Akte 194 Karl Kraus ca. Egon Schwelb

Im Zuge des Verfahrens Kraus ca. Sozialdemokrat (s. Akte 193) kam es zu einem Gespräch Turnovskys mit dem gegnerischen Anwalt Egon Schwelb, in dem Turnovsky Schwelb vorwarf, dass seine Anträge nur auf die Sabotierung des Verfahrens zielten. Darauf erklärte Schwelb: „Ich spreche jetzt nicht vom Prozesse und Sie müssen ja Herrn Kraus von dem, was ich jetzt sage, keine Mitteilung machen. Ich finde, dass das Verhalten des Herrn Kraus […] die grösste Lumperei der Weltgeschichte ist. Diesen Prozess wird auch die Weltgeschichte entscheiden“ (194.1). Kraus klagte in Folge wegen Ehrenbeleidigung. Schwelb gab zu, so gesprochen zu haben und verteidigte sich damit, nach der Verhandlung in angespannter Gemütsverfassung gewesen zu sein. Er wurde zu 3 Tagen Arrest verurteilt. Sein Schriftsatz hatte allerdings neue Beleidigungen enthalten und Samek und Turnovsky erwogen weiter zu klagen, dürften den Entwurf einer weiteren Klagschrift aber nicht eingereicht haben. [195.] Im September 1934 veröffentlichte der bereits einmal von Kraus belangte Autor Egon Butschowitz hinter dem Pseudonym Lucien Verneau den Artikel „Die Fackel schwelt“, in dem er die im Juli 1934 erschienene Fackel Nr. 890–905 einer beleidigenden Kritik unterzog. Kraus, dem Paranoia, Lumperei, Eitelkeit, Geldgier, Opportunismus und Feigheit unterstellt worden waren und der auch sonst lächerlich gemacht worden war, klagte den Autor und auch den verantwortlichen Redakteur Friedrich Bill. Bill engagierte für sich und Butschowitz diesmal einen Anwalt (Maximilian Reiner). Die beiden verweigerten eine Satisfaktionserklärung und wollten den Wahrheitsbeweis ihrer Behauptungen antreten, was sie dann aber vorerst nicht taten. Tatsächlich argumentierten sie wenig später, dass es sich bei Butschowitz/Verneaus Artikel um eine literarische Kritik handle und boten auch an, eine geänderte Satisfaktionserklärung zu veröffentlichen – sie würden jedoch nicht die Kosten des Verfahrens übernehmen. Ähnlich wie Egon Schwelb im Prozess Kraus ca. Sozialdemokrat wollten sie den Wahrheitsbeweis durch umfangreiche Übersetzungen der Fackel antreten. Kurz darauf wurde angegeben, dass Butschowitz schwer erkrankt sei. Friedrich Bill erschien allein zur Hauptverhandlung und verteidigte sich nun selbst – sein Schriftsatz enthielt weitere schwere Beleidigungen. Wiederum klagte Turnovsky ausführlich über die Missstände im Gerichtswesen in der Tschechoslowakei: „Und deswegen habe ich bei jeder neuen Angelegenheit, welche ich für Herrn K. zu behandeln habe, ein einigermassen banges Gefühl“ (195.47). Wenig später starb Kraus. Im Februar 1937 wurde ein Vergleich mit Friedrich Bill erreicht, der eine Satisfaktionserklärung im Prager Mittag veröffentlichte, nachdem der Aufruf inzwischen eingegangen war. Bill wurde zudem eine Strafe von Kč 1800.– auferlegt, die ihn empfindlich traf und die immerhin die Stempel- und Dolmetschgebühren der Kraus-Prozesse deckte. Turnovsky, der eigentlich niemals daran gedacht hatte, Kraus eine Honorarnote zu stellen, begnügte sich mit sehr reduzierten Honorarkosten (195.60). Bemerkenswert ist auch, wie „unangenehm berührt“ und gekränkt Rechtsanwalt Turnovsky war, nicht über die Kraus-Trauerfeier benachrichtigt worden zu sein (195.53 & .54). [196.] Im September 1934 veröffentlichte die Arbeiter-Zeitung in Brünn (s. Akte 195) einen Bericht über die Festnahme des Sozialdemokraten Julius Braunthal, der in das Konzentrationslager Wöllersdorf gebracht worden war. Der letzte Absatz lautete: „Es gibt übrigens andere Schriftsteller, die über die Arbeitermorde vom 15. Juli 1927 nicht anders geurteilt haben als Braunthal. Zu ihnen gehört zum Beispiel der Herr Karl Kraus. Aber der hat sich jetzt in seiner ‚Fackel‘ brav gleichgeschaltet und preist im Schweisse seines Angesichts die Kulturtaten des ‚Österreichischen Menschen‘. Das schützt allerdings vor Wöllersdorf“ (196.2). Der Schriftsteller Hugo Sonnenschein brachte unter dem Pseudonym „Sonka“ neben dem Artikel das Gedicht „Zeitgeister“ – „Dem Karl Kraus und ähnlichen Helden der Gesinnung des Geistes zugedacht“ (196.2). Samek und Kraus fragten bei Turnovsky an, ob er diesen Absatz und das Gedicht für klagbar halte, ob er selbst das Verfahren von Prag aus führen könne und wenn nicht, ob er einen geeigneten Kollegen in Brünn empfehlen könne. Turnovsky empfahl die Anwälte Robert Herrmann und Felix Gallia. Herrmann versicherte Samek sofort seiner „grössten Verehrung“ (196.4) für Kraus, doch eigentlich übernahm Kraus’ Angelegenheiten in Folge Felix Gallia, den Samek und Kraus hoch schätzen lernten. Gallia reichte also Klage gegen den verantwortlichen Redakteur Josef Schramek und in weiterer Folge auch gegen Hugo Sonnenschein, dessen Identität erst ermittelt werden musste, ein. Auf einen Vergleich mit entsprechender Satisfaktionserklärung gingen die Beklagten nicht ein. Sie wollten den Wahrheitsbeweis antreten. Wie die Brünner Anwälte vermuteten, sollte der Prozess „von den der Arbeiterzeitung nahestehenden Österr. Emigranten dazu benützt werden […], um ihre Anklagen gegen das jetzige Regime in Österreich bezw. das Regime Dollfuss vorzubringen und durch ein csl. Gericht über Gesinnung und Methoden der österr. Regierung ein Urteil fällen zu lassen“ (196.19). Schramek und Sonnenschein waren vorerst für das Gericht nicht wirklich greifbar und stellten ihren Antrag auf Wahrheitsbeweis sehr unpräzise – sie beriefen sich, was ihren Beweis betraf, auf das Material der Gegenpartei in Kraus Prozess gegen den Sozialdemokraten (s. Akte 193). Samek witterte auch hier ein Verschleppungsmanöver und warnte Gallia davor, den Prager Prozess, in dem es auch um viel harmlosere Beleidigungen ginge, als präjudiziell anzusehen (196.30). Gallia war empört, als er von den Umständen im Prager Prozess erfuhr und erklärte, dass der Brünner Pressesenat hier viel vernünftiger agieren werde (196.54). Bei der Hauptverhandlung warfen Schramek und Sonnenschein in einem umfangreichen Beweisantrag Kraus vor, er passe seine politische Einstellung dem jeweiligen herrschenden System an und sie behaupteten zudem, er habe tschechoslowakische Staatsmänner angegriffen (196.61). Die Schriftsteller Paul Kornfeld und Johann Urzidil unterstützten mit ihren Zeugenaussagen die Behauptungen gegen Kraus. Samek und Kraus trafen sich Mitte März 1936 mit Felix Gallia in Wien. Sie entwarfen eine Erwiderung (196.84) auf diesen Schriftsatz und erweiterten die Klage im Bezug auf die Beleidigungen im Schriftsatz. Kraus sagte zudem als Zeuge aus (196.90), um ergänzende Angaben zu machen. Die Gegenseite versuchte weiter den Prozess zu sabotieren, indem sie eine Übersetzung des höchst komplexen und umfangreichen Kraus’schen Schriftsatzes in die tschechische Sprache forderte und zudem mit einer Erwiderung der Ehrenbeleidigungsklage drohte. Während noch weitere mögliche Zeugen bzw. das weitere Vorgehen erörtert wurde, starb Kraus. Seine Brüder Rudolf, Alfred und Josef übernahmen auch diesen Prozess, wenn es hier auch Schwierigkeiten gab und Samek belegen musste, dass Kraus keine Frau, keine Kinder und keine Eltern hatte. Im Bezug auf die im Schriftsatz (196.61) enthaltenen Beleidigungen wurde Hugo Sonnenschein schließlich schuldig und Schramek (der in die Abfassung nicht involviert gewesen war) freigesprochen. Im ursprünglichen Presseprozess kam es im Oktober 1937 zu einem Vergleich: In der nunmehr in Paris erscheinenden Arbeiter-Zeitung wurden in einer Erklärung Absatz und Gedicht widerrufen und Schramek und Sonka verpflichteten sich, 2.500 Kč Bußgeld zu bezahlen.

Schlagworte

StrafrechtPrivatanklagedeliktEhrenbeleidigungVerurteilungKarl KrausSozialdemokratie

Gerichtsparteien

Kläger

Karl KrausJohann Turnovsky

Beklagte

Egon Schwelb
kein Bild

194.1 Entwurf der Ehrenbeleidigungsklage des Karl Kraus ca. Dr. Egon Schwelb

10. Dezember 1935

Orte
  • Prag
  • Vodičkova
Aktenklassifkiation
    Materialität
    • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
    kein Bild

    194.2 Übersetzung der Beweisanträge von Egon Schwelb

    25. März 1935

    Orte
    • Prag
    Aktenklassifkiation
    • Übersetzung
    Materialität
    • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
    • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
    kein Bild

    194.3 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

    26. März 1936

    Orte
    • Prag
    • Reindorfgasse
    • Vodičkova
    • XV., Rudolfsheim-Fünfhaus
    Aktenklassifkiation
    • Brief
    Materialität
    • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
    kein Bild

    194.4 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

    31. März 1936

    Orte
    • XIV., Penzing
    • Prag
    • Reindorfgasse
    • Vodičkova
    Aktenklassifkiation
    • Brief
    Materialität
    • Durchschlag
    kein Bild

    194.5 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

    2. April 1936

    Orte
    • XIV., Penzing
    • Prag
    • Reindorfgasse
    • Vodičkova
    Aktenklassifkiation
    • Brief
    Materialität
    • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
    kein Bild

    194.6 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

    5. April 1936

    Orte
    • XIV., Penzing
    • Prag
    • Palasthotel Prag
    • Reindorfgasse
    • Vodičkova
    Aktenklassifkiation
    • Brief
    Materialität
    • Durchschlag
    kein Bild

    194.7 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

    6. April 1936

    Orte
    • XIV., Penzing
    • Prag
    • Palasthotel Prag
    • Reindorfgasse
    • Vodičkova
    Aktenklassifkiation
    • Brief
    Materialität
    • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
    kein Bild

    194.8 Entwurf einer Ehrenbeleidigungsklage gegen Dr. Schwelb [Übersetzung]

    6. April 1936

    Orte
    • Prag
    • Vodičkova
    Aktenklassifkiation
    • Entwurf (jur.)
    Materialität
    • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
    kein Bild

    194.8 Originalmappe Oskar Samek – Akt 194

    10. Dezember 1935

    Orte

    keine Orte

    Aktenklassifkiation

    keine Klassifikation

    Materialität

    keine Angaben