193.88 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 5. April 1936
Betreff: Kraus – Sozialdemo-|krat
Diktiersigle: Dr.Sa/Bl.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, Advokat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Vor allem soll ich Ihnen im Namen des HerrnKraus für Ihren freundl. Brief herzlichst danken, den Sieaus Anlage der 700. Vorlesung an ihn gerichtet haben. Erhat sich über ihn sehr gefreut, wollte Ihnen jedoch erstbei seiner Anwesenheit in Prag persönlich danken, wünsch-te aber,dass ich schon die jetzige Gelegenheit benütze,es zu tun.

Was die in diesem Prozesse neu geltend ge-machte Einwendung betrifft, es sei wegen des am 27. Jänner1936 abgeschlossenen Vergleiches das Verfolgungsrecht ge-gen den Angeklagten Dr. Strauss wegen der früheren Belei-digungen erloschen, so teile ich die von Ihnen so ausge-zeichnet ausgeführte Rechtsansicht in jeder Beziehung.Ich möchte nur noch bekanntgeben, was mir weiters dazueingefallen ist. Wenn der Richter auf dem Standpunktesteht, dass das Verfolgungsrecht erloschen ist, so müssteer ja das Verfahren nach § 90 St.P.O. einstellen, nichtaber eine weitere Verhandlung ausschreiben. Dieser Vorgangwäre insoferne von Vorteil, weil der Bericht über die Ver-handlung entfiele und die Gegenseite nicht darauf hinwei-

sen könnte, sie sei freigesprochen worden, was nicht einmaldie Möglichkeit einer Berichtigung ergäbe, wenn die Gründe desFreispruches nicht falsch dargestellt werden. Sollte sie aberwider Erwarten einen Bericht über die Einstellung bringen, sowäre das schon bedeutend besser als ein Bericht über einenFreispruch. Gegen die Einstellung hätte man dann das Beschwer-derecht und könnte die Rechtsfrage auch behandeln lassen. Wei-ters möchte ich Ihnen das Folgende zu erwägen geben: So vielmir bekannt ist, wurde zwar gegen Dr. Strauss die Anklage wegendes Vergehens nach §§ 2 und 3 des Gesetzes vom 28.VI.1933, Nr.108 der Gesetzessammlung resp. wegen Übertretung nach § 4 derPressgesetznovelle erhoben, Herr Dr. Strauss hat aber immer be-hauptet, den inkriminierten Artikel in Unkenntnis seines Inhal-tes zum Druck gegeben zu haben, sich also lediglich der Übertre-tung nach § 4 der Pressgesetznovelle zurückgezogen schuldig bekannt . Der § 18 desEhrenschutzgesetses gilt aber nur , im F f all e s sämtliche strafba-ren Handlungen nach diesem Gesetze zu beurteilen sind, nicht al-so für mehrere Übertretungen nach § 4 der Pressgesetznovelle,selbst dann nicht, wenn es sich um gegenseitige Klagen handelnwürde und sich die gleichen Parteien entgegentreten. Da aberDr. Strauss, wenn er diese Gegeneinwendung von Ihnen hört, seineVerantwortung ändern könnte, wäre es auch von Vorteil, wenn derRichter anstatt eines Freispruches einen Einstellungsbeschlussfassen wollte. Die vom Richter geäusserte Rechtsansicht halteich so wie Sie für vollständig absurd. Ich möchte Sie aber dochauf den § 57 der alten Strafprozessordnung aufmerksam machen,von der ich allerdings nicht weiss, ob sie in der Tschechoslo-wakei noch gilt. Vielleicht wäre es auch nicht unwesentlich vor-zubringen, dass die Gegenseite sich nach dem geschlossenen Ver-gleich in der zweiten Sache indirekt durch Direktor Heinrich

Fischer um einen Vergleich bemüht hat, wodurch sie auchzu erkennen gegeben hat, dass sie das Verfolgungsrechtnicht für erloschen hält. Ich bin schon sehr gespannt,wie die Sache ausgehen wird.

Mit vielen herzlichen Grüssen bin ich in vor-züglicher, kollegialer Hochachtung

Ihr ergebener

KrausSozialdemokrat