericht über den wah-ren Sachverhalt hinwegzutäuschen.

In der Absicht, der Verteidigung die Erbringungdes Wahrheitsbeweises zu ermöglichen, hat das Gericht den Be-weisanträgen der Angeklagten stattgegeben und den angebotenenBeweis durch Vorlage der angeführten Schriften des Privat-klägers in allzu liberaler Auslegung der Vorschriften überdie Durchführung des Wahrheitsbeweises zugelassen und imSinne des Sprachengesetzes dem Angeklagten für die Vorlageder beglaubigten Uebersetzung dieser Schriften in die Staats-sprache eine 6-monatige Frist gewährt. Schon dadurch hat dieVerteidigung ihre Absichten zum Teile durchgesetzt und bisherbereits eine Verzögerung des Prozesses von einem Jahr gewonnen.Sie hat natürlich überhaupt nicht daran gedacht, die von ihrangebotenen Schriften übersetzen zu lassen, dafür aber beidem am 27.XI.1934 abgehaltenen Hauptverhandlung den Briefeines Gerichtsdolmetschers vorgelegt, in welchem dieser dieKosten der beglaubigten Uebersetzung mit über 100.000 Kčveranschlagt. Auf diese Mitteilung des Gerichtsdolmetschers hat nun die Verteidigung den Antrag gestützt, die Akten mö-gen dem Obergerichte in Prag zur Entscheidung darüber vorgelegtwerden, ob mit Rücksicht auf die hohen Kosten der Uebersetzungaus Gründen der Zweckmässigkeit ein anderes Gericht für dieFührung des Pressprozesses delegiert werden soll und zwar einGericht, bei welchem nach den Vorschriften des Sprachengesetzesdie Verwendung von in deutscher Sprache abgafassten Urkundenzulässig ist.

Das Prozessgericht hat diesem Antrage stattgegeben und dieVorlage der Akten an das Obergericht beschlossen.

Hiezu muss bemerkt werden:

Gemäss § 62 St.P.O. sind die Gerichtshöfe II. In-stanz berechtigt, aus Rücksichten der öffentlichen Sicher-heit oder aus anderen wichtigen Gründen ausnahmsweise demzuständigen Gerichte Strafsachen abzunehmen und sie einemanderen Gerichte derselben Art in ihrem Sprengel zuzuweisen.Es müssen also, abgesehen von Rücksichten der öffentlichenSicherheit, wichtige Gründe vorliegen, welche die ausnahms-weise Abtretung eines Straffalles von dem zuständigen Gerich-te an ein zu delegierendes Gericht begründet erscheinen lassen.

Es ist evident und kann gar keinem Zweifel unter-liegen, dass in diesem Falle die Voraussetzungen des § 62St.P.O. nicht vorliegen.

Der Delegierungsantrag stützt sich auf die behaup-tete Tatsache, dass der Angeklagte nicht in der Lage ist, dieKosten der Uebersetzung der von ihm zum Wahrheitsbeweise an-gebotenen Schriften zu tragen. Dies ist unwahr. Dr. Emil Strauss ist durchaus kein armer Angestellter eines Proletarierblattes,sondern Funktionär der deutschen Sozialdemokratischen Parteider Č.S.R., einer Partei, die über viele Millionen verfügtund ihn zum verantwortlichen Redakteur ihres Hauptorganes bestellt hat. Der Angeklagte wird sich vergeblich bemühen,jemandem glaubhaft zu machen, dass er für die mit seinerStellung als verantwortlicher Redakteur verbundenen materiel-len Folgen selbst aufkommen muss und kein mit den Pressever-hältnissen nur einigermaßen Vertrauter wird daher glauben,dass die Kosten, die mit der Führung dieses Prozesses ver-bunden sind, tatsächlich vom Angeklagten getragen werdenmüssen.

Allein, wenn dem auch so wäre, so kann man dochkeinesfalls die Ansicht vertreten, dass die im § 62 St.P.O. als Voraussetzung für die Delegierung normierten wichtigen

Gründe vorliegen, wenn es sich darum handelt, die Durch-führung von Beweisen zu erleichtern, die für die Entschei-dung des Straffalles absolut irrelevant sind und über Tat-sachen angeboten wurden, deren Vorhandensein oder Nichtvor-handensein auf die Entscheidung gar keinen Einfluss aus-üben kann. Ganz abgesehen davon, dass auch das delegierteGericht nicht imstande sein wird, die zum Beweise angebo-tenen Schriften auch nur zu lesen, geschweige denn sie ihremInhalte nach entsprechend zu würdigen, könnte aus diesenSchriften im günstigsten Falle nur festgestellt werden, obzwischen dem Inhalte dieser Schriften und dem Inhalte derim Hefte 890 bis 905 der FACKEL veröffentlichten Publika-tionen Widersprüche bestehen, die auf einen Wechsel in derGesinnung des Autors schliessen lassen. Diese Tatsache istjedoch für die Beurteilung des anhängigen Pressprozessesnicht nur nicht ausschlaggebend, sondern vollkommen irrele-vant und es dürfte nur ein solcher Beweis zugelassen werden,durch welchen festgestellt werden könnte, ob der vom Ange-klagten behauptete Gesinnungswechsel des Privatklägers aufunehrenhaften Motiven beruht. Der Angeklagte hat es nichtgewagt, diese Behauptung aufzustellen und nur Tatsachen un-ter Beweis gestellt, durch deren Feststellung vielleicht er-wiesen werden kann, dass der Autor des inkriminierten Artikels einen Gesinnungswechsel des Privatklägers nur deswegen kon-statiert hat, weil er weder die früheren, noch die letztenPublikationen des Privatklägers ihrem Sinne und ihrer Be-deutung nach erfasst und verstanden hat.

Um diesen Beweis zu ermöglichen, dass ein tat-sächlicher Gesinnungswechsel vorliegt, kann und wird nichtbewiesen werden, darf jedoch der Prozess nicht dem zuständi-gen Gerichte abgenommen und einem anderen Gerichte zugewie-sen werden, da man durchaus nicht behaupten kann, dass es

sich um einen wichtigen Grund handelt, aus welchem alleinnach der Vorschrift des § 62 St.P.O. diese prozessuale Aus-nahmsverfügung erfolgen darf.

Das einzige Beweisthema in diesem Prozesseist durch den inkriminierten Artikel und durch die Anklage-schrift gegeben.

Aus den zu Beweise angebotenen Schriftenkann weder der Beweis erbracht werden, dass die vom Privat-kläger herausgegebene Zeitschrift ein faszistisches Hetz-blatt ist, dass an den Privatkläger seine 60 Jahre nicht spur-los vorübergegangen sind, dass er es den Arbeitern nichtverzeihen kann, dass sie ihm den elektrischen Strom abge-schnitten haben, dass er sich dazu verstiegen hat, einenausgewachsenen Zuchthäuser über Lassalle zu stellen, dasses sich bei ihm um einen Verfall handelt, der in der Tiefedes Absturzes noch den des Gerhart Hauptmann übertrifft,dass er österreichische emigrierte Schriftsteller bei dentschechoslowakischen Behörden denunzieren will, dass er inseiner Verblendung nicht erkennt, dass das Spiel der Fey,Starhemberg und Schuschnigg Kopien der deutschen Metzeleiensind, dass er den Weg der Gleichschaltung gegangen ist undder Zutreiber des österreichischen Henkers geworden ist,noch kann durch diese Schriften der Beweis darüber angebo-ten werden oder gar gelingen, dass der vom Angeklagten be-hauptete Gesinnungswechsel niedrigen und unehrenhaften Mo-tiven entspringt.

Mit Rücksicht darauf, dass es sich über-haupt um einen unzulässigen und ungeeigneten Beweisantraghandelt und dass die Durchführung der Beweise die durchdie beantragte Delegierung eines deutschsprachigen Gerichtes erleichtert werden soll auch vor diesem Gerichte nicht möglich sein wird, beantragtder Privatkläger:

Das löbliche Obergericht in Prag möge überden Antrag der Verteidigung in der Weise beschließen, dass

die anhängige Strafsache dem zuständigen Kmetengerichte inPrag nicht abzunehmen und keinem anderen Gerichte zuzuweisenist.