195.14 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 19.X.1934
Betreff: Kraus – Aufruf

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.In der Angelegenheit Karl Kraus ca: Lucien Verneau fand heute die Vergleichs-tagsatzung statt, bei welcher ich Herrn Ing. Butschowitz zum erstenmale zu Gesicht bekam. Butschowitz ist ein vielleicht etwa 28-jähriger Mann, schaut sehr unscheinbaraus und war sichtlich über die Bedeutung der Vergleichs-tagsatzung im Prozessverfahren in Pressesachen nichtorientiert. Auf die Frage des Richters, ob er den Pro-zess durchführen wolle oder bereit sei, eine vom Kläger gewünschte Ehrenerklärung zu veröffentlichen und dieProzesskosten zu bezahlen, erklärte er, den Prozessdurchführen zu wollen und schien nicht recht zu wissen,dass er in diesem Falle irgendwelche Anträge, insbesondereauf Durchführung des Wahrheitsbeweises, zu stellen habe.Er wird vor den Untersuchungsrichter geladen werden undnach seiner und Dr. Bills Einvernahme werde ich zurUeberreichung der Anklageschrift aufgefordert werden.In der Begleiteingabe zu dieser Anklageschrift werdeich die in Ihrem Briefe vom 16.X. d.J. angeführtenRichtigstellungen vornehmen, insbesondere den peinlichen,

aber für das Prozessverfahren durchaus unwesentlichenIrrtum, der mir durch die falsche Auslegung der Stelleder, der ‚nur um den Graben‘ geht …“ unterlaufen ist,berichtigen.

Als ich die Klage verfasst habe, hatteich die letzte FACKEL erst einmal gelesen. Es war mirdaher jene Stelle, auf welche der betreffende Satz desinkriminierten Artikels anspielt, nicht gegenwärtig undich habe, da der inkriminierte Aufsatz eine ganze Reihegramatikalisch falscher und logisch unhaltbarer Stellenenthält, auch diese Stelle für eine sprachlich missglücktegehalten. Allerdings hätte ich wohl aus den Anführungszeichen schliessen müssen, dass es sich um ein Zitataus der FACKEL handelt und hätte dieses nachlesen sollen,dann wäre ich selbst auf den richtigen Sinn der besagtenStelle gekommen. Es ist aber immerhin nichts geschehen undich werde in der Berichtigung ausdrücklich darauf hinweisen,dass die irrige Auslegung dieser Stelle dem Anwalte desPrivatklägers unterlaufen ist. Auch bei richtiger Interpreta-tion bleibt jedoch die Stelle inkriminierbar, da der Autor zum Ausdrucke bringen will, dass er sich im Gegensatz zuHerrn Kraus keine Sprünge leisten könne und daher nicht inder Lage sei, durch langes Nichterscheinen und Akkumulierungder Spannung Aufmerksamkeit zu multiplizieren.

Da es der Autor als verwerflich bezeichnet, nicht gegenHitler zu schreiben, so erhebt er durch die in dieser Stellefür die Unterlassung der Polemik seitens des Herrn Kraus angeführte Motivierung den Vorwurf einer Handlung oder

Gesinnung, der den Kläger in den Augen des Lesers herab-setzen muss.

Ich bitte, mich Herrn Kraus bestens zu em-pfehlen und ihn zu ersuchen, die Entwürfe der zu fordern-den Satisfaktionserklärungen vorzubereiten, damit siebei den Hauptverhandlungen, welche, wie ich hoffe, baldstattfinden werden, zur Verfügung sind.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausAufruf9. NOV. 1934