195.9 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 17.X.1934
Betreff: KRAUS – AUFRUF

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich bestätige den Empfang Ihres Briefesvom 16. d.M., zu dessen Inhalte ich Folgendes bemerke:

1./ Das Gericht wird sich bei der Verhandlung sicher-lich ausschliesslich mit den unter Anklage gestellten beleidi-genden Aeusserungen und nicht mit dem übrigen Texte der Ehren-beleidigungsklage befassen, der nur deswegen in die Klage auf-genommen wurde, um den Richtern den inkriminierten Artikel ver-ständlich zu machen. Deswegen glaube ich, dass es genügen würde,bei der Streit Haupt verhandlung den Satz „… bezeichnet die Zurück-weisung seiner Erwartung auf einen ‚Aufruf‘ als eine Verun-glimpfung“, in dem von Herrn Kraus gewünschten Sinne zu inter-pretieren. Ich möchte nämlich, wenn möglich, vermeiden, dassdie für das Gericht ohnehin einigermaßen komplizierte Prozess-materie noch komplizierter wird.

2./ Dass wir, vielmehr ich, den Satz „Der, der nur‚um den Graben geht‘ …“ missverstanden haben, ist mir sehrunangenehm. Herr Kraus dürfte mir wohl bei der abendlichen Un-terredung, in welcher wir über die Klagen gesprochen haben,seine Interpretation dieses Satzes gegeben haben. Ich war andiesem Abend, da ich tagsüber sehr viel gearbeitet hatte, rechtmüde und habe deshalb vielleicht die Interpretation nicht behalten.

Als ich dann den Klagsentwurf verfasste,habe ich die Erklärung dieses Satzes in dem von Herrn Kraus als unrichtig bezeichnten Sinne stilisiert, weil ich annahm,dass dieser Sinn in dem Satze zwar sprachlich falsch ausgedrücktist, jedoch ausgedrückt werden sollte. Man wird also diesefalsche Interpretation richtigstellen müssen, doch glaube ichnicht, dass dies durch einen vorbereitenden Schriftsatz ge-schehen soll.

In der Angelegenheit gegen Verneau und Bill hat die Vergleichsverhandlung am 11. d.M. stattgefunden. Anwe-send war Dr. Bill, die Zustellung der Klage an Lucien Verneau konnte – wie erwartet – nicht vorgenommen werden. Da nach demneuen Pressegesetz der verantwortliche Redakteur nicht ver-pflichtet ist, den Autor des den Inhalt der Klage bildendenArtikels zu nominieren, wurde mir der Auftrag erteilt, den richti-gen Namen des Beklagten und seine Adresse binnen 14 Tagen demGerichte bekanntzugeben. Ich habe bereits früher und auch jetztvergebliche Anstrengungen gemacht, den richtigen Namen des Autors zu ermitteln und habe alle möglichen Leute, von denen ich an-nahm, dass sie zu den Mitarbeitern des „AUFRUF“ Beziehungenhaben, befragt. Zwei Herren haben mir auch versprochen, denAutor in den nächsten Tagen zu eruieren. Auch Herr HeinrichFischer, den ich darum ersuchte, hofft, dass es ihm in einigenTagen gelingen wird, festzustellen, wer dieser Herr Verneau eigentlich ist.

Ich wollte ursprünglich diese Feststellungabwarten und Ihnen dann in dieser Angelegenheit berichten unddabei anfragen, ob Herr Kraus wünscht, dass das Verfahrengegen Verneau geführt wird.

Ich stelle mir vor, dass der von Herrn Kraus beabsichtigteZweck auch dann erreicht wird, wenn nur Dr. Bill als ver-antwortlicher Redakteur wegen des Deliktes der Vernachlässi-gung der pflichtgemässen Sorgfalt verurteilt wird.Dr. Bill ist, wie ich gerade in letzter Zeit wiederholtbemerken konnte, ein nicht sehr gewandter Verhandlungs-gegner. Er beherrscht auch die tschechische Sprache sehrmangelhaft und ist beim Pressesenat wenig beliebt.

Herr Verneau scheint schon einigermassen schlauer zu seinals Bill. Wenn er als Angeklagter in einem Prozesse auf-tritt, wird er voraussichtlich den Wahrheitsbeweis an-treten und eine ganze Menge von Behauptungen aufstellenund für sie Beweise anbieten, sodass der Prozess ins Uner-messliche verschleppt werden kann. Der Pressesenat ver-tagt die Hauptverhandlungen auf sehr lange Zeit und ich be-fürchte, dass das Urteil in einem Zeitpunkte erfliessenwird, in welchem die Polemik der „antifaszistischen“Journalisten nicht mehr aktuell sein wird.

Wenn ich auch annehme, dass der Autor des Artikels dieSchriftsätze verfassen wird, so glaube ich trotzdem, dassDr. Bill weder energisch, noch hinreichend gewandt seinwird, um alle Anträge durchzusetzen und so die anscheinendbestehende Verschleppungsabsicht zu realisieren.

Wollen Sie bitte Herrn Kraus von diesen Er-wägungen Mitteilung machen und seine Weisung darüber ein-holen, ob ich, bis ich den Namen und die Adresse desHerrn Verneau ermittele, dem Gerichte hievon Mitteilung

machen oder nicht lieber bekanntgeben soll, dass es nichtgelungen ist, den pseudonymen Autor des Artikels zueruieren. Die Richtigstellung des falsch interpretiertenSatzes kann ich in der Anklageschrift vornehmen, derenUeberreichung mir nach der Einvernahme des oder der Ange-klagten aufgetragen wird.

Da es trotz dem Scheitern der Vergleichs-verhandlung zu Vergleichsangeboten kommen könnte, zumaldas Gericht bei der Hauptverhandlung die Parteien immerzum Vergleiche anregt, bitte ich doch, von Herrn Kraus Weisungen über den Inhalt der im Vergleichsfalle zu fordern-den Erklärung einzuholen.

Ich zeichne mit vorzüglicherHochachtung:Dr. Turnovsky

Vielen Dank für die Einsendung der anläßlich des 60. Geburtstageserschienenen Publikation, die ich, falls es notwendig seinsollte, vorlegen werde.

KrausAufruf18. OKT. 1934