194.1 Entwurf der Ehrenbeleidigungsklage des Karl Kraus ca. Dr. Egon Schwelb

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 10. Dezember 1935
Seite von 2

Entwurf

Der Ehrenbeleidigungsklage des Karl Kraus ca: Dr. Egon Schwelb.

Sub G.Z. Tk VI 8789/34 des Kreis-Strafgerich-tes in Prag ist ein Pressprozess des Privatklägers gegen denverantwortlichen Redakteur der Tageszeitung „SOZIALDEMOKRATDr. Emil Strauss wegen des Vergehens nach § 2 und 3 des Gesetzesvom 28.VI.1933 Nr. 108 der Gesetzesammlung, resp. wegen derUebertretung nach § 4 der Pressgesetznovelle anhängig.Der Angeklagte in diesem Prozesse, Dr. Emil Strauss, wird vonDr. Egon Schwelb verteidigt, der durch verschiedene Anträge – unter anderem durch den absurden Antrag, ca. 2000 Seiten aus den Werken des P.K. zum Beweise angeblicher Widersprüche in die Staatssprache zu übersetzen und vor Gericht vorzulesen, ein Antrag, von dessen Unausführbarkeit er vorher überzeugt sein musste – dieUrteilsfällung in diesem Prozesse hinauszuschieben trachtet,und der bei der am 27.XI.1935 abgehaltenen Hauptverhandlung den weiteren Antrag stellte, die Akten mögen dem Obergerichte in Prag zurEntscheidung darüber vorgelegt werden, ob nicht aus Gründender Zweckmässigkeit ein anderes Straf-Kreisgericht, insbesonderedas Kreis-Strafgericht in Leitmeritz, delegiert werden soll.Während der Beratung des Gerichtes über diesen Antrag bemerkteder Vertreter des Privatklägers, Dr. Johann Turnovsky, Advokatin Prag, dass die von Dr. Egon Schwelb gestellten Anträge ledig-lich auf die Sabotierung des Verfahrens hinzielen. Das Gesprächfand vor dem Verhandlungssaal des Pressesenates des Kreis-Straf-gerichtes in Pankrac statt und wurde in deutscher Sprache ge-führt. Auf diese Bemerkung des Vertreters des Privatklägers erwiderte Herr Dr. Schwelb: „ Ich spreche jetzt nicht vom Prozesseund Sie müssen ja Herrn Kraus / d.i. dem Privatkläger /, von dem,was ich jetzt sage, keine Mitteilung machen. Ich finde, dassdas Verhalten des Herrn Kraus die grösste Lumperei der Welt-geschichte ist. Diesen Prozess wird auch die Weltgeschichteentscheiden.“

Der Anwalt des Privatklägers entgegnete darauf,

er könne den Vorbehalt wegen Unterlassung der Verständi-gung des Privatklägers nicht zur Kenntnis nehmen. Hieraufmusste das Gespräch unterbrochen werden, weil die beidenAnwälte nach abgeschlossener Beratung wiederum in den Ver-handlungsaal gerufen wurden.

Nach Beendigung der Verhandlung wieder-holte der hier angeklagte Dr. Egon Schwelb und zwar vor demVerlassen des Gerichtsgebäudes in Pankrac: „Wie gesagt,den Prozess wird die Weltgeschichte entscheiden und zwarbereits noch bevor der Prozess entschieden sein wird. “Auf die Frage des Anwaltes des Privatklägers : „Was wollenSie damit sagen? Soll dies etwa heissen, dass die Sozial-demokraten ein Attentat auf Herrn Kraus vorhaben? “erwiderte der Angeklagte: „ Das nicht, das ist er nichtwert, höchstens ein Paar Ohrfeigen. “

Beweis: Zeugenaussage des Dr. Johann Turnovsky, Advo-katen in Prag – II, Vodičkova 33.

Der Angeklagte hat also in dem Gesprä-che mit dem Anwalte des Privatklägers dessen Ehre ange-griffen und durch die Behauptung, das Verhalten des Pri-vatklägers sei die grösste Lumperei der Weltgeschichteund dieser sei nicht wert, dass ein Attentat auf ihn aus-geübt werde, verdiene vielmehr ein Paar Ohrfeigen, voreiner dritten Person vom Privatkläger Tatsachen behauptet, den Privk. geschmäht schon offenbar Tatsachen imputierend, welche ihn verächtlich machen und in der allgemeinen Mei-nung herabsetzen müssen. Er hat also die Uebertretunggemäss § 1 und 2 des Gesetzes über den Ehrenschutz begangen,weswegen der Antrag gestellt wird, das Gericht möge denAngeklagten im Sinne der zitierten gesetzlichen Verordnungenschuldig erkennen und bestrafen. Ferner möge er zum Ersatzeder Kosten dieses Strafverfahrens verurteilt werden.

12. DEZ. 1935

Prag, am 10.XII.1935.Karl Kraus.

Dr. Schwelb