193.111 Brief Samek an Prager Tagblatt (verantw. Red. Harry Klepetar)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 5. Mai 1936

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur des | „Prager Tagblatt“ | Herrn Dr. Harry Klepetař
Pánská 12
Prag II.
Seite von 2

Als Rechtsanwalt des Herrn Karl Kraus, Heraus-gebers der Zeitschrift „Die Fackel“ in Wien, und in dessen Auftrageersuche ich laut § 11 der Pressgesetznovelle um die Veröffentlichungder nachstehenden Berichtigung.

Hochachtungsvoll

Pressberichtigung

der in der Nummer 105 des Prager Tagblatt vom 5. Mai 1936 unter derBezeichnung „Pressberichtigung“ der Nachricht „ ProzessKarl Kraus – ‚Sozialdemokrat‘“ aus dem „Prager Tagblatt“ vom11. Mai 1936, Nr. 103 veröffentlichten Nachricht.

Die Behauptung, dass es { }, dass aus einem for-malen Grunde ein Urteil gefällt worden sei wurde , ist unwahr,

wahr ist, dass aus einem Grunde des materiellenStrafrechtes, nämlich des § 18 des Ehrenschutzgesetzes, ein Frei-spruch gefällt wurde, der auf die formelle Anwendung dieses Paragra-fen zurückzuführen ist.

Es ist unwahr, dass der Angeklagte, Dr. EmilStrauss, zum Nachweise der inkriminierten Behauptungen Beweiseangetreten“ hat, die teilweise durchgeführt worden sind,

wahr ist, dass ausser den Beweisen durch Verle-

lesung des inkriminierten Artikels und eines im „Sozialdemokraterschienenen dem Kläger huldigenden Artikels bei keiner der Haupt-verhandlungen irgendwelche Beweise durchgeführt wurden, insbesonderenicht der Beweis durch die Einvernahme der Zeugen Dr. Emil Franzl,Dr. Johann Wolfgang Brügel und Dr. Erich Heller, welch letzterernicht einmal ausserhalb der Verhandlung vor dem Untersuchungsrich-ter einvernommen wurde.

Unwahr ist, dass Herr Karl Kraus nach demFebruar 1934 seine Stellung zum österreichischen Regime, zur Heimwehr,zur Polizei, zu den Habsburgern, zur Arbeiterbewegung und zumSozialismus grundlegend geändert hat,

wahr ist, dass er das österreichische Re-gime Schober angegriffen und das österreichische Regime Dollfuss anerkannt hat, dass er die einstige Heimwehr angegriffen unddie für die Abwehr Hitlers tätige Heimwehr nicht angegriffen hat,dass er die Polizei Schobers in der Zeit der Herrschaft Bekessys angegriffen, die Polizei Dollfuss’, die im Kampfe gegen Böller-attentate stand, anerkannt hat, wahr ist, dass er seineStellung zu den Habsburgern nicht geändert, sondern den unter demsozialdemokratischen Regime Herrn Max Reinhardt gewährten Aufent-halt in der Hofburg und in Schönbrunn getadelt hat, dass er seineStellung zur Arbeiterbewegung und zum Sozialismus nicht geändert,sondern dass er stets für die Arbeiter und nie für den Marxismuseingetreten ist, und dass er die Sozialdemokratie seit mehr als10 Jahren und insbesondere seit der Unterwerfung vor Schober ange-griffen hat.

Karl Kraus.