194.2 Übersetzung der Beweisanträge von Egon Schwelb

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift
  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 25. März 1935
Seite von 4

Uebersetzung

Auf die Privatanklage vom 2.I.1936 überreiche ich folgendeBeweisanträge:

1./ Die inkriminierten Aussprüche sind bei-nahe getreu reproduziert. Der übrige Inhalt der Privatklageentspricht nicht der Wahrheit.

2./ Meine Anträge im Verfahren Tk VI 8789/34waren nicht auf die Verschleppung des Prozesses und Sabot age ierung des Verfahrens gerichtet, sondern sie waren vielmehr sachlichbegründet und durch eine Bestätigung des Gerichtsdolmetschers darüber belegt, dass die Uebersetzung des Beweismateriales indie Staatsprache einen Aufwand von 100.000 Kč erfordern würde. Ichwar durch die Behauptung bezüglich der Verschleppung und Sabotie-rung, mit welcher laut den Klagsangaben Herr Dr. Turnovsky dieUnterredung eingeleitet hat, mit Recht erbittert, noch mehr aberdurch die von Dr. Turnovsky im Namen des Privatklägers vorgebrach-te Behauptung, dass mein Klient und Freund, Redakteur Dr. Strauss / von welchem ich behauptet habe, dass seine Vermögensverhältnis-se einen Aufwand von Kč 100.000.– nicht möglich machen / Miteigen-tümer eines Hauses in Prag–I und Mitinhaber einer Hefehandlungist. Diese Behauptung war und ist unwahr und ich habe in ihrdie Aeusserung einer unwürdigen Art erblickt, in welcher der Pri-vatkläger seine literarischen Fehden erledigen will.

/ Dazu bemerke ich, dass ich wohl in den Privatgesprächenmit Dr. Schwelb darauf hingewiesen habe, dass Dr. Strauss nicht mittellos ist, sondern dass ihm oder seinem Vater,wie mir bekannt ist, ein Haus in Prag–I und eine grosseHefefirma gehört, dass diese Bemerkung aber natürlichnicht namens des Herrn Kraus, der davon nichts wissenkonnte, gemacht wurde /

3./ Herrn Dr. Turnovsky habe ich nicht ersucht,er möge meine Worte dem Privatkläger verschweigen, ich habe michnicht der Wendung „die grösste Lumperei“ sondern der: „eine der

grössten Lumpereien“ bedient und habe nicht gesagt, dassden Prozess Tk VI 8789/34 an Stelle des Kmetengerichtes dieWeltgeschichte entscheiden wird, sondern habe die Vermutungausgesprochen, dass vielleicht noch vor Beendigung des Ge-richtsverfahrens die Weltgeschichte sprechen wird. Dass dasWort „Lumperei“ gefallen ist, gestehe ich zu; ich habe imAffekt diesen Ausdruck für dem Verhalten und der Gesinnungdes Privatklägers adaequat angesehen.

Ich war langjähriger Leser der Schriftendes Privatklägers. Ich wusste, wie er, der unbarmherzige Geg-ner des alten österreichischen Regimes, der Generalität, derPolizeiwillkür, der Christlich-Sozialen und der Heimwehr,die Sozialdemokratie deswegen scharf angegriffen hat, weilsie nicht genügend kompromisslos gegen das Regime kämpft, inwelchem er / der Privatkläger / den Gegenpol allen Geistes undaller Sittlichkeit erblickt hat. Als dann jenes, dasselbeRegime, nicht anders als in Deutschland, die Verfassungunterstü t r zte und die Gesetze gegen den Willen des Volkes aus-löschte und dann das Volk sich dagegen aufgebäumt hat, gehorsamu.a. auch in dem Hasse und den Verwünschungen des K. Kraus und auchdann die Schutzverbände mit der Waffe in der Hand unterlegensind, da plötzlich hat der Privatkläger seine Haltung geändertund aus dem Verkünder der reinen Freiheit ward der Anhängerdes alt-neuen Regimes, der Verteidiger seiner Gewalttaten undHinrichtungen, der Lobredner der Männer, die die Macht an sichgerissen haben, um alles zu vernichten, was frei, menschlichund demokratisch war. Diese r n plötzlichen Umschwung in den An-schauungen des Privatklägers, seine dessen unbeugsame Ethik war einstder Stolz seiner Anhänger gewesen ist und seine plötzliche Sympathie fürdie Regierenden hatte ich im Auge.

3./ Die Bemerkung über ein Attentat auf den Pri-vatkläger hat mich nicht wenig aufgebracht. Es wurde doch durch

diese Frage meinen politischen Freunden und indirekt auchmir imputiert, dass wir an einen Mordanschlag auf den Pri-vatkläger gedacht hätten. Bei der Widerlegung dieser Annah-me habe ich mich daran erinnert, dass gerade der Privat-kläger die körperliche Züchtigung als erlaubten und angemessenenAusdruck der Verachtung eines ethisch anstössigen literari-schen Verhaltens ansieht, was durch seine Schriften und seineliterarischen Polemiken belegt werden kann. Die Frage selbsthat bei mir die von mir dann gegebene Antwort provoziert.

5./ Wie aus der Klage selbst hervorgeht, habe ichalle inkriminierten Aussprüche nach einer bewegten Gerichts-verhandlung in angespannter Gemütsverfassung und in der Ab-sicht getan, die vorangegangenen von seinem Rechtsanwalte verdolmetschten Vorwürfe und Angriffe abzuwehren.

Ich hatte und habe hinreichend Grund, über das Verhalten desPrivatklägers verbittert zu sein. Er selbst hat durch seinvorangehendes herausforderndes und ärgerniserregendes Ver-halten veranlasst, dass ich in Aufregung geraten bin und indieser sind die eingeklagten Beleidigungen gefallen.

Ich bemerke, dass die mir zur Last gelegtenHandlungen nicht unter die Bestimmung des § 2 des GesetzesNr. 108/33 der Gesetzesammlung subsummiert werden können.Wenn mir auch konkrete Umstände bekannt waren, aus welchenich meine Ansicht über das Verhalten und die Gesinnung desPrivatklägers geschöpft habe, habe ich über ihn keine Tat-sachen angeführt, wie sie der § 2 im Sinne hat, ich sprachnur allgemein über sein Verhalten; auch die Worte „dies/ scil. des Attentates / ist er nicht wert, höchstens ein PaarOhrfeigen“ könnten nur eine Beleidigung gemäss § 1 darstellen.

Deswegen beantrage ich durch meinen durch die beigelegte Vollmacht legitimiertenVerteidiger, es möge von der Bestrafung im Sinne des § 9, Abs. 2des Gesetzes Nr. 108/33 der Gesl.Slg. abgesehen werden.

Ich bereue meine Tat deshalb, weil ich dem Klä-ger die Möglichkeit einer Genugtuung vor dem Gerichte einesdemokratischen Staates geboten habe und dass weil diese nur füreine formelle Beleidigung erwirkte Genugtuung bei wenigerinformierten Lesern als Rehabilitierung des literarischenVerhaltens des Privatklägers angesehen werden könnte.

Prag, am 25. März 1935

Dr. Egon Schwelb.