193.62 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 16.XII.1935
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse
Wien – XIV
Datum: 18.DEZ.1935
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich bestätige mit bestem Dank denEmpfang Ihres frdl. Schreibens vom 14. d.M., sowie der beige-schlossenen Klagsentwürfe. Der Ausdruck „Lächerlichmachung“kommt im Gesetzestexte vor und bildet den allgemeinen Tat-bestand der Beleidigung. Der spezielle Tatbestand der Nach-rede ist durch die Worte „verächtlich machen“ oder „herabsetzen“ausgedrückt. Man kann also ohne weiteres „lächerlich machen“durch „verächtlich machen“ ersetzen.

Was nun die Ueberreichung der Klagenanbelangt, kann man ja die Klage gegen Dr. Emil Strauss, welcheerst am 30.I.1936 subjektiv verjährt, bis zur Entscheidungüber den Delegierungsantrag zurückhalten. Die Klage gegen Dr.Schwelb wäre jedoch, wie ich glaube, gleich zu überreichen.Selbst für den Fall, dass dem Delegierungsantrage stattge-geben werden sollte, hätte ich Bedenken gegen die Zurückzie-hung der Klage. Abgesehen von den Kosten, deren Ersatz HerrnK. im Falle der Zurückziehung der Klage auferlegt werden würde,muss wohl in diesem Falle mit der Unannehmlichkeit gerechnetwerden, dass der Sozialdemokrat die Klagsrücknahme als Triumphdarstellen und neue Unverschämtheiten veröffentlichen wird.

Ich rechne zwar nicht mit der Delegierung, trotzdemhabe ich mich über den Leitmeritzer-Pressesenat erkundigt underfahren, dass der dortige Vorsitzende, Vicepräsident Hrnčíř, einbesonders gewissenhafter und objektiver Richter ist. Es ist auchgar nicht gesagt, dass das delegierte Gericht den Beweisbeschlussdes Prager-Pressesenates übernehmen muss und daher auch nichtausgeschlossen, dass es den Beweisantrag der Gegenpartei in sei-nem absurden Umfange abweisen wird. Deswegen glaube ich, dassman auch im Falle der Delegierung des Leitmeritzer-Gerichtes den Prozess doch fortsetzen sollte. Allerdings müsste man vorherversuchen, durch die Beschwerde an das Oberste Gericht die Abän-derung des evtl. Delegierungsbeschlusses und die Abweisung desDelegierungsantrages zu erwirken.

Indem ich bitte, vorläufig diese Mitteilungen zurKenntnis zu nehmen, zeichne ich mit den besten Grüssen an HerrnK. und Sie und in vorzüglichster Hochachtung

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

P.S.

Ich habe heute beim Obergerichte interveniert, um mit dem Re-ferenten über die Angelegenheit sprechen zu können. Beim Ober-gericht ist es allerdings streng untersagt, die Referenten je-ner Rechtsangelegenheiten, die in nicht öffentlicher Sitzungverhandelt werden, zu verraten. Deswegen konnte ich nicht inErfahrung bringen, welcher von den 5 Mitgliedern des Straf-senates das Referat in der Angelegenheit SOZIALDEMOKRAT hat.Wiewohl auch dies untersagt ist, habe ich trotzdem beim Vor-sitzenden des Senates vorgesprochen und ihm den Fall klarge-stellt.

Er war zuerst einigermassen ungehalten darüber,dass ich ihn in der Angelegenheit aufsuche und hat auch auf dasVerbot der Intervention hingewiesen, mich aber doch angehört undich habe den Eindruck, dass er begriffen hat, wie absurd der Be-weisantrag ist und dass es dem Gesetze nicht entsprechen würde,wenn man die Durchführung der beantragten Beweise durch dieDelegierung eines deutschsprachigen Gerichtes ermöglichen sollte.Der Vorsitzende hat sich zwar zu der Sache selbst nicht geäussert,aber ersucht, ich möge niemandem etwas davon sagen, dass er meineIntervention zugelassen hat, da der Präsident des Obergerichtes die strikte Einhaltung des Interventionsverbotes angeordnet hat.Sollte es also vielleicht irgendeinmal zu einer Erörterung die-ses Prozesses in der FACKEL kommen, dann dürfte wohl von dieserIntervention nichts erwähnt werden. Ich werde voraussichtlichUebermorgen erfahren, wie der Senat entschieden hat.

Mit vorzüglichster Hochachtung:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat 18. DEZ. 1935